Archaeopteryx ist der Urvogel, den vermutlich so ziemlich jeder kennt. Aber inzwischen kennt man ja noch weitere Tiere, die dem Archaeopteryx sehr ähnlich sind und die sogar etwas früher gelebt haben. Wer fleißig diesen Blog liest, kennt Xiaotingia und Anchiornis. In China – wo sonst – wurde jetzt ein neues Fossil entdeckt, das den anderen drei wieder recht ähnlich ist.
Der neue Urvogel hat den schönen Namen Aurornis xui bekommen. “Aurora” ist lateinisch für “Morgenröte” (bzw. die zugehörige Göttin) oder “Dämmerung”, und “ornis” ist griechisch für “Vogel”. (Eigentlich müsste das Tier also korrekt “Aurorornis” heißen, aber das klingt nicht so schön.) Auch das griechische Wort “Eos” wird gern für entsprechende Wortbildungen verwendet, aber der Name “Eoornis” ist bereits belegt, für den mongolischen “Woofen-Poof”
So sieht Aurornis aus (jedenfalls sein Fossil):
Aus P. Godefroit et al., s.u.
Man erkennt sofort, dass es sich um eine Art kleinen Raubsaurier handelt – wir haben die typischen langen Hinterbeine, einen langen Schwanz und einen Saurierschädel. Ein Blick auf die Vorderbeine zeigt, dass es sich um einen engen Verwandten der Urvögel und der Dromaeosaurier (wie beispielsweise die berühmten “Raptoren” aus Jurassic Park) handelt: Die Finger sind sehr lang, der zweite und dritte Finger sind etwas aneinandergepresst und das Handgelenk erlaubt es, die Hand nach hinten zu falten wie bei einem heutigen Vogel.
Das Fossil ist insgesamt wunderbar gut erhalten, so dass es auch möglich ist, Aurornis zu rekonstruieren. Hier ein Bild
Von El fosilmaníaco – 1, CC BY-SA 3.0, Link
Wie so viele Rekonstruktionen folgt auch diese dem Schema, dass die Schnauze ungefiedert ist – soweit ich weiß, gibt es dafür keinen sinnvollen Grund, außer dass es die Ähnlichkeit zu heutigen Vögeln verstärkt. Das gelegentlich vorgebrachte Argument, das sei sinnvoll, weil das Tier so beim Fressen der Beute sein Gefieder nicht verschmutzt, ist eher schwach; Säugetiere kommen auch prima mit Fell auf der Schnauze klar.)
Das zugehörige Nature-paper, in dem die Entdeckung verkündet wurde, ist ziemlich knapp gehalten – es besteht im wesentlichen aus einer genauen Beschreibung des Fossils, aber die meisten von euch dürften detaillierte Erklärungen der Art “In contrast to Anchiornis and Mei, the nares of Aurornis do not extend beyond the rostral border of the antorbital fenestra” nicht soo unglaublich spannend finden (mich reißen sie auch nicht vom Hocker, besonders, wenn sie sich über knapp zwei Seiten erstrecken). Die anatomischen Details spare ichmir also…
Zu einem anständigen chinesischen Raubsaurierfossil gehören natürlich auch Federn – bei Aurornis sind einige im Bereich des Schwanzes und im Hals- und Brustbereich erhalten, aber leider keine Flugfedern.
Platziert man Aurornis in eine Analyse der Verwandtschaftsverhältnisse der vogelartigen Raubsaurier und ersten Vögel (man erstellt also ein Kladogramm), dann kommt das hier heraus:
Aus P. Godefroit et al., s.u.
Lasst euch von den vielen namen nicht abschrecken – wichtig ist hier nur, welcher teil des Diagramms nachher zu den Vögeln (rechts oben eingezeichnet) führt. Und da seht ihr, dass unten (markiert mit dem Wort “Avialae”) die Abzweigung zwischen den ersten Urvögeln und den anderen Dinosauriern (Troodontidae) liegt. Und der erste Punkt hinter dieser Abzweigung ist Aurornis – nach dieser Analyse ist Aurornis also der erste Urvogel. (Falls ihr euch wudnert, dass die einzelnen Arten alle immer am Ende eines Zweigs sitzen und nie mal irgendwer der direkte Vorfahre von irgendwem ist, dann lest den oben verlinkten Artikel zum Thema Kladogramme, da erkläre ich das im Detail.)
Also ist Aurornis der erste Urvogel? Der Titel des papers “A Jurassic avialan dinosaur from China resolves the early phylogenetic history of birds” (zu Deutsch etwa “ein jurassischer avialer Dinosaurier aus China klärt die frühe Phylogenie der Vögel”) scheint ja darauf hinzudeuten, dass die Autoren (soweit ich sehe, sind alle Namen männlich) das so sehen. Aber das ist dann doch etwas arg übertrieben. Immerhin hatten wir vor zwei Jahren Xiaotingia, dessen Entdeckung dafür sorgte, dass Archaeopteryx aus dem direkten Vogelstambaum herausgerückt und dichter an die Dromaeosaurier geschoben wurde. Jetzt, mit dem neuen Fossil, ist Archaeopteryx wieder an seinem Platz und Aurornis und Anchiornis liegen etwas darunter – aber ob das für längere Zeit so bleibt, ist fraglich. Man darf nicht vergessen, dass nur im Nachhinein, aus unserer heutigen Sicht, der Position unten am Vogelstammbaum eine besondere Bedeutung zukommt. Damals liefen oder flatterten ziemlich viele gefiederte Dinos herum, die sich alle sehr ähnlich waren. Einige von denen hatten Nachfahren, die dann zu den heutigen Vögeln wurden – aber aus der damaligen Sicht waren sie alle ziemlich ähnlich.
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