Jürgen sagt weiter:
Gleichberechtigung heißt eben nicht, dass Frauen, Schwule, Schwarze etc. nicht als solche wahrgenommen werden, sondern dass sie sie selbst sein können, ohne dass es irgend einen Nachteil für sie bringt. Wenn sie ihre Identität nicht mehr unsichtbar machen müssen, sondern ungehindert Frauen, Schwule, Schwarze, Transgender oder was auch immer sein können.
Richtig. Aber Gleichberechtigung heißt eben auch nicht, dass wir Frauen (oder Schwule, Schwarze etc.) dazu zwingen müssen, in jedem Satz, der über sie gesagt wird, ihr Frau-, Schwul- usw.-Sein thematisieren zu lassen. (Das gleiche gilt logischerweise auch für Männer.) Schön wäre es, wir könnten ihnen und uns die Freiheit geben, selbst zu entscheiden, wann sie es ansprechen wollen (dann sagen wir eben “der weibliche Bundeskanzler”, “der schwarze Präsident”) und wann sie das nicht möchten oder wann es für den Kontext unwichtig ist. Und das erlaubt die (deutsche) Sprache bei allen Eigenschaften, mit Ausnahme des Geschlechts. (Bevor das jemand missversteht: ich trete nicht dafür ein, nur noch das generische Maskulinum zu verwenden – spätestens bei den zugehörigen eindeutig männlichen Artikeln und Pronomina merkt man, dass das nicht unproblematisch ist. Deswegen ist der Star Trek-Lösung auch nicht wirklich eine Lösung, es sei denn, wir schaffen alle weiblichen (oder alle männlichen) Formen konsequent ab.)
Ist die Sprache damit – wie ich mehrfach gesagt habe – sexistisch, weil sie diese Differenzierung beim Geschlecht erzwingt (aber eben nicht rassistisch, weil sie es bei der “Rasse” nicht tut)? Eine nicht geschlechtergerechte Sprache (also eine, die sich ohne viel Mühe des generischen Maskulinums bedient und die 99 Sängerinnen und den einen Kerl zu “100 Sänger” zusammenfasst) ist wohl auf jeden Fall sexistisch, weil sie Frauen unsichtbar macht. Aber – so ja das Argument – das ist eben ein falscher Gebrauch der Sprache, denn man kann sich ja geschlechtergerecht ausdrücken, auch wenn das manchmal etwa Mühe macht (nicht umsonst heißt einer vor Jürgens Texten ja “Die Mühe beim Sprechen). Wie ist es also mit der geschlechtergerechten Sprache?
Sie ist insofern nicht sexistisch, als sie – richtig angewandt – Frauen nicht direkt diskriminiert. Nichtsdestotrotz lenkt sie unser Augenmerk immer auf das Geschlecht der Personen, um die es gerade geht (ist meine fiktive Person nun “der Mathematiker” oder “die Mathematikerin”?) und macht es schwierig (beispielsweise im Internet) das Geschlecht einer Person unklar zu lassen – dazu braucht es besondere Konstruktionen wie “er oder sie”, die dann wieder offenbaren, dass wir das Geschlecht nicht kennen. In diesem Sinne auch die geschlechtergerechte Sprache immer noch sexistisch – man könnte hier auch “geschlechtsfixiert” sagen, weil dieser Aspekt der Sprache nicht diskriminiert (und ganz besonders wirft sie natürlich Probleme für Menschen auf, die nicht in herkömmliche Geschlechtsschemata passen).
Hinzu kommt aber noch etwas weiteres: Die Sprache macht uns das geschlechtergerechte Formulieren auf Grund ihrer Struktur (Artikel und Personalpronomina) nicht immer einfach, das machte ja auch der oben zitierte Leitfaden deutlich, wenn er von “Entlastungsstrategien” spricht – eine geschlechtergerechte Sprache bürdet uns eine Last auf. Sie ist nicht so groß, dass man sie nicht tragen könnte, aber sie ist auch nicht verschwindend. Diese Mühe impliziert, dass Frauen (und es sind ja eben Frauen, nicht einfach beide Geschlechter gleichermaßen) eine sprachliche “Sonderbehandlung” brauchen – und genau wie jede andere Sonderbehandlung auf Grund des Geschlechts ist das letztlich immer noch sexistisch. Und weil diese Extra-Mühe etwas ist, das die Sprache uns aufzwingt, ist die Sprache selbst in diesem Sinne sexistisch.
Man kann das vielleicht mit einer Analogie ganz gut erklären. Nehmen wir das beliebte Betriebssystem Windows 95 (ja, ich bin ja schon älter – und in den Kommentaren bitte nicht über Betriebssysteme diskutieren). Es war dafür bekannt, sehr anfällig für Viren und andere Sicherheitsangriffe zu sein. Natürlich konnte man sich vor diesen Angriffen schützen – man konnte Virenscanner installieren, firewalls hochziehen, das automatische Verbinden von Netzlaufwerken im Intranet einschränken und viele andere Dinge tun (und das tat man auch besser, sonst gab es unerfreuliche Überraschungen). Jemand, der andere Betriebssysteme verwendet, die inhärent sicherer sind als Win95, konnte deshalb sagen “Windows 95 ist ein unsicheres Betriebssystem.” Ein Windows-Verfechter konnte dem natürlich entgegenhalten: “Nein, ist es nicht, man muss eben nur Virenscanner installieren, und firewalls, und natürlich die updates und service packs nicht vergessen, und ab und an schaut man auch bei der Microsofthomepage, ob es neue Sicherheitslücken gibt. Wenn man das tut, ist das System sicher.” “Mag sein”, so die Antwort, “aber es zwingt dich, ständig über Sicherheit nachzudenken. Ein gutes Betriebssystem sollte inhärent sicher sein, so dass du deinen Kopf für andere Sachen frei hast.”
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