Ganz genauso ist es mit unserer Sprache. Sie ist nicht inhärent geschlechtergerecht, man kann sie geschlechtergerecht einsetzen, aber die hierfür notwendige Mühe lenkt unser Augenmerk eben auch dann auf das Geschlecht, wenn dieses im Kontext vollkommen unwichtig ist, und sorgt dafür, dass wir Frauen sprachlich eine Sonderbehandlung zukommen lassen müssen, weil wir sie “sichtbar machen” müssen.
Man kann sich das auch mit einer sehr naheliegenden Analogie veranschaulichen: In vielen gesellschaftlichen Bereichen (beispielsweise der Wissenschaft) sind Frauen ja unterrepräsentiert. Entsprechend gibt es Förderpläne und Richtlinie, die z.B. für eine bevorzugte Einstellung von Frauen bei gleicher Qualifikation sorgen und die Frauen auch ansonsten besonders unterstützen. Das ist – meiner Ansicht nach – auch gut und richtig so. Ziel dieser ganzen Fördermaßnahmen ist es aber natürlich letztendlich, sich selbst überflüssig zu machen, weil die Unterrepräsentation von Frauen eines Tages hoffentlich einfach nicht mehr existiert und das Geschlecht dann für die Frage, ob jemand brillant in Physik ist, eben gar keine Rolle mehr spielt, auch nicht in den Köpfen. Man kann hoffen, dass auch die geschlechtergerechte Sprache so funktioniert, dass uns die “gegenderte” Sprechweise eines Tages so in Fleisch und Blut übergegangen ist, dass es eben keiner Extra-Mühe mehr bedarf, sich geschlechtergerecht auszudrücken. Ich bezweifle aber, ob das ohne eine echte und auch grammatikalische Änderung der Sprache wirklich möglich ist – dazu sind Ausdrücke wie “der Mathematiker” oder auch “jemand, der” meiner Ansicht nach zu tief in unserer aktuellen Sprache verankert.
Fazit:
Ich gebe Jürgen recht, dass die Sprache geschlechtergerecht verwendet werden kann. Ich finde das nicht ganz so einfach wie er und ich sehe durchaus einen Unterschied darin, ob ich z.B. einen Satz im Singular oder Plural schreibe, oder ob ich “ein X” oder “wer X tut” oder “der X-ende” hinschreibe, und finde es zumindest unschön, wenn eine geschlechtergerechte Sprache mich zu sprachlichen Umwegen zwingt. (Es ist ja nicht nur die Mühe beim Sprechen, sondern eben auch beim Lesen – deswegen sprach der Leitfaden ja auch von Entlastungsstrategien; die sollen das Lesen leichter machen.) Eine geschlechtergerecht verwendete Sprache ist aber auf jeden Fall nicht in dem Sinne diskriminierend, wie es eine ist, die das generische Maskulinum verwendet, das ist richtig.
Auch eine geschlechtergerechte Sprache ist aber meiner Ansicht nach aus den genannten Gründen sexistisch – sie zwingt uns, uns ständig mit dem Geschlecht von Personen auseinanderzusetzen und bürdet uns eine Extra-Last auf, wenn wir gerecht sein wollen. Da die Extra-Last sich auf das Einbeziehen von Frauen bezieht, handelt es sich um eine eigentlich nicht wünschenswerte Sonderbehandlung.
Mein (im Deutschen im Moment wohl ohne weiteres nicht zu verwirklichendes) Ideal wäre eine geschlechtsneutrale Sprache, eine, in der das Geschlecht in der Grammatik zunächst genauso unsichtbar ist wie das Alter oder die Hautfarbe. Eine, in der “der Admiral” eben genausogut ein Mann wie eine Frau sein kann und in der das Geschlecht nur dann erwähnt werden muss, wenn es sinnvoll und wünschenswert ist.
Da es dieses Idealdeutsch nicht gibt, werde ich aber wohl weiter mit zumindest geschlechtergerechten Formulierungen experimentieren – sie sind auf jeden Fall besser als die generische Alternative.
Nachbemerkung:
Falls irgend jemand alte Texte von mir durchforstet, wird er oder sie (da ist es wieder…) merken, dass das, was ich hier schreibe, sich nicht zu 100% mit dem deckt, was ich letztes oder vorletztes Jahr geschrieben habe. Das ist mir bewusst – ich habe meine Meinung in den letzten Tagen etwas geändert, nachdem mir der Unterschied zwischen einer geschlechtergerechten Sprache, die Frauen explizit sichtbar macht, und einer (leider hypothetischen) geschlechtsneutralen Sprache klar geworden ist. Allein dafür haben sich zumindest für mich die Diskussionen gelohnt, auch wenn gelegentlich die virtuellen Fetzen flogen.
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