Diesen Trick, mit dem man die Theorie rückwärts an die Beobachtung anpasst, nennt man “Renormierung”. Ist ein etwas blöder Name, weil wir ja noch gar nicht “normiert” haben, also können wir es auch nicht “renormieren”, aber geeignet gewählte Worte sind ja nicht immer die Stärke der PhysikerInnen. Im Englischen heißt der Prozess übrigens “renormalisation” und manchmal liest man dann im Deutschen das Wort “Renormalisierung”, das ist aber falsch und ein Zeichen dafür, dass jemand falsch rückübersetzt.
Genau so, wie wir es hier für die Masse gemacht haben, muss man auch andere Größen “renormieren”, beispielsweise die elektrische Ladung. Generell gilt, dass jede Größe, die in die fundamentalen Gleichungen einer Quantenfeldtheorie eingeht, renormiert werden muss, um Theorie und Experiment zusammenzubringen.
Der Trick mit der Renormierung klappt allerdings nicht immer – manche Theorien sind nicht renormierbar, es gibt also keinen mathematisch sauberen Weg, die Unendlichkeiten (oder die Abhängigkeit vom cutoff) sauber rauszubekommen. Solche Theorien sind dann physikalisch nicht sinnvoll. Ein Beispiel dafür ist die Quantengravitation: Einfache Ansätze, die allgemeine Relativitätstheorie zu einer Quantentheorie zu machen, scheitern genau an diesem Problem. Auch aus persönlicher Erfahrung kenne ich das Problem der Renormierbarkeit: Zu meiner Promotionszeit gab es einen Probevortrag zu einer Doktorarbeit, die eigentlich schon fast fertig zu sein schien. In der Fragestunde wies dann einer der anwesenden Professoren darauf hin, dass die Theorie – entgegen dem ersten Anschein – nicht ohne weiteres renormierbar sein dürfte, was die Bearbeitungszeit der Doktorarbeit dann nicht unbeträchtlich verlängerte.
So langsam wird der Weg unseres Teilchens von A nach B wirklich ziemlich kompliziert, oder? Nicht nur, dass wir alle Möglichkeiten betrachten müssen, wie das Teilchen fliuegen kann, jetzt kann es unterwegs auch noch “virtuelle Teilchen” aussenden und wieder einfangen und das, was wir experimentell für die Eigenschaften unseres Teilchens (wie Masse oder Ladung) halten, ist gar nicht das, was das Teilchen “wirklich” an Eigenschaften hat. Und dabei habe ich bisher nur ein einfaches Elektron angeguckt, das auch nur Photonen aussenden konnte. In Wahrheit gibt es aber ja auch noch andere Teilchen in der Welt, die das ganze noch weiter verkomplizieren. Das tun sie dann aber erst im nächsten Teil.
Zum Abschluss ein kleiner Warnhinweis: Ich habe bei der Darstellung der Renormierung einiges stark vereinfacht und viele Komplikationen komplett weggelassen (beispielsweise kann man sich fragen, was passiert, wenn das Elektron zwei Photonen nacheinander aussendet und dann wieder einfängt – das gibt zusätzliche Beiträge zur Renormierung, die man auch berücksichtigen muss). So ganz tief ist mein eigenes Verständnis der Renormierung auch nicht – obwohl ich denke, dass ich die Grundidee richtig wiedergegeben habe, übernehme ich keine Garantie, dass ich nicht irgendwo begrifflich oder sonstwie etwas geschlampt habe.
Lesetipp: Eine konzeptionell sehr klare (und zudem ziemlich lustige) Darstellung (in Dialogform!) der Renormierung findet ihr im Buch “Quantum Field Theory in a Nutshell” von Zee, Kapitel III.1.
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