Feynmangraphen sind also in dieser Hinsicht ziemlich irreführend.
Sie sind sogar noch irreführender, wenn man bedenkt, dass es ja noch ganz andere Möglichkeiten dafür gibt, dass dieser Prozess stattfinden kann, beispielsweise diese hier
Hier wird zwischen den Teilchen noch ein weiteres Photon ausgetauscht, und auch das ist ein möglicher Prozess. Und auch dieser Prozess hier ist möglich:
Alle denkbaren Möglichkeiten, wie aus einem Elektron und einem Positron ein Myon-Anti-Myon-Paar werden kann, müssen in die Berechnung mit einbezogen werden.
Wenn ihr einen Moment nachdenkt, dann seht ihr, dass das unendlich viele Möglichkeiten sind – denn ein Elektron kann immer ein Photon aussenden, das von einem anderen geladenen Teilchen absorbiert wird. Der wahre Prozess ist also eine Überlagerung aus unendlich vielen einzelnen Feynmandiagrammen, von denen jedes einzelne wiederum eine Überlagerung unendlich vieler möglicher Orte und Zeiten für die einzelnen Knotenpunkte ist.
Dass Feynmandiagramme trotz dieser vielen Unendlichkeiten oft so nützlich sind, liegt daran, dass die elektromagnetische Wechselwirkung vergleichsweise schwach ist: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Elektron ein Photon aussendet, ist vergleichsweise klein. Für jeden Punkt in einem Feynmandiagramm, an dem eine Photonlinie beginnt oder endet, muss man in die Wahrscheinlichkeitsberechnung für diesen Prozess also eine kleine Zahl einbeziehen. Diagramme mit sehr sehr vielen solchen Punkten tragen deswegen zum Gesamtprozess nur sehr wenig bei. (Auf der anderen Seite werden es natürlich auch immer mehr mögliche Diagramme. Soweit ich weiß, ich nicht wirklich sauber bewiesen, dass diese unendlich vielen Diagramme tatsächlich immer weniger beitragen und vernachlässigt werden können – aber die Vorhersagen der Theorie sind so gut, dass das wohl für alle praktischen Zwecke in Ordnung geht.) Diesen Trick nennt man übrigens auch “Störungstheorie” – die komplizierteren Diagramme haben nur einen geringen Einfluss und können deshalb als kleine Störung betrachtet werden.
Feynmandiagramme funktionieren also deshalb so gut, weil wir meist nicht all zu viele von ihnen berücksichtigen müssen – und das wiederum klappt, weil die elektromagnetische Wechselwirkung einigermaßen schwach ist. Bei der starken Kernkraft, die die Quarks in den Protonen zusammenhält, ist das anders: Hier ist die Wechselwirkung so stark, dass in den meisten Fällen auch die feynmandiagramme mit vielen Knotenpunkten nicht vernachlässigt werden dürfen. Deswegen werden in dieser Theorie oft keine Feynmandiagramme berechnet, sondern andere Wege beschritten; beispielsweise die Simulation der Quantenfelder selbst. Einige Effekte der QFT lassen sich auch gar nicht mit Hilfe von Feynmandiagrammen beschreiben, ein (ziemlich kompliziertes) Beispiel findet ihr hier.
Virtuelle Teilchen
Aber es kommt noch etwas komplizierter. Betrachten wir nochmal das Beispiel oben, bei dem sich Elektron und Positron vernichten und – zwischendurch – ein Photon herauskommt. Dieses Photon hat – wegen der Erhaltungssätze – genau die Energie und den Impuls der ankommenden beiden Teilchen. Nehmen wir als Beispiel an, dass unsere beiden einlaufenden Teilchen frontal zusammenstoßen. Dann ist ihr Gesamtimpuls Null, das Photon hat also auch keinen Impuls, sondern nur Energie. Für Energie und Impuls eines “echten” Photons gilt aber die einfache Beziehung p=E/c (Impuls gleich Energie durch Lichtgeschwindigkeit). Beide Beziehungen lassen sich nicht gleichzeitig erfüllen.
Unser Photon im Inneren des Feynmangraphen ist ein virtuelles Photon – eins, das nicht die richtige Beziehung zwischen Energie und Impuls hat. Generell sind alle Teilchen, die auf den inneren Linien eines Feynmandiagramms auftauchen, solche “virtuellen” Teilchen. (Für ein virtuelles Teilchen mit Masse gilt dann die Gleichung für die kinetische Energie – in der klassischen Physik E=(1/2) m v² – nicht.) Aus Gründen, die ich jetzt hier nicht erkläre, bezeichnet man solche Teilchen als Teilchen, die “nicht auf der Massenschale liegen” (man sagt auch kurz, sie sind “off-shell”).
Virtuelle Teilchen verletzen also die korrekte Beziehung zwischen Energie und Impuls. Sie verletzen aber nicht die Energie- und Impulserhaltung – im Gegenteil: Sie sind ja gerade deshalb “off-shell”, damit sie die Erhaltungssätze korrekt erfüllen können. Die Energie ist auch bei virtuellen Teilchen erhalten.
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