Auch einige mögliche Gegenargumente werden besprochen – sind Faustkämpfe nicht zum Beispiel viel zu gefährlich, weil man sich dabei die Hand verletzen kann? Allerdings werden auch heutzutage ein Großteil der Gesichtsverletzungen durch Faustkämpfe verursacht und die Fäuste kommen dabei wesentlich seltener zu Schaden als das Gesicht.
Ein anderes Problem ist unsere Nase: Frühere Hominiden hatten eher flache Nasen, wir aber haben Nasen, die ja stark hervorstehen und die deshalb bei faustkämpfen auch leicht verletzt werden können. Doch heutige Menschen sind auch deutlich weniger kräftig als frühe Hominiden, so dass die Schäden bei Faustkämpfen generell schwächer ausfallen, als das bei den frühen Hominiden der Fall war. Die Entwicklung ging also vermutlich weg vom Faustkampf und hin zu anderen Methoden, möglicherweise auch dem Kampf mit Waffen.
Soweit also die Argumente für diese neue Idee – ich hoffe, ich habe nichts wichtiges vergessen.
Und? Seid ihr überzeugt? Ehrlich gesagt – ich nicht. Obwohl ich keine Experte auf dem Gebiet der Hominiden-Evolution bin, sehe ich doch jede Menge Probleme mit der Idee. (Und einige mit dem paper selbst – es ist an einigen Stellen ziemlich durcheinander, die Argumente werden zum Teil zwei- oder dreimal wiederholt und gerade die Diskussion der Ernährungsgewohnheiten der Urmenschen ist ziemlich durcheinander. Aber hier geht es ja nicht um Stilkritik, sondern um Wissenschaft.)
Auch wenn es kein ernsthafter Kritikpunkt an der Substanz der Arbeit ist, ist es doch bedenklich, wenn man bei so einem paper gleich mit einem logischen Fehler einsteigt: Aus der Tatsache, dass in Krankenhäusern nach Faustkämpfen vor allem Gesichtsverletzungen behandelt werden, schließen die Autoren, dass das Gesicht das primäre Ziel bei Faustkämpfen ist. Ja, klar. Und weil in Krankenhäusern häufiger Knochenbrüche als gebrochene Fingernägel behandelt werden, sind Knochen im Alltag besonders bruchgefährdet. Es mag ja sein, dass bei Faustkämpfen das Gesicht besonders gern als Zielscheibe genommen wird, aber das mag auch einfach daran liegen, dass es eben am empfindlichsten ist. Wie gesagt, mit der Schlussfolgerung habe ich kein Problem, aber ein solcher argumentativ-logischer Patzer am Anfang stimmt mich schon etwas misstrauisch.
Es ist sicherlich schon erstaunlich, dass die Gesichtsknochen bei den frühen Hominiden so robust waren. Allerdings ist es trotzdem durchaus denkbar, dass diese Robustheit doch etwas mit der Nahrungsaufnahme zu tun hatte – auch wen die Lasten im Normalbetrieb eher gering ausfielen, mag es ja besondere Anforderungen gegeben haben. Beispielsweise geht man davon aus, dass zumindest einige Australopithecinen auch Fleisch gefressen haben. Vielleicht haben sie gelegentlich mit ihren Kiefern versucht, Knochen zu zermalmen – nicht häufig genug, als dass man davon deutliche Spuren auf den Zähnen sehen würde, aber schon so, dass gelegentlich große Kräfte auftraten. Das würde auch die stärkeren Halsmuskeln miterklären können. Alternativ ist es auch denkbar, dass auch die Herstellung von Werkzeugen eine Rolle spielte. Oder die stärkeren Knochen dienten als Signal für die allgemeine körperliche Stärke – so wie die Autoren das ja auch für heutige Menschen selbst erläutern, wenn sie schreiben, dass man bei heutigen Menschen die Stärke am Gesicht und sogar an der Stimme ablesen kann.
Generell ist das Ernährungsargument insofern problematisch, als es hier widersprüchliche Informationen gibt (siehe auch meine beiden oben verlinkten Artikel). Beispielsweise schreiben die Autoren, dass sie davon ausgehen, dass Paranthropos boisei – wie es die Analyse von Isotopen nahelegt – sich von Gras und ähnlichem ernährte, schreiben aber, dass die Abnutzung der Zähne eigentlich auf eine andere Diät hindeutet. Wenn das so ist, dann ist die Zahnabnutzung aber auch bei den anderen Arten wohl kein durchschlagendes Argument.
Das Argument, dass P. boisei dann eher scharfkantige als höckrige Zähne haben sollte, scheint dagegen schon eher sinnvoll. Allerdings zeigt diese Analyse des Zahnschmelzes der Zähne, dass dieser zumindest beim Paranthropus robustus im Verhältnis dicker ist als bei heutigen Menschen. Das wiederum spricht zumindest in meinen Augen gegen eine Funktion als Stoßkraftüberträger: Zahnschmelz ist zwar hochfest, aber auch spröde – für eine solche Funktion wäre das unter dem Schmelz liegende Dentin eigentlich besser geeignet, weil es verformbarer und weniger rissempfindlich ist. Dicker Zahnschmelz ist eigentlich normalerweise ein deutlicher Hinweis darauf, dass ein Zahn abriebgefährdet ist. (Der Zahnschmelz von Australopithecus ist dünner – aber das ist auch über die Ernährung zu verstehen, weil Australopitecus ja weniger harte Nahrung zu sich nahm.) So richtig schlagend ist das Zahn-Argument also auch nicht.
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