Und was ist das? Nichts anderes als die Forderung an die anders Seienden, ihr Anderssein doch bitteschön für sich zu behalten, uns also nicht zu zwingen, uns damit auseinander zu setzen.
Auf den ersten Blick drückt das scheinbar genau das aus, was ich eben sagte – ich muss mich nicht mit dem Geschlecht auseinandersetzen, wenn ich nicht will. Ist es nur mein privilegiertes Denken, das hier zum Ausdruck kommt, so wie manche Leute sagen “I don’t see color”, wenn es um Rassenfragen geht? Nur auf den ersten Blick.
Schauen wir erst mal auf das “don’t ask, don’t tell”, also die Regel der US-Armee, dass Homosexuelle Soldaten nicht hinausgeworfen werden, solange sie sich nicht offen als homosexuell outen, dass sie aber auch nicht nach ihrer Orientierung gefragt werden. Diese Regel wurde zum Glück inzwischen aufgehoben – wie diskriminierend sie ist, kann man sich leicht ausmalen, wenn man sich z.B. vorstellt, Soldaten oder Soldatinnen erzählen vom Weihnachtsfest (und ein Mann sagt “Mein Partner”) oder wollen sich vom Partner oder der Partnerin zu einem Fest oder Ähnlichem begleiten lassen.
Eine geschlechtsneutrale Sprache ist aber gerade keine Form des “don’t ask, don’t tell”. Es ist umgekehrt: Die momentane Sprache zwingt uns, zum Geschlecht Farbe zu bekennen. SoldatInnen werden ja auch jetzt nicht gefragt, ob sie homosexuell sind – sie können es offenbaren, müssen es aber nicht. Stellt euch vor, ihr kommentiert irgendwo im Internet und gebt euch (mit Bedacht) einen Namen, dem man kein Geschlecht eindeutig zuordnen kann, vielleicht “Pat” oder “Chris”. (Dazu gibt es einen tollen Text von Douglas Hofstadter, in dem das Geschlecht der Beteiligten nicht genannt wird.) Und dann schreibt jemand anderes über euch und sagt “Pat sagt… Er …” (oder auch “sie”). Der (oder die) andere muss sich entweder entscheiden, oder eben sein Unwissen über euer Geschlecht explizit zum Ausdruck bringen und “er oder sie” schreiben. Auch das impliziert wieder sprachlich, dass das Geschlecht einer Person ein so wichtiges Merkmal ist, dass es einer Sonderkonstruktion bedarf, um auszudrücken, dass man es nicht kennt.
Hierzu eine Analogie: Vor 30 Jahren redete man Frauen ja noch – je nach Ehestand – mit “Frau” oder Fräulein” an. Ein Dialog bei einer Behörde konnte dann so aussehen: “Mein Name ist Cladia Müller.” “Frau oder Fräulein Müller?” Und wenn man über Frau Müller sprach und ihren Familienstand nicht kannte, dann sagte man eben explizit “Frau oder Fräulein Müller”, um zum Ausdruck zu bringen, dass diese extrem wichtige Information nicht zur Verfügung stand.
Und auch hier könnte man jetzt Jürgens Argumentation anführen: “Ueberall – und ganz besonders in der Wissenschaft – suchen wir nach Wegen, uns noch differenzierter auszudrücken…. nur in der Sprache, da müssen wir die Möglichkeit der Differenzierung abschaffen?”
Nein, ich will nicht die Möglichkeit der Differenzierung abschaffen, die gibt es nach wie vor. Ich will nicht das Geschlecht von Personen verbergen. Ich kann sagen “ich bin verheiratet, ich bin ein Mann”, wenn ich differenzieren will, ich kann sagen “der weibliche Admiral” wenn das Geschlecht wichtig ist. Die Sprache schafft aber nicht die Möglichkeit, sondern sie erzwingt die Differenzierung, ob wir sie wollen oder nicht. So als müsste man immer seine Hautfarbe mit-sagen (siehe den oben verlinkten Text von Hofstadter) oder sein Alter. Man könnte sich ja spaßeshalber eine Sprache vorstellen, die statt Pronomina das Alter benutzt, das wäre dann etwa so:
“MartinB (47) ist ein meist engagierter Blogger. 47s Texte werden von einigen Leuten gern gelesen. 47 arbeitet an einer Universität.”
Wäre auch eine tolle Differenzierungsmöglichkeit – aber eine, die vielen nicht schmecken dürfte (vielleicht wollt ihr nicht, dass irgendwer im Netz weiß, dass ihr erst 14 seid – dann müsstet ihr im Zweifelsfall eine falsche Zahl angeben.) Ich kann mein Alter angeben, ich muss es aber nicht tun.
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