Es ist mir in den letzten Monaten schon mindestens zweimal passiert: Wenn es um das Thema Gleichstellung geht, dann kommt früher oder später ein Kommentar der Art “Ich kann es nicht mehr hören”, gern gefolgt von einem “Inzwischen sind Frauen doch bevorzugt” oder – wie gerade gehört – “Inzwischen braucht man sich als Mann ja gar nicht mehr zu bewerben”. (Kleiner Profitipp: Wenn man so einen Satz in einer Projektsitzung sagt und von etwa 50 anwesenden Personen sind etwa 5 Frauen, dann führt man sich ein klein wenig selbst ad absurdum…) Zum Glück braucht man auch bei solchen Themen nicht einfach nur seinem Bauchgefühl zu folgen – es gibt ja auch in diesem Bereich Forschung. und die gucke ich mir heute an.
Vorweg wieder einmal eine Warnung: Ich bin theoretischer Physiker und arbeite in der Materialwissenschaft. Wenn es um Quanteneffekte geht, um Versetzungsbewegungen oder Spannungsverteilungen, bin ich (hoffentlich) einigermaßen fachkompetent. Bei Themen aus dem Bereich Soziologie verfüge ich über einen Abschluss der google University und mein Diplom ist von Dunning und Kruger unterschrieben. Der kleine Überblick hier ist dementsprechend wahrscheinlich nicht repräsentativ (einen Teil der Links habe ich bei Greta Christina geklaut), gibt vermutlich nicht die wichtigsten Forschungsarbeiten wieder und es ist durchaus möglich, dass ich an der einen oder anderen Stelle etwas falsch verstanden habe. (An der Kernaussage dürfte das aber wenig ändern.) Ich schreibe diesen Artikel trotzdem (schon allein, damit ich in Zukunft immer drauf verweisen kann, wenn es mal wieder relevant wird) – aber falls ich Mist gebaut habe, dürft ihr mir das gern sagen.
Und noch eine zweite Warnung gleich vorweg: Ja, es ist möglich, dass es auch echte, genetische und angeborene Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt und dass auch in einer absolut idealen Welt, in der keine geschlechtsspezifischen Stereotypen existieren, mehr Männer als Frauen IngenieurIn werden oder Physik studieren wollen. (Die Hinweise auf solche Effekte sind aber zumindest umstritten.) Allerdings ist dabei zu bedenken, dass wir es mit einer breiten Verteilungskurve zu tun haben – im Mittel sind zwar Männer auch größer als Frauen, das heißt aber ja nicht, dass es nicht auch große Frauen gibt. (Mal ganz davon abgesehen, dass die Trennung Mann-Frau ohnehin nicht so binär ist, wie unser “gesunder Menschenverstand” es uns sagt.) Aus einer Differenz der Mittelwerte zu folgern, dass sich eine Gruppe prinzipiell nicht für irgendein Gebiet eignet, ist ziemlich gewagt (wer von euch würde darauf wetten, dass in einer Gruppe von 20 Personen alle Männer größer sind als alle Frauen?). Um also entsprechend Chancengleichheit (und darum geht es ja bei der Gleichstellung) herzustellen, dürfen wir solche Effekte erst einmal ignorieren und uns auf die gesellschaftlichen Effekte konzentrieren, die zu einem Ungleichgewicht führen, und von denen wir wissen, dass sie existieren, und die, wir wir gleich sehen werden, dazu führen, dass Frauen bei identischer Leistung schlechter bewertet werden (Moss-Racusin et al., 2012). (Zumal es auch in der Vergangenheit ja alle möglichen Ideen gab, was Frauen alles nicht können…) Die meisten Studien stammen übrigens aus den USA – da dort aber Maßnahmen zur Gleichstellung ja eher länger existieren als hier bei uns, sind die Ergebnisse vermutlich übertragbar. (Falls ihr gegenteilige Studien kennt, immer her damit…)
Ach so, und noch ein Drittes: Ja, es gibt auch Berufe, in denen Männer deutlich in der Unterzahl sind, und nein, auch das ist nicht gut. Berufe wie zum Beispiel KindergärtnerIn, KrankenpflegerIn oder GrundschullehrerIn sind stark weiblich dominiert, und ich vermute, dass Männer in diesen Berufsfeldern auch mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben. (Und falls jemand dazu Studien parat hat, verweist gern in den Kommentaren darauf.) Auch dort sind (meiner Ansicht nach) entsprechende Gleichstellungsmaßnahmen sinnvoll und hilfreich. Im Artikel hier geht es aber um die sogenannten “MINT”-Fächer (Mathe, Ingenieurwissenschaft, Naturwissenschaft, Technik). Und ja, für den einzelnen kann es durchaus ärgerlich sein, wenn eine gleichqualifizierte Frau für eine Stelle möglicherweise auf Grund von Gleichstellungsmaßnahmen bevorzugt wird. Das ist aber letztlich nur die Kehrseite der Medaille, dass eben normalerweise (aufgrund diverser Effekte, die wir gleich dann endlich angucken) Männer die besseren Karten haben.
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