Der Versuch wurde sowohl mit englisch- als auch mit italienisch-sprachigen Personen gemacht. Da das Englische kein GG für Substantive hat, können die Ergebnisse dieser Gruppe sozusagen als Referenz dienen. Die Bilder wurden so gewählt, dass bei einigen Paarungen das GG im Italienischen übereinstimmte, bei anderen nicht. Dann wurde jeweils die Reaktionszeit gemessen, die benötigt wurde, um die Zuordnung zu machen. (Dabei ist zu sagen, dass die Standardabweichungen bei Reaktionszeiten natürlich sehr hoch sind, entsprechend muss man sauber statistisch auswerten, um zu sehen, ob es Effekte gibt.)
Im Englischen zeigt sich (erwartungsgemäß), dass die Reaktionszeit kürzer ist, wenn die beiden Objekte zur selben Kategorie gehören. (Ich erkläre mir das mal ganz naiv so, dass man im Geiste unterschiedliche Kategorien durchprobiert und wenn man eine übereinstimmende gefunden hat, ist man fertig.) Im Italienischen war dieser Effekt auch vorhanden, zusätzlich war die Zuordnung aber immer schneller, wenn die beiden Objekte in ihrem GG übereinstimmten (egal ob sie nun zur selben Kategorie gehörten oder nicht).
Das Experiment wurde dann mit einem Vergleich von italienisch- und spanisch-sprechenden Personen wiederholt, wobei die Bilder so gewählt wurden, dass dieselben Bilder in der einen Sprache dasselbe GG hatten, in der anderen nicht. Auch hier ergab sich dasselbe Ergebnis – ein übereinstimmendes GG führt immer zu einer schnelleren Verarbeitung.
Im dritten Experiment wurde dann getestet, ob der Effekt tatsächlich auf Sprachverarbeitung im Kopf beruht. Dazu wurde das Sprachzentrum der Versuchspersonen anderweitig beschäftigt – sie mussten während des Testes die ganze zeit “bla bla bla” sagen. (Man bezeichnet das als “Shadowing” – in einem anderen Zusammenhang wird das ausführlich in Feynman’s Autobiographie “Surely you are joking…” diskutiert, die ihr hoffentlich alle gelesen habt.) Tatsächlich verschwand der Effekt in diesem Fall, die Reaktionszeiten wurden also vom GG nicht beeinflusst, wenn das Sprachzentrum anderweitig beschäftigt war.
Was kann man daraus schließen? Die Einordnung von Objekten geschieht mit Hilfe des Sprachzentrums – sonst könnte das GG keinen Einfluss haben. Allerdings führt eine Übereinstimmung des GG immer zu einer schnelleren Verarbeitung – die AutorInnen schließen daraus, dass das GG nicht semantisch interpretiert wird, sonst müsste es länger dauern, Wörter mit übereinstimmendem GG und verschiedenen Kategorien einzuordnen. Der Einfluss des grammatischen Geschlechts ist nach den AutorInnen demnach in diesem Experiment nur indirekt, aber kein Bestandteil der Konzeptualisierung. Stimmen Wörter im grammatischen Geschlecht überein, können sie schneller verarbeitet werden, aber das grammatische Geschlecht ist kein Bestandteil der Semantik.
Auf jeden Fall zeigt das Experiment, dass das GG als eine Art “primer” wirken kann – ein Wort mit einem bestimmten GG macht es leichter, ein anderes Wort mit demselben GG zu verarbeiten. Solche “priming”-Effekte sind inzwischen ziemlich gut untersucht und es ist bekannt, dass schon kleine Reize das Denken in eine bestimmte Richtung lenken können. Wer mehr wissen will, wie “priming” unser Denken beeinflusst, kann in das Buch “Thinking, Fast and Slow” von Daniel Kahnemann schauen. Habt ihr beispielsweise kürzlich das Wort “Tier” gelesen, dann werdet ihr ein Wort-Ergänzungsrätsel, bei dem ihr den fehlenden Buchstaben in _aus suchen müsst, mit höherer Wahrscheinlichkeit mit “Maus” lösen; habt ihr dagegen gerade das Wort “Burg” gelesen, dann werdet ihr eher an “Haus” denken. (Ich habe mir dieses Beispiel zugegebenermaßen gerade ausgedacht – im englischen Original geht es um “soup” oder “soap” mit den primern “eat” und “wash”.)
Boutonnet et al., 2012
Hier wurde ein ähnlicher Versuch gemacht – allerdings gab es immer drei Bilder zu sehen, von denen das dritte mit den ersten beiden entweder im GG übereinstimmte oder nicht. Zusätzlich zu den Reaktionszeiten wurden auch noch elektrische Potentiale im Gehirn vermessen. Die Versuche wurden auch wieder auf Englisch durchgeführt, zum einen mit nur englischsprachigen, zum anderen mit englisch- und spanischsprachigen Versuchspersonen (hey, hier wimmelt es schon von Abkürzungen – ab jetzt schreibe ich VP, dieser Text ist eh schon lang…). Anders als Cubelli et al. fand diese Untersuchung keinen messbaren Unterschied in der Reaktionszeit (und also auch keinen priming-Effekt durch das GG). Es machte auch keinen Unterschied,ob die Wörter zur selben Kategorie gehörten oder nicht – im klaren Widerspruch zu Cubelli et al. Die bilingualen Testpersonen brauchten allerdings immer etwas länger als die englischen Muttersprachler, um die Wörter zu verarbeiten, aber das ist wohl verständlich, weil sie eben nicht in ihrer Muttersprache gearbeitet haben. (Es wurden zwar Bilder gezeigt, aber die Erklärungen, was die VPs tun sollen, wurden auf Englisch gegeben.)
Kommentare (40)