Über fünf Teile dieser Serie haben wir jetzt den Weg eines Teilchens von A nach B verfolgt und dabei immer mehr Komplikationen eingebaut, bis schließlich sogar der ominöse Higgs-Mechanismus ins Spiel kam. Anscheinend ist es gar nicht so einfach, mal eben von A nach B zu fliegen, wie man denkt. In diesem letzten Teil der Serie möchte ich mir noch ein paar allgemeine Gedanken zu den vielen Modellen machen, mit denen wir es zu tun hatten. (Ihr könnt diesen Teil übrigens auch dann lesen, wenn euch die anderen zu kompliziert und abgefahren waren…)
Zwei Dinge sind meiner Ansicht nach an diesem einfachen Beispiel bemerkenswert. Das erste ist ziemlich offensichtlich, aber dennoch immer wieder ein Anlass zum Staunen: Man kann eins der simpelsten Phänomene der Welt betrachten und landet am Ende bei den fundamentalsten Gesetzen. Ein Beleg dafür, dass in der Naturwissenschaft alles mit allem verknüpft ist (während EsoterikerInnen und andere ja die Wissenschaft gern als eine Art Buffet betrachten, wo sie sich mit den Ergebnissen bedienen, die ihnen schmecken, und die anderen liegen lassen). Egal welches simple Phänomen ihr anguckt – guckt ihr genau genug hin, dann findet ihr überall faszinierende Wissenschaft und landet bei den letzten Fragen.
Noch etwas anderes ist bemerkenswert, und vielleicht viel weniger offensichtlich: Jede unserer Überlegungen und Beschreibungen, egal ob in der klassischen Physik, der Quantenmechanik oder der Quantenfeldtheorie, war in sich schlüssig und gab eine sinnvolle Beschreibung des Wegs von A nach B; aber je weiter wir kamen, desto mehr Effekte wurden berücksichtigt. Für die meisten praktischen Zwecke können wir makroskopische Teilchen mit den Mitteln der klassischen Physik beschreiben und Elektronen, die sich nicht zu schnell bewegen, mit den Mitteln der Quantenmechanik. Welche Beschreibung angemessen ist, ist vor allem eine Frage dessen, was wir eigentlich mit unserer Beschreibung erreichen wollen. Alle Beschreibungen sind Modelle – sie haben unterschiedliche Reichweite und Anwendungsbereiche, aber jede Beschreibung hat ihren Daseinszweck, und es wäre ziemlich unsinnig, einen Ball, der von A nach B rollt, mit der vollen Maschinerie der QFT berechnen zu wollen. Über diese Kunst des Denkens in Modellen habe ich auch schon mal ausführlich nachgedacht.
Ist es eigentlich selbstverständlich, dass das so ist, dass wir also für einfache Fragestellungen auch einfache Modelle finden, die von der zu Grunde liegenden Komplexität nichts merken?
Einerseits ist es natürlich plausibel, dass wir Quanteneffekte eben nur dann bemerken, wenn wir Phänomene betrachten, bei denen die relevanten physikalischen Größen von der Größenordnung des Planckschen Wirkungsquantums sind, und dass sich auf einer größeren Skala eine andere physikalische Theorie ergibt. (Im dritten Teil hatten wir ja genau das mit Hilfe des Pfadintegrals gesehen: Bei hinreichend großen Teilchen ergibt sich gerade das Prinzip der kleinsten Wirkung.) Eine solche Theorie, die sich aus einer grundlegenden Theorie als Grenzfall ergibt, nennt man auch eine effektive Theorie. Auch unser aktuelles Standardmodell ist vermutlich so eine effektive Theorie, die sich aus einer fundamentaleren Theorie ergibt, in der die Gravitation einbezogen ist. (Einige Leute glauben ja, dass eine solche Theorie mit Strings zu tun hat.)
Dass es effektive Theorien gibt, erscheint auf den ersten Blick nicht besonders verwunderlich: Wenn man in den mathematischen Formeln, die eine fundamentale Theorie beschreiben, einige Konstanten sehr klein oder sehr groß werden lässt, dann werden einige Terme in den Formeln eben klein gegenüber anderen und können vernachlässigt werden. Dadurch ergeben sich näherungsweise andere Formeln, die eben zur effektiven Theorie gehören. Unsere klassische Physik ist also deswegen so einfach, weil wir sehr viele Effekte einfach nicht berücksichtigt haben und die entsprechende effektive Theorie deswegen einfach ist.
Ich bin mir aber nicht sicher, ob das wirklich zwingend so ist. Es gibt nämlich auch mindestens eine physikalische Theorie, die diese Eigenschaft nicht hat: Die Strömungsmechanik. (Achtung: Ich bin kein Strömungsmechanik-Experte – sollte ich hier also Unsinn schreiben, hinterlasst bitte einen Kommentar.)
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