Interessanterweise hat für sie das Elektron auch keine kinetische Energie. Der Energiegehalt eines Systems hängt also von der Beobachterin ab.
Das ist ein Punkt, der in Büchern zur klassischen Physik oft nicht gewürdigt wird: Wie viel Energie in einem System steckt, hängt davon ab, wie ihr euch relativ zum System bewegt. Das gilt auch für das Universum als ganzes – es gilt zwar für jede Beobachterin Energieerhaltung, aber wie groß die Gesamtenergie ist, darüber herrscht keine Einigkeit. Das ist die so genannte Galilei-Invarianz. (Sehr schön erklärt im Buch von Penrose “Road to Reality”.)
Das man Raumpunkte nicht irgendwie kennzeichnen kann (außer durch Objekte, die man dort platziert), kann man nicht entscheiden, wer recht hat. Ist der Tisch mit den Detektoren fest im Raum verankert oder ist es das Elektron, während der Tisch sich durch den Raum bewegt? Das kann man schlicht und einfach nicht sagen.
Newton selbst hat das so übrigens nicht so akzeptiert – er glaubte an einen absoluten Raum, obwohl seine Bewegungsgesetze keine Möglichkeit bieten, diesen absoluten Raum festzulegen. Kant hat das dann entsprechend übernommen, als er seine Kritik der reinen Vernunft schrieb, und den absoluten Raum sogar zu einer Denknotwendigkeit erklärt.
Newton hatte auch einen guten Grund, das so zu glauben – einige Bewegungen lassen sich nämlich “absolut” messen. Immer wenn sich etwas dreht, dann wirken Fliehkräfte, und diese Kräfte könnt ihr nicht einfach dadurch zum Verschwinden bringen, dass ihr euch passend mitbewegt. Zum Glück muss ich das nicht ausführlich erklären, denn das hat Florian schon mal gemacht, und zwar in dieser Buchrezension hier. Mich würde das aber etwas vom eigentlich Ziel dieses Artikels abbringen, denn es soll hier ja nicht so sehr darum gehen, was Raum und Zeit sind (obwohl ich dazu gleich noch ein bisschen was sagen werde), sondern darum, was unser Elektron tut.
Also: Im Ruhesystem unseres Tisches bewegt sich das Elektron mit einer konstanten Geschwindigkeit von A nach B und hat dabei eine kinetische Energie. Für eine andere Beobachterin stellt sich die Sache anders dar, das Elektron ruht und hat entsprechend auch keine kinetische Energie.
So, das ist jetzt aber wirklich alles, was es darüber in der klassischen Physik zu sagen gibt. Oder?
Oder auch nicht.
Das Lagrange-Prinzip
Man kann die Bewegung des Elektrons auch noch auf ganz andere Weise beschreiben. Innerhalb der klassischen Physik ist diese Beschreibung nur eine mathematisch elegante Umformulierung, die keine neuen physikalischen Erkenntnisse bringt, aber wenn wir später zur Quantenmechanik übergehen, wird sie uns sehr nützlich sein.
Diese Beschreibung ist das sogenannte Lagrange-Prinzip oder auch Prinzip der kleinsten Wirkung. Es funktioniert so:
Wir wissen nicht, was das Elektron auf seinem Weg von A nach B gemacht hat, wir wissen nur, dass es zu einer Zeit bei A und zu einer anderen Zeit bei B war. Welchen der möglichen Wege hat es genommen?
Dazu betrachtet man alle denkbaren Wege, die das Elektron hätte nehmen können: Den direkten Weg, einen Weg, wo es dreimal zwischen A und B hin- und herflitzt, einen, bei dem es das erste Stück ganz gemächlich dahinkriecht und dann plötzlich beschleunigt, um gerade noch rechtzeitig anzukommen, einen, bei dem es erstmal zum Jupiter fliegt (überlichtschnell, aber das macht nix, noch sind wir in der ganz klassischen Physik) und so weiter. Dabei ist wichtig, dass zwei “Wege” auch dann unterschiedlich sind, wen das Teilchen genau dieselbe Strecke zurücklegt, nur auf unterschiedliche Weise. Es ist also ein anderer Weg, wenn das Elektron erst 10 Zentimeter mit einer Geschwindigkeit von 0,2m/s zurücklegt und dann nach einer halben Sekunde plötzlich schneller wird, um nach einer Sekunde anzukommen. Hier sind ein paar der Wege in unser Diagramm eingezeichnet (alle unendlich vielen Möglichkeiten einzuzeichnen ist etwas unübersichtlich):
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