Schaut man sich in der heutigen Tierwelt um, so fällt eins sicherlich auf: zwar sind die meisten Tierarten wirbellose, aber große Tiere (insbesondere an Land) sind eigentlich imemr Wirbeltiere. Dafür gibt es verschiedene Gründe; ein wichtiger ist, dass wir ein Innenskelett haben. Das Außenskelett von Insekten oder Krebsen besteht aus nicht mehr lebendem Material – wenn das Tier wachsen will, dann muss es sich häuten, und das ist für ein sehr großes Tier ziemlich unpraktisch. Unsere Knochen dagegen können wachsen, während wir sie benutzen. Darüber, wie genau das funktioniert, wissen wir seit kurzem etwas mehr.
(Bevor jemand nörgelt: Ja, es gibt weitere Gründe, warum z.B. Insekten nicht so groß werden können, etwa die Tracheenatmung. Spinnen, die ja auch ein Außenskelett haben, können deutlich massiver werden als Insekten, denn sie haben eine richtige Lunge, die so genannte Buchlunge. Ein weiterer Grund ist, dass ein Außenskelett ungünstige Skaleneigenschaften hat, weil die Muskeln ebenfalls innen sitzen müssen. Könnte man auch mal einen ganzen Artikel drüber schreiben – aber nicht heute…)
Wie das Knochenwachstum prinzipiell funktioniert, weiß man seit langer Zeit. Hier ein Bild von Wikipedia, dass den typischen Mechanismus an einem Oberschenkelknochen zeigt:
Von derivative work: Chaldor (talk)
Illu_bone_growth.jpg: Fuelbottle – Illu_bone_growth.jpg, Gemeinfrei, Link
Zuerst bildet sich ein Knorpel-Vorläufer (hyaline cartilage). Der Knorpel wird dann mineralisiert, es wird also die Keramik Hydroxyapatit (ein Calciumphosphat) eingelagert. Dann wächst der Knochen vor allem an der Wachstumsplatte, der Epiphyse. Und das Wachstum hier ist es, das dafür sorgt, dass unsere Knochen vom Säugling zum Erwachsenen stark an Länge zunehmen.
Schaut man in so einen Wachstumsbereich hinein, so sieht man etwa folgendes (Bild ebenfalls von Wikipedia, ursprünglich aus dem Buch Gray’s Anatomy (nicht zu verwechseln mit der Fernsehserie) aus dem Jahr 1858):
Bild: public domain
Der Knochen wächst hier von unten nach oben – wenn man deshalb im Querschnitt von oben nach unten guckt, dann sieht man quasi die Zeitachse. Am Anfang stehen Stammzellen (nicht im Bild eingezeichnet). Diese teilen sich und produzieren dabei sogenannte Chondrocyten, die knorpelbildenden Zellen des Körpers. Die sind am Anfang (bei a) dünn übereinandergestapelt und erinnern an einen Münzstapel. Die Chondrocyten wachsen dann (vornehm als Hypertrophie bezeichnet, bei b) vor allem in der Längsrichtung; und es ist dieses Wachstum in Längsrichtung, das für den größten Teil des Knochenwachstums verantwortlich ist. Danach wird dann die Keramikkomponente eingelagert und es passieren noch ein paar andere Dinge, aber die sind heute nicht so wichtig.
Der Knochen ist während des Wachstums trotzdem belastbar, weil die Chondrocyten Knorpel produzieren – der hat einen hohen Widerstand gegen Kompression. (Das wiederum liegt daran, dass er zu einem guten Teil aus Proteoglykanen besteht, das sind Moleküle, die sich ähnlich wie ein Schwamm mit Wasser vollsaugen und das Wasser festhalten, so dass man sie schlecht zusammenquetschen kann. Belastet man sie sehr lange Zeit, wird das Wasser aber herausgedrückt – ein Grund, warum langes Stehen für die gelenke wesentlich schädlicher ist als Herumlaufen.) Die Belastbarkeit ist allerdings nicht so gut wie die von echtem Knochen – insbesondere ist die Epiphysenplatte nicht gut gegen Scherkräfte ausgelegt. Bei Kindern kommt es deswegen manchmal vor, dass sie bei Überlastung abschert. Bei Erwachsenen passiert das nur sehr selten, denn da verknöchert die Epiphysenplatte, außerdem faltet sie sich im Laufe der Zeit etwas auf und erhöht so ihren Scherwiderstand. Ja, auch ein anderes Thema. (Kommt in meine Vorlesung über Knochen, da erzähle ich euch was dazu…)
Dass Knochen also prinzipiell wächst, indem Chondrocyten hypertrophieren, weiß man schon ziemlich lange. Was man aber bisher nicht wusste ist, wie genau diese Chondrocyten eigentlich wachsen und wie sich schnell und langsam wachsende Knochen unterscheiden.
Doch dank eines neuen (naja, nicht mehr ganz neuen, aber die letzten zwei Monate habe ich ziemlich viel anderen Kram gemacht...) Artikels in nature weiß man nun ein bisschen mehr darüber, wie das Wachstum unserer Knochen funktioniert.
