Warum verrennen sich Menschen oft in Ideen, die jedem Außenstehenden offenkundig absurd erscheinen? Warum rechtfertigen Menschen ihr Verhalten auch dann, wenn eindeutig bewiesen ist, dass das Verhalten falsch war? Mit solchen Fragen beschäftigt sich das Buch “Mistakes were made (but not by me)”, das ich im Urlaub (der jetzt leider vorbei ist, schnüff…) gelesen habe.
Das Buch stammt von den beiden Psychologinnen Carol Travis und Elliot Aronson (es gibt auch eine deutsche Übersetzung unter dem nicht ganz so geglückten Titel “Ich habe recht, auch wenn ich mich irre”, die habe ich aber nicht gelesen). Es enthält Beispiele aus den unterschiedlichsten Lebensbereichen – von der Psychotherapie und dem Aufdecken angeblich verschütteter Erinnerungen, über Vorurteile, ungerechtfertigte Polizeiübergriffe und die Schwierigkeit, Fehlurteile aufzuheben, bis hin zu Eheproblemen und Kriegen.
Alle diese Probleme haben eins gemeinsam: Sie beruhen auf kognitiver Dissonanz. (Warnung: Ich bin kein Psychologe und gebe Ideen aus dem Buch hier vereinfacht und verkürzt wieder, ich hoffe, ich erzähle dabei keinen Unsinn, falls doch, beschwert euch in den Kommentaren.)
Kognitive Dissonanz liegt dann vor, wenn wir zwei widersprüchliche Überzeugungen haben – beispielsweise, wenn ich einerseits glaube, ein netter Mensch zu sein, aber andererseits gerade jemanden ungerechtfertigt angemotzt habe. Bin ich doch kein so netter Mensch? Oder habe ich etwa einen Fehler gemacht? Der bequemste Weg, das Problem zu lösen, besteht darin, die Handlung passend zu rechtfertigen: Immerhin wurde ich ja provoziert und ich hatte einen anstrengenden Tag und wenn die Person etwas freundlicher gewesen wäre, hätte ich bestimmt nicht so reagiert etc. So etwas hat vermutlich jeder schon mal erlebt (falls ihr glaubt, dass ihr davor gefeit seid, ist die Wahrscheinlichkeit wesentlich höher, dass ihr die Kunst der Selbstrechtfertigung besonders gut beherrscht…)
Kognitive Dissonanz und die Selbstrechtfertigung, die zum Aufheben (oder besser gesagt Unterdrücken) der Dissonanz notwendig ist, finden sich in all den oben genannten Beispielen. Je größer die Dissonanz ist, desto stärker ist der Drang, sie durch Rechtfertigung aufrecht zu erhalten. Ein Beispiel dafür sind Initiationsriten, wie es sie beispielsweise in amerikanischen Unis gibt, wo die Frischlinge unangenehmen und demütigenden Ritualen unterzogen werden. Hat man so ein Ritual erst einmal hinter sich gebracht, dann würde kognitive Dissonanz entstehen, wenn man hinterher bemerkt, dass die Gruppe, der man jetzt angehört, gar nicht so toll ist, wie man dachte. Je mehr man investiert, desto stärker ist der Drang, die Investition zu rechtfertigen. Kontrollierte Experimente zeigen, dass unangenehme Aufnahmerituale tatsächlich die Neigung erhöhen, die Gruppe, in die man aufgenommen wurde, toller zu finden. In ähnlicher Weise neigen Leute, die sich etwas besonders Teures gekauft haben, dazu, diese Anschaffung zu rechtfertigen (weswegen es tendenziell keine gute Idee ist, diese Leute zu fragen, um sich eine Meinung zu bilden); und wer viel Geld für eine alternative Heilmethode investiert hat, wird sie auch dann verteidigen, wenn der Erfolg ausbleibt.
Vor solchen Mechanismen ist niemand sicher – nicht einmal die Leute, die das Phänomen erforschen. Elliot Aronson erzählt die Geschichte, wie er sich durchgerungen hat, ein Haus zu kaufen, obwohl ein anderes Angebot in vieler Hinsicht besser war. Eine der Vorzüge, den das Haus bot, war, dass es in der Nähe eines Sees lag und er deshalb im Sommer dort Boot fahren könnte. Und so kam er eines Abends mit einem frisch gekauften Kanu auf dem Autodach nach Hause – mitten im Januar und in tiefstem Schneegestöber. Erst als seine Frau darüber lachte, merkte er, dass er selbst ein Opfer der Rechtfertigung geworden war: Das Kanu zu kaufen, erhöhte für ihn den Wert des Hauses und rechtfertigte im Nachhinein die Entscheidung.
Die vielen Beispiele im Buch und die dahinter stehenden Mechanismen will ich jetzt nicht alle aufzählen – das hier ist ja nur ein Lesetipp. Einen kleinen psychologischen Trick aber will ich erwähnen, weil ich ihn verblüffend und gleichzeitig einleuchtend fand: Stellt euch vor, ihr wollt euch mit jemandem gut stellen, der euch nicht so ganz wohlgesonnen ist. Man könnte meinen, es wäre das beste, dieser Person einen Gefallen zu tun, damit sie euch Dank schuldet. Noch besser ist es aber, wenn ihr es schafft, sie dazu zu bringen, dass sie etwas für euch tut – denn dann muss sie diesen Gefallen, den sie euch getan hat, rechtfertigen, und das geht am einfachsten, indem sie ihre negative Meinung von euch ändert. Den Trick kannte übrigens schon Benjamin Franklin.
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