Zur Zeit debattieren wir ja mal wieder heftig über die geschlechtergerechte Sprache und die Frage, ob unsere Sprache sexistisch ist. Jürgen hat sich dazu die letzten Tage fleißig geäußert. Ich habe hier zumindest auf der Meta-Ebene geantwortet. Aber nachdem ich nun dank der heftigen Debatte etwas klarer sehe, will ich hier doch noch einmal etwas ausführlicher schreiben.
Auch wenn einiges schon vorher in den Kommentaren diskutiert wurde, konzentriere ich mich hier vor allem auf Jürgens letzten Text zum Thema, der das wichtigste auf den Punkt bringt.
Der Text trägt den Titel “Die unsichtbare Diskriminierung”. Jürgen beginnt damit, dass es bei einer geschlechtsneutralen Sprache (den Unterschied zwischen geschlechtergerecht und geschlechtsneutral erkläre ich gleich noch im Detail) um folgendes gehe:
sie beruht auf dem Ansatz, dass das Objekt der Diskriminierung nicht wahrnehmbar sein soll.
Dieser Satz ist leider schon falsch, und das ist der Kern der Meinungsverschiedenheit. Eine geschlechtsneutrale Sprache beruht auf dem Ansatz, dass das Geschlecht einer Person nicht wahrnehmbarer sein soll als andere Unterscheidungsmerkmale auch. Ich hatte das mit einem Beispiel aus Star Trek illustriert. Dort ist es so, dass in der Sternenflotte grundsätzlich nur männliche Formen verwendet werden, es heißt also “der Admiral” und auch “er”, auch wenn es sich um den weiblichen Admiral Nechayev handelt (Jürgens Schreibweise des Namens ist mein Fehler, ich hatte den Namen so geschrieben). Mir ging es darum, dass das Geschlecht einer Person egal sein sollte, jedenfalls nicht wichtiger als die Hautfarbe, das Alter oder ein anderes Merkmal. Jürgen schreibt dazu
Ja, warum eigentlich? Vielleicht, weil es Admiral Nedjejev (ich habe keine Ahnung, wer das ist, und finde den Namen auch nicht im Internet) wichtig ist? Wer sagt, dass es einer Frau nichts bedeutet, eine Frau zu sein?
Niemand. Aber wer sagt denn, dass es ihr für Ihre Arbeit wichtig ist? Oder dass es ihr überhaupt wichtig ist? Mit dem gleichen Recht könnte man fragen: “Ist es Präsident Obama nicht sehr wichtig, dass er ein Farbiger ist?” Sollte man deswegen gleich die Bezeichnung Presidentroon (Dank an Douglas Hofstadter – wenn ihr diesen Text noch nicht gelesen habt, dann tut es bitte jetzt) einführen? Oder ist es nicht so, dass wir dann, wenn wir der Ansicht sind, die Hautfarbe sei irgendwie wichtig, sagen können “Obama ist ein schwarzer Präsident”, und wenn sie im Zusammenhang unwichtig ist, sagen wir das nicht, dann ist er einfach “der Präsident”? Jürgen schreibt weiter
Es gibt viele Formen von Identität – ich selbst beispielsweise falle in die Gruppen männlich, Senioren (über 50), deutschsprachig, grauhaarig, Journalist, Nichtraucher, Atheist, Vater, Universitätsdozent etc. Welche dieser Identitäten für mich wichtig sind oder nicht, sollte niemand außer mir entscheiden dürfen. Warum ist sexuelle Identität so wichtig, wichtiger als Haarfarbe oder Einkommen? Weil wir nun mal sexuelle Wesen sind.
Bis zum vorletzten Satz unterschreibe ich das von ganzem Herzen. Ja, wir sind sexuelle Wesen, wir sind auch Wesen mit einem Alter oder mit einer Hautfarbe. Warum das Geschlecht wichtiger ist als andere Merkmale, so dass es einer sprachlichen Sonderrolle bedarf, das sagt Jürgen leider nicht. Wir sagen eben nicht “Presidentroon” zu einem Schwarzen Präsidenten oder Greisenpräsident, sobald ein Präsident über 80 Jahre alt ist. Ob wir es wichtig finden, das Lter, die Hautfarbe oder das Geschlecht zu erwähnen oder nicht, sollten wir selbst entscheiden. Und eben nicht die Grammatik der Sprache die wir verwenden.
Interessanter Weise ist gerade das Recht auf eine sexuelle Identität ein Gut, das durch den Kampf gegen Diskriminierung errungen werden soll. Wer’s nicht glaubt: Einfach mal LGBT googeln und anfangen zu lesen.
Natürlich. Niemand will irgendwem absprechen, seine sexuelle Identität so zu offenbaren, wie er oder sie es für richtig hält. Wer das tun will, der kann es ja tun. Aber gerade das “T” im Kürzel LGBT sollte zu denken geben – für Transsexuelle ist es eben nicht so einfach, sich als “er” oder “sie” zu identifizieren. (Ein Beispiel dafür findet man hier.) Ist ein Mann, der sich als Frau fühlt, nun ein “er” oder eine “sie”? Muss ich das wissen, wenn ich über diese Person rede – und es beispielsweise darum geht, dass sie brillant Snooker spielt oder geniale Mucke fabriziert?
Davon abgesehen, dass gerade das Gendern von Dienstgraden im Deutschen eine Forderung für Gleichberechtigung ist und mehr als eine “Amtfrau” bisher dabei nichr rauskam,
Das ist richtig. Momentan ist das Bestreben der meisten Leitfäden zur geschlechtergerechten Sprache (und davon habe ich einige gelesen), Frauen sichtbar zu machen. (Und – damit mich keiner missversteht – das ist gut so.) Ein Beispiel dafür ist diese Broschüre. Dort heißt es sehr treffend und das Problem gut auf den Punkt bringend: “Männer werden immer richtig eingeordnet, Frauen fast nie, denn in unserer Sprache gilt die Regel: 99 Sängerinnen und 1 Sänger sind zusammen 100 Sänger.” Als Beispiel wird in der Broschüre ein Text über die Funktion eines Bürgermeisters zitiert (unter Verwendung des generischen Maskulinums), und dann wird gesagt: “Eigentlich wissen Lesende, dass zum Beispiel ein Text wie der obige über den Bürgermeister auch für Frauen gelten soll. Dieses theoretische Wissen reicht aber nicht, um beim Lesen die Vorstellung von einer Frau als Bürgermeisterin ebenso zu aktivieren wie die Vorstellung eines Mannes. Es reicht ebenso wenig, um Frauen zur Identifizierung mit solchen Funktionen zu motivieren. Da maskuline Formulierungen nicht eindeutig sind, liegen Frauen auch nicht immer richtig, wenn sie sich „mitgemeint“ fühlen…”
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