Der heutige Mensch unterscheidet sich ja in vielem Dingen von seinen nächsten Verwandten, den Menschenaffen: Großes Gehirn, aufrechter Gang und geschickte Hände sind vielleicht die auffälligsten Merkmale – aber auch Dinge wie die Proportionen der Gesichtsknochen sind bei uns auffallend un-äffisch. Gerade die Form unseres Gesichts und die bei einigen Urmenschen sehr massiven Geischtsknochen stehen in deutlichem Kontrast zu dem, was wir bei den Menschenaffen finden. Eine neue, kürzlich veröffentlichte Theorie argumentiert jetzt, dass dies nicht so sehr an der Ernährung liegt, sondern daran, dass unsere Vorfahren Faustkämpfer waren. Klingt merkwürdig? Schauen wir mal, was die Argumente sind.
Das paper beginnt mit einer Statistik über die Häufigkeit von Verletzungen am Schädel. Wenig überraschend kommen bei Faustkämpfen (die nahezu ausschließlich zwischen Männern stattfinden) insbesondere Knochen im Gesicht zu Schaden. Entsprechend wird geschlossen, dass das Gesicht das häufigste Ziel bei Faustkämpfen ist.
Wenn das so ist, und wenn man annimmt, dass Faustkämpfe in der Menschen-Evolution eine große Rolle gespielt haben, dann sollte man erwarten – und das ist die Kernidee das papers – dass sich das Gesicht im Laufe der Evolution an solche Belastungen angepasst hat. Dafür spricht zunächst einmal, dass die Schädelknochen der Vormenschen oft wesentlich robuster waren als die von Menschenaffen (und auch von heutigen Menschen). Dieses Bild des Jochbogens eines Gorillas und eines Ausralopithecus afarensis (im paper gibt es noch deutlich mehr Bilder auch von anderen Knochen) macht das an einem Beispiel sehr deutlich:
Aus Carrier&Morgan, s.u.
Ihr seht, dass der Jochbogen bei A. afarensis wesentlich massiver ausfällt. Ähnliches gilt auch für andere Knochen, beispielsweise den Unterkiefer. Berechnungen der auftretenden Lasten auf diese Knochen zeigen auch, dass sie zum Kauen wohl tatsächlich überdimensioniert waren – bei normaler Kaulast waren die Spannungen in den verstärkten Knochen sehr klein.
Auch die Hals- und Kaumuskeln sind bei Menschen und Hominiden wohl etwas überdimensioniert. Experimente an Menschen zeigen, dass wir beim Kauen unsere Muskeln gar nicht bis zum Maximum ihrer möglichen Kraft einsetzen (werden die Nerven betäubt, dann erhöht sich die maximale Bisskraft), und auch die Hominiden haben sehr große Ansätze für Kaumuskeln. Die überdimensionierten Muskeln könnten aber dazu dienen, einen Teil der beim Zuschlagen auftreffenden Kräfte abzufangen (das paper enthält dazu eine sehr grobe Abschätzung) – immerhin scheint es so zu sein (faszinierend, was man alles im Internet lernt), dass Boxer ihre Kiefermuskeln vor einem Kampf aufwärmen und diese Muskeln auch trainieren. (Grusel, Boxen ist echt nix für mich…) Starke Kiefer- und Halsmuskeln helfen also, Faustschläge besser wegzustecken.
Ein anderer Aspekt sind die Zähne (vor allem die Backenzähne) der Hominiden. Bei einigen von ihnen (beispielsweise Paranthropus boisei) geht man davon aus, dass sie Gras gefressen haben (mehr über die Nahrung der Urmenschen findet ihr hier und hier) . Grasfresser haben allerdings normalerweise Zähne mit Schneidkanten – stattdessen findet man eigentlich bei allen Urmenschen Zähne mit eher runden, mahlenden Höckern drauf (so wie auch bei uns). Solche Mahlzähne sind zwar gut, wenn man Nüsse oder ähnliches zerkauen will, aber laut dem paper gibt es eigentlich wenig Hinweise darauf, dass die Urmenschen sich bevorzugt von Nüssen und ähnlichem ernährten. Die Zähne könnten aber auch dazu dienen, Schläge abzufangen, indem die Energie vom Unter- in den Oberkiefer geleitet wird – und dazu sind scharfkantige Zähne nicht so gut geeignet.
Gerade an den Gesichtsknochen und den Kau- und Halsmuskeln beobachtet man auch einen ausgeprägten sexuellen Dimorphismus – sie unterscheiden sich bei Männern und Frauen sehr stark. Wenn Männer (oder spricht man bei frühen Hominiden eher von Männchen?) mit Faustkämpfen Zweikämpfe austrugen, um sich zum Beispiel einen guten Platz in der Rangordnunng zu sichern, dass wäre das durchaus plausibel. Dafür spricht auch, dass man – jedenfalls bei heutigen Männern – an Hand des Aussehens des Gesichts und sogar an Hand der Stimme relativ gut abschätzen kann, wie stark die jeweilige Person ist; das zeigen jedenfalls verschiedene Experimente.
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