In den letzten Tagen ging es hier ja bei einigen Debatten auf den Scienceblogs heiß her – zum einen zum Thema Beschneidung, zum anderen bei der Geschlechtergerechtigkeit der Sprache. Ich habe auch fleißig mitgemischt und diskutiert. Was eigentlich komisch ist, denn weder habe ich eine abschließende Meinung, wie genau geschlechtergerechte Sprache aussehen sollte, noch dazu, wie die Güterabwägung bei der Beschneidung aussehen sollte. (Ich bin aber nach wie vor mit dem Großteil dessen, was ich geschrieben habe, einverstanden) Warum rege ich mich also auf?
Wenn ich an diese und andere Debatten zurückdenke, dann liegt es vielleicht an etwas Grundsätzlichem: Es sind immer ganz ähnliche Argumente, die mir auf die Nerven gehen. Vielleicht, weil ich generell etwas gegen schlechte Argumente habe. Und vielleicht, weil ich schon so oft gegen Leute argumentiert habe, die auf keinen Fall etwas am status quo ändern wollten. Und da zeigen beide Diskussionen doch deutliche Parallelen. Dieselben Argumente findet man auch in Diskussionen zu anderen Themen, beispielsweise bei Debatten zum Thema Religion/Atheismus.
Deshalb hier die Top Zwölf der Argumente gegen jede Veränderung (eingeteilt in 4 Gruppen)
Das war schon immer so
Das ist natürlich das Hauptargument für den Status Quo. Leibnitz hat ja gesagt, unsere Welt sei die beste aller möglichen und Adenauer ist mit “keine Experimente” auch gut gefahren.
Das Argument kommt in drei Varianten:
1. Eigentlich ist doch alles gut so, wie es ist.
Man kann anführen, dass der status quo doch so wie er ist vollkommen in Ordnung ist. Was ist denn soo schrecklich schlimm an einer nicht geschlechtergerechten Sprache? Was ist denn soo schrecklich schlimm an einer Beschneidung (einige versuchen ja sogar zu argumentieren, dass die auch gar nicht weh tut, selbst ohne Betäubung). Natürlich findet diese Argumentation nahezu immer aus der Sicht der Nicht-Betroffenen statt (auch die Beschnittenen sind ja zumindest von den akuten Schmerzen der Beschneidung nicht mehr betroffen und kennen den Zustand nicht anders): Mich stört’s nicht, also sollte es Dich auch nicht stören. Natürlich verkennt das Argument, dass Menschen eben nicht alle gleich sind – was der eine toll findet, findet der andere schrecklich. Beim Rauchen akzeptieren wir zum Glück auch nicht mehr, dass Raucher sagen “Ich mag’s riechen, also musst du es auch riechen mögen.” Offensichtlich gibt es Leute, die der status quo stört, sonst würde man nicht drüber reden. Das einfach zu negieren ist jedenfalls kein Argument.
2. Bisher hat das auch niemanden gestört
Ein Großteil der Artikel, die sich für ein Recht auf Beschneidung aussprachen, fing mit einem Satz an wie “Bis vor ein paar Monaten hat sich niemand…” Das ist natürlich ein besonders praktisches Argument, denn damit kann man wirklich jede Änderung im Keim ersticken – irgendwann ist ja immer das erste Mal, dass jemand einen Zustand kritisiert. Das Bewusstsein für Probleme ändert sich im Laufe der Zeit und irgendwann erkennt jemand “Hey, das ist so aber nicht in Ordnung”. Ja, vielleicht hätten wir es schon früher ändern sollen. Aber besser spät als nie.
3. Das hat sich historisch so entwickelt
In anderem Kontext kennt man das als den naturalistischen Fehlschluss: Weil etwas sich historisch/natürlich so entwickelt hat, ist es auch gut. Deswegen gehören Frauen in die Küche (war schon immer so, ist auch natürlich, weil Frauen sich nun mal um Kinder kümmern, sieht man auch im Tierreich), und deswegen muss die Sprache auch so bleiben wie sie ist. Religiöse Traditionen sind aus dem gleichen Grund zu schützen, dafür sind’s ja Traditionen.
Den Grundsatz “Das war schon immer so” gibt es übrigens auch in der Formulierung “Wo kämen wir denn da hin”, “Das haben wir ja noch nie gemacht” und “Da könnte ja jeder kommen” – gern auch mal alle hintereinander (habe ich schon erlebt).
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