Berns Hypothese sieht so aus: Wenn wir die Möglichkeit einer Entscheidung haben, dann befindet sich ein Teil unseres Gehirns in einem quantenmechanischen Überlagerungszustand. Im Libet-Experiment ist dies ein Misch-Zustand aus den beiden Möglichkeiten “Muskelpotential aktiviert” und “Muskelpotential nicht aktiviert”. Beim gewöhnlichen Libet-Experiment bleibt dieser Überlagerungszustand erhalten, bis wir die bewusste Entscheidung für die Bewegung treffen. Diese Entscheidung sorgt für die quantenmechanische Messung und dafür, dass tatsächlich einer der beiden Zustände realisiert wird. Die bisherigen Interpretationen des Libet-Experiments wären demnach also beide falsch, weil sie nicht berücksichtigen, dass durch den Entscheidungsprozess der Zustand erst rückwirkend realisiert wird.
Beobachtet ein bewusster Beobachter aber das Aktivierungspotential im Gehirn, bevor die bewusste Entscheidung getroffen wurde, dann sorgt dies bereits für den Messprozess; sobald der beobachtenden Doktorandin der Messwert des Aktivierungspotentials bewusst wird, bevor die Versuchsperson sich selbst bewusst entscheiden hat, bestimmt diese Beobachtung die Messung. Die Versuchsperson hat dann keinen Einfluss mehr auf das Ergebnis – das erklärt auch, warum viele Versuchspersonen das Gefühl hatten, nicht selbst die Entscheidung zu treffen. Um diese Hypothese zu testen, wurde die Computerdarstellung mit einer Zeitverzögerung versehen. Wenn die Hypothese richtig ist, dann müsste der Effekt verschwinden, wenn die bewusste Beobachtung des Monitors erst nach der Entscheidung durch die Versuchsperson stattfindet.
In dieser Grafik ist die Streuung der Zeitangaben der Versuchsperson (also die Größe der Fehlerbalken im Bild oben) aufgetragen gegen der Zeitpunkt der Beobachtung am Computermonitor für eine Serie von 7 Versuchen (dabei wurden für jeden Messwert 5 Versuchspersonen jeweils 20 mal gemessen):
Man erkennt deutlich, dass sich die Streuung (Standardabweichung) massiv verringert, sobald die Beobachtung hinreichend spät stattfindet, nämlich nach dem Zeitpunkt, zu dem die Versuchsperson die Entscheidung selbst getroffen hat. Damit ist eindeutig gezeigt, dass tatsächlich die Beobachtung des Computermonitors einen Einfluss auf die Wahrnehmung der Versuchsperson hat.
Wichtig ist dabei, dass anscheinend bis zur Beobachtung durch die Experimentatorin bzw. zur Entscheidung durch die Versuchsperson das gesamte System aus Gehirn, MRI-Scanner und Computer in einem quantenmechanischen Überlagerungszustand erklärt, etwas, dass bisher für nicht möglich gehalten wurde. Der Quantenphysiker Anton Spaltinger sagte dazu “Das wäre ein unglaublich überraschendes Ergebnis; Schrödingers Katze würde damit quasi Wirklichkeit.”
Natürlich sind noch weitere Experimente notwendig, um den Effekt zu untersuchen. Er erlaubt aber auch, eines der größten Rätsel der Physik, den quantenmechanischen Messprozess, nun auf ganz andere Weise als bisher experimentell zu testen. Man darf gespannt sein.
Stephanie Tuss, April First, Amanda L. Bern
“Observer-induced quantum mechanical state collapse in the Libet experiment”
Journal for exact results in philosophy, vol 1, p. 1 (2013)
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