Ein Team aus Harvard und vom MIT hat dazu wachsende Knochen im Detail analysiert – über die genauen Methoden wie “diffraction phase microscopy” schreibe ich nix, weil ich davon nichts verstehe. Prinzipiell gibt es zwei Möglichkeiten, wie eine Zelle wachsen kann: sie kann Zellflüssigkeit und sonstige Zellbestandteile (im paper unter dem Begriff “dry mass”=Trockenmasse zusammengefasst”) im gleichen Maß wachsen lassen, so dass sich an der prinzipiellen Zusammensetzung der zelle nichts ändert (das ist dann echte Hypertrophie). Oder sie kann bevorzugt Flüssigkeit einlagern – das tun Zellen meist nur dann, wenn irgendeine Krankheit vorliegt. Den Vorgang nennt man “Schwellen” (swelling im Englischen).
Benutzen Chondorcyten nun die echte Hypertrophie oder das Anschwellen, um zu wachsen? Die Antwort lautet: Ja. Sie tun nämlich beides.
Trägt man den Anteil der Trockenmasse der zelle gegen das Zellvolumen (das ja mit der Zeit immer größer wird) für ein Stück aus einem Mäuseunterschenkel auf, so bekommt man folgenden Plot:
Aus Cooper et al., s.u.
(Die Auftragung ist auf der horizontalen Achse logarithmisch – das ergibt Sinn, weil man so das Wachstum immer auf das aktuelle Volumen bezieht. Die Datenpunkte beziehen sich auf einzelne Zellen, die rote Linie gibt den trend wieder) Man erkennt deutlich drei Phasen: anfangs ist der Prozentanteil der Trockenmasse etwa konstant, während das Volumen zunimmt – das ist also echte Hypertrophie. Dann nimmt erdeutlich ab, hier schwillt der Chnondrocyt also an, indem er Flüssigkeit einlagert. Und in der dritten Phase wächst er dann noch ein bisschen weiter, wobei der Anteil Trockenmasse wieder konstant bleibt.
Aber nicht alle Knochen wachsen gleich schnell. Man kann sich also fragen, wie sich diese unterschiedliche Wachstumsgeschwindigkeit im Zellwachstum bemerkbar macht – werden alle Phasen gleichmäßig gekürzt oder verlängert, oder einige besonders stark?
Dazu kann man zum einen unterschiedlich schnell wachsende Knochen von Mäusen anschauen, beispielsweise den Unterarm, der bei Mäusen langsamer wächst. Da sieht man dann folgendes (in hellgrau die Datenpunkte von eben):
Aus Cooper et al., s.u.
Die Chondrocyten im langsamer wachsenden Knochen hören also irgendwo in Phase 2 während des Schwellens auf und bleiben dadurch kleiner.
Umgekehrt kann man auch besonders schnell wachsende Knochen angucken – beispielsweise die Mittelfußknochen einer Springmaus mit ihren extrem langen Hinterbeinen. Das sieht dann im Vergleich so aus (diesmal nicht logarithmisch aufgetragen):
Aus Cooper et al., s.u.
Dabei wird also die dritte Phase deutlich in die Länge gezogen, um ein höheres Volumen zu erreichen.
Chondrocyten wachsen also sowohl durch Anschwellen als auch durch echte Hypertrophie; wie stark sie wachsen wird anscheinend dadurch geregelt, wann dieser dreistufige Prozess angehalten wird. (Allerdings nicht nur – Springmäuse haben zusätzlich auch einfach mehr Chondrocyten).
Wie genau der Prozess gesteuert wird, ist noch unklar – man weiß aber, dass dabei ein Wachstumsfaktor namens insulin-like growth factor 1 (Ig f1) eine Rolle spielt. In Mäusen, die einen Mangel an Igf1 haben, und die deshalb kleiner sind, sind auch die Chondrocyten deutlich kleiner, sie wachsen also weniger. Diese Mäuse beenden ihr Chondrocyten-Wachstum am Ende von Phase 2, die letzte Hypertrophie-Phase fällt also weg. Das wiederum ist deswegen interessant, weil es zeigt, dass die erste und die dritte Phase, die ja beide Hypertrophie-Phasen sind, anscheinend unterschiedlich gesteuert werden (sonst müsste die erste Phase bei diesen Mäusen ja auch wegfallen).
Insgesamt verstehen wir jetzt also deutlich besser als vorher, wie genau ein Knochen wächst. Das ist auch vom Standpunkt der Evolution aus interessant – unterschiedliche Knochenproportionen können also relativ einfach dadurch erreicht werden, dass die Wachstumsphase 3 der Chondrocyten beeinflusst wird. Die große Vielfalt der Wirbeltiere mit Größen von der Hummelfledermaus bis zum Blauwal verdanken wir vermutlich also unter anderem dem Mechanismus, mit dem die Chondrocyten gesteuert werden.
PS: Irgendwie habe ich heute jede Menge Tippfehler eingebaut und bin zu faul sie auszubauen. Wer einen findet, darf ihn behalten…
Multiple phases of chondrocyte enlargement underlie differences in skeletal proportions
Kimberly L. Cooper et al.
Nature, doi:10.1038/nature11940, März 2013
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