Wenn wir jetzt zusätzlich die Möglichkeit berücksichtigen, dass das Elektron unterwegs noch Photonen aussenden kann, dann wissen wir schon, wie sich das am Ende auf die Ergebnisse auswirken muss: Gar nicht. Denn die Masse des Elektrons, die die Bewegung bestimmt, haben wir experimentell gemessen und der Wert, den wir da herausbekommen haben, muss der Wert sein, der am Ende aller Rechnungen auch in unserer Quantenelektrodynamik herauskommt. Der gemessene Wert der Elektronenmasse muss also den Einfluss des Photon-Aussende-Prozesses (und aller anderen denkbaren Prozesse) schon enthalten.
Findet ihr das verwirrend? Falls ja, kann ich euch beruhigen: Ist es auch. Es ist deswegen verwirrend, weil wir mit zwei unterschiedlichen Konzepten von “Masse” hantieren: Das eine ist die experimentell bestimmte Masse, die wir bekommen, wenn wir beobachten, wie unser Teilchen von A nach B fliegt. Das andere ist die “theoretische” Masse, die als Zahl in unsere Gleichungen für die Quantenelektrodynamik eingeht. Diese Zahl selbst ist keine beobachtbare Größe – beobachten können wir nur die experimentelle Masse. Die experimentelle und die theoretische Masse sind nicht identisch, weil in die experimentelle Masse auch noch der Prozess eingeht, bei dem das Elektron unterwegs ein Photon aussendet und dann wieder einfängt. (Und falls jemand fragt, wie das nun wieder mit der Relativitätstheorie und der Gravitation zusammenhängt – die schwere Masse des Elektrons ist auch die, in der alle diese Effekte schon drin sind.)
Oft spricht man bei der theoretischen Masse auch von der “nackten” Masse, weil es eben die Masse ohne alles ist, also ohne zusätzliche Effekte durch Photonenaussendung und so. Die experimentelle Masse heißt oft “effektive Masse”, weil es die ist, die sich am Ende (also “effektiv”) ergibt, wenn man alle Effekte berücksichtigt. (Ein ähnliches Phänomen gibt es übrigens in der Festkörperphysik: Elektronen in einem Kristallgitter benehmen sich fast wie freie Elektronen, aber die Wechselwirkung mit dem Kristallgitter äußert sich darin, dass sich ihre Energie-Impuls-Beziehung ändert. Das erkläre ich übrigens ausführlich in meinem demnächst hoffentlich erscheinenden Buch zu meiner Vorlesung.)
Wie groß der Unterschied zwischen experimenteller und theoretischer Masse ist, hängt davon ab, wo wir unseren Wert für den Grenzimpuls annehmen, je größer der ist, desto größer ist der Unterschied. (Und wenn wir beliebig große Impulse zulassen, dann wird der Unterschied unendlich groß.) Was man jetzt mathematisch trickst ist das Folgende: Man berechnet, wie groß der Unterschied zwischen der experimentellen und der theoretischen Masse ist, und zwar abhängig von dem Wert des Grenzimpulses (auch gern als “cutoff” bezeichnet) und schreibt die Gleichungen mit diesem Wert der theoretischen Masse, so dass sichergsetellt ist, dass nach Einbeziehen der Photon-Aussendung die experimentell gemessene Masse rauskommt. Und dann zeigt man, dass man den Massenterm für beliebige Werte des cutoffs so anpassen kann, dass immer die experimentell beobachtbare Masse herauskommt. (Mathematisch klappt das sogar mit einem Grenzübergang für unendlich große cutoffs, aber physikalisch ist das – wie oben angemerkt – vermutlich nicht wirklich sinnvoll.) Damit ist sichergestellt, dass die Theorie funktioniert – wir wissen zwar nicht, wo der cutoff liegt, aber wir können immer sicherstellen, dass am Ende eine Übereinstimmung mit dem Experiment herauskommt.
Mir ist gerade eine Analogie eingefallen, ich weiß nicht, ob die euch weiterhilft, aber ich versuch’s mal damit: Stellt euch vor, ein reicher Erbonkel vermacht euch einen Prozentsatz seines Vermögens. Leider wisst ihr nicht, wie groß der Prozentsatz ist (1%, 10%, 99%?), und ihr wisst auch nicht, wie groß sein Vermögen tatsächlich ist. Irgendwann bekommt ihr dann von der Kanzlei Fish&Cage eine Überweisung über eine Million Euro, euer effektives Erbe. Wenn ihr 1% bekommen habt, dann betrug das Vermögen des Onkels 100Millionen, wenn es 10% waren, 10 Millionen und so weiter. Abhängig vom Wert des Prozentsatzes (des cutoffs) könnt ihr das wahre, unbeobachtbare (“nackte”) Vermögen berechnen.
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