Und wie steht es mit dem sexuellen Dimorphismus? Ist der nicht ein deutliches Indiz? Die Autoren schreiben selbst an einer Stelle “As in other primates, the most dimorphic parts of australopith skulls were aspects of the face”. [Wie bei anderen Primaten weisen Aspekte des Gesichts den stärksten sexuellen Dimorphismus auf.] Hier zur Illustration der deutliche Unterschied zwischen einem männlichen und einem weiblichen Gorilla-Schädel:
(Bild von Wikimedia, public domain)
Wäre dies ein Schädel eines Hominiden, würden die Autoren den deutlichen Unterschied (auch in der Muskulatur, man beachte den Kamm auf dem Schädel des Männchens) ebenfalls als Indiz für ihre These werten? Vermutlich schon.
Und noch etwas anderes kommt hinzu – wenn ich meine Gesichtsknochen vor Schlägen schützen wollte, dann würde ich mir nicht einfach dickere Knochen zulegen – wäre nicht so etwas hier viel praktischer?
(Bild von Wikimedia, public domain)
Männliche Orangs haben dicke Fettwülste im Gesicht – und mit weichem Gewebe, das die Knochen umschließt, ließen sich Schläge natürlich sehr wirkungsvoll abfedern. Warum also hat sich nicht so etwas entwickelt und unsere Gesichtsknochen liegen unter einem Polster aus Muskeln oder Fett? (Das ist natürlich kein zwingendes Argument, weil Evolution ja immer auch zufällig ist, aber es ist in meinen Augen schon ein Indiz.)
Dann ist da das Problem der Nase – dass die bei uns so empfindlich ist, soll ja daran liegen, dass wir eben schwächer sind als Hominiden und dass deshalb Faustkämpfe für uns keine so große Rolle mehr spielen, was man ja auch daran sehen soll, dass wir generell weniger stark sind als es unsere Vorfahren wohl waren. Nur, wenn das so ist, was ist dann mit dem Argument, dass man uns ja unsere Stärke am Gesicht ansehen kann? Sind nun Kämpfe und die Stärke im Faustkampf für uns relevant oder nicht? Und laut der zitierten Statistik am Anfang des papers treffen bis zu 75% der Faustkämpfe auch heute noch die Nase und führen dort zu Verletzungen. Wenn Faustkämpfe auch nur einigermaßen wichtig wären, wäre eine solche Struktur sicher keine gute Idee.
Und auch die Faust selbst ist problematisch: Es wird ja argumentiert, dass statistisch gesehen Fäuste in Faustkämpfen vergleichsweise selten verletzt werden. Aber andererseits ist ja die Stärke heutiger Menschen eben deutlich niedriger als die früher Hominiden (weswegen wir uns ja laut Logik des papers etwas weniger robuste Knochen und empfindliche vorstehende Nasen leisten können) . Also wäre ein Faustschlag auf die massiven Gesichtsknochen bei den frühen Hominiden entsprechend gefährlicher – hatten Hominiden besonders robuste Hände? Laut diesem Bild hier waren zum Beispiel die Mittelhandknochen beim Australopithecus graziler als beim heutigen Menschen.
(Quelle Universität Zürich)
In einem anderen Artikel argumentieren die Autoren, dass sich auch die menschliche Hand speziell zum Kämpfen entwickelt hat (und auch der aufrechte Gang und die Beinproportionen des Australopithecus sind anscheinend nach einem der Autoren zum Kämpfen gedacht…) – dort wird allerdings im wesentlichen nachgewiesen, dass die Proportionen der Hand sie zum Faustkampf geeignet machen, es wird aber nicht geprüft, ob die Hände früherer Hominiden entsprechend kräftiger waren. Wenn ein Australopithecus oder Paranthropus so massive Schädelknochen brauchte, weil er so heftigen Faustschlägen ausgesetzt war, warum war dann die Faust nicht ebenfalls gegenüber unserer heutigen deutlich verstärkt?
Und schließlich fehlt noch etwas anderes: Fossilien. Wenn Faustkämpfe so wichtig waren, sollten wir dann nicht wenigstens ein Fossil unter den inzwischen ja doch nicht so wenigen Hominidenschädeln haben, bei dem man klare Spuren erkennt – verheilte Frakturen oder ähnliches?
Als allerletztes bleibt noch anzumerken, dass – soweit ich weiß – unter den Menschenaffen Rangkämpfe selten im direkten Zweikampf ausgetragen werden – meistens geht es eher um Imponiergehabe, das Herumlärmen mit Stöcken (oder auch mal Benzinkanistern, wie Jane Goodall erzählt) und Ähnliches. Man muss also annehmen, dass unsere Vorfahren erst die Tendenz zum Faustkampf entwickelt und sie dann wieder verloren haben (weil heutige Menschen ja wieder schwächer geworden sind).
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