Dazu wurde direkt die Reaktion der Rentiere auf Licht gemessen. Da man das nicht machen kann, indem man die Rentiere (wie bei menschlichen Gesichtsfelduntersuchungen) Knöpfe drücken lässt, wenn sie was sehen, hat man den Tieren (unter Betäubung) Sensoren angebracht, die direkt die Reaktion der Netzhaut messen (ein Elektroretinogramm). Und unter schwachem Licht, wie es im Polarwinter vorherrscht (mit hohem Blauanteil, weil blaues Licht in der Atmosphäre stärker gestreut wird), ist die Reaktion der Winter-Augen (rechts) deutlich stärker als die der Sommer-Augen (links).

rentier4

Aus Stokkan et al., s.u.

Im Bild nimmt die Signalstärke von oben nach unten zu, man erkennt deutlich, dass die Winter-Augen stärker reagieren.

Fragt sich nur noch, warum das so ist. Eindeutig herausbekommen haben die ForscherInnen das nicht, aber sie haben zumindest ein plausibles Modell gefunden: Die Winter-Augen reflektieren das einfallende Licht nicht direkt, sondern streuen es innerhalb des Auges, etwa so:

rentier3c

Aus Stokkan et al., s.u.

Dadurch würde zwar die Ortsauflösung abnehmen, aber die Sensitivität gegen Lichtveränderungen würde zunehmen – genau das, was ihr braucht, wenn ihr ein Rentier im Polarwinter seid und wissen wollt, ob irgendwo ein hungriger Wolf rumschleicht.

Die veränderte Struktur wird also zwar durch die dauerhaft erweiterte Pupille hervorgerufen, hat aber anscheinend auch echte Vorteile. Bleibt noch zu klären, ob hier eine echte evolutionäre Anpassung oder eher ein Glücksfall vorliegt. Für die Anpassung spricht, dass ein Absenken des Augendrucks allein ja nicht ausreicht, um die Struktur wieder zu verändern, insofern passiert da möglicherweise noch mehr im Rentierauge.

Auf jeden Fall könnt ihr nächstes Jahr zu Weihnachten ja mal prüfen, ob Rudolf im Winter goldene oder blaue Augen hat.

                                   

Karl-Arne Stokkan, Lars Folkow, Juliet Dukes, Magella Neveu, Chris Hogg, Sandra Siefken, Steven C. Dakin and Glen Jeffery
Shifting mirrors: adaptive changes in retinal reflections to winter darkness in Arctic reindeer
Proc. R. Soc. B 2013 280, 20132451

1 / 2

Kommentare (9)

  1. #1 rolak
    1. Februar 2014

    das TL (oder die TL?)

    Freie Auswahl, nehme ich an: Das lateinische tap(p)etum ist (n), also ‘das’; davon entstammen ‘der’ Teppich bzw Wandbehang als auch ‘die’ Tapete. Oder eben ‘die’ Schicht. Vom Gesamtklang her bevorzugen würde ich ‘das’.

    goldene oder blaue

    Die Farbe wird passend zur Stimmungslage halluziniert 😉

    Was für erstaunlich tiefgehende Betrachtungen schon ein winziger Aspekt generieren kann – faszinierend…

  2. #2 Theres
    1. Februar 2014

    Das ist ja faszinierend .. und auch Forscher mögen Rentierschinken, wie es scheint 🙂
    Vermutlich genügt im Winter, wenn Bewegungen besser erkannt werden und scharf sehen ist nicht so wichtig. Weiß man, wie stark die Sehunterschiede sind? Wohl nicht, … wäre aber interessant.

  3. #3 MartinB
    1. Februar 2014

    @Theres
    ” Weiß man, wie stark die Sehunterschiede sind?”
    Die Unterschiede in der Empfindlichkeit sieht man ja an den ERG-Kurven oben – wie sich das aber in der Praxis äußert, weiß ich nicht, dürfte auch schwer rauszubekommen sein.

  4. #4 Theres
    1. Februar 2014

    Wer guckt schon durch Rentiers Augen …
    Ja, hab ich selber gemerkt. Die Kurven helfen mir bei der Vorstellung leider nicht weiter, aber praktisch wäre so etwas durchaus. Es gab ja lange keinen Artikel über Snooker mehr, fällt mir noch auf, wo doch das German Masters läuft.

  5. #5 Wilhelm Leonhard Schuster
    2. Februar 2014

    Auge, Hirn und Hände,Kombination, Zusammenspiel und Vorausschau.
    Beim “Snooker” kann man nicht großartig genug, bewundern, was die Natur, ihren Geschöpfen, doch im Laufe der Evolution so alles gegeben hat.

  6. #6 MartinB
    2. Februar 2014

    @Theres
    Den Snooker-Artikel gibt es sicher wieder zum Finale der Wm, wenn auch “Deutschland spielt Snooker” läuft.
    Und nein, so richtig leicht zu interpretieren sind die Kurven nicht, man sieht halt nur, dass die Augen im Winter empfindlicher sind. Gibt noch genug zu forschen…

  7. #7 roel
    *****
    2. Februar 2014

    Siehe auch https://www.wdr5.de/sendungen/leonardo/augenfunkeln102.html und dort verlinkt https://www.youtube.com/watch?v=UOT7HOuZNno&feature=youtu.be&hd=1

    @MartinB Wieder super interessant geschrieben. So, jetzt muss ich erstmal die fliegenden Teilchen nacharbeiten.

  8. #8 MisterX
    1. März 2014

    Hallo, wieso haben eigentlich weibliche Rentiere auch ein Geweih?? 🙂

    Gruß

  9. #9 MartinB
    2. März 2014

    @MisterX
    Gute Frage. Ich habe ein bisschen gegoogelt, aber keine klare Antwort finden können – einige Seiten sagen, dass die Geweihe beim Schneeschieben helfen, um an Futter ranzukommen, Wikipedia sagt, dass das nicht stimmt.
    Prinzipiell ist es natürlich nicht ungewöhnlich, dass weibliche Tiere z.B. Hörner haben (wie bei Antilopen etc.), aber bei Hirschen, die das Geweih abwerfen, ist das Rentier einzigartig.