So, nach all diesem Vorgeplänkel (ich hoffe, ihr kommt euch nicht vor als müsstet ihr das Kleingedruckte bei einem Versicherungsvertrag lesen) nun aber endlich zu den Inhalten diverser Forschungsartikel, lose sortiert nach Themengebieten. (Und wie gesagt, ohne Anspruch darauf, dass ich nicht aus versehen einen Artikel aus einem Bezahl-Journal mit impact factor 0.0001 oder eine längst widerlegte Außenseitermeinung für relevant halte.)
Mathematische Fähigkeiten
Na klar – wer sich vor Zahlen gruselt, sollte vielleicht nicht unbedingt Physik studieren. (Obwohl die meisten PhysikerInnen meiner Erfahrung nach nicht unbedingt begeistert kopfrechnen oder Knobelaufgaben lösen – ihr könnt trotzdem Spaß in der Physik haben und erfolgreich sein.) Sicher gibt es noch andere Fähigkeiten, die jemand für STEM-Fächer mitbringen sollte, aber Mathe hat den Vorteil, dass es überall in Schulen gelehrt wird und deswegen reichhaltige Daten vorliegen. Ich nehme hier Daten der amerikanischen SAT-scores, weil ich dazu einige passende Veröffentlichungen gefunden habe.
Betrachtet man zunächst einmal Mittelwerte, dann liegt der Mittelwert des SAT-scores in Mathematik für Jungen im Jahr 2013 bei 531, für Mädchen bei 499. Ein klarer Unterschied, wie es aussieht. Interessanter wird es, wenn man die Verteilungskurven ansieht:
(Grafik vom Blog “Good Thinking”)
Demnach liegt der Unterschied vor allem im ganz rechten Bereich – es gibt mehr Jungen als Mädchen, die in Mathe exzellente Ergebnisse erzielen. Dieses Bild illustriert aber auch schon sehr schön das, was ich oben über Gaußkurven geschrieben habe: Der Überlapp ist trotz der unterschiedlichen Mittelwerte so groß, dass man daraus besser keine Schlussfolgerungen darüber ableiten sollte, dass sich Frauen generell nicht für Mathe eignen.
Eine andere detaillierte Aufschlüsselung der Daten gibt die Studie Hyde et al. (2008). Auch dort wird gezeigt, dass die Unterschiede in den mathematischen Fähigkeiten vergleichsweise klein sind, dass aber bei Jungen eine größere Varianz vorliegt, so dass es mehr mathematisch brillante Jungen als Mädchen gibt. (Auch in Deutschland schneiden übrigens laut Pisa Jungen in Mathe besser ab als Mädchen.)
Im Bereich der mathematischen Einzelfähigkeiten gibt es gute Hinweise darauf, dass Männer bei Tests zum räumlichen Vorstellungsvermögen besser abschneiden als Frauen. (Diese Informationen stammen aus der Meta-Studie “Why so Few” von Hill et al.; weil ich die häufig zitieren werde, kürze ich sie mit WSF ab.) Forschungen zeigen aber (WSF, S. 52ff), dass Defizite in diesem Bereich relativ leicht abgebaut werden können; wenn es also gerade diese Fähigkeit ist, die einen entscheidenden Einfluss hat, dann ließe sich das Problem durch entsprechende Schulungskurse vergleichsweise leicht beheben.
So oder so sind diese Daten allein sind aber nicht hinreichend, um die große Lücke zwischen der Zahl von Frauen und Männern in z.B. den Ingenieurwissenschaften zu erklären, denn die Unterschiede in den mathematischen Fähigkeiten sind deutlich kleiner als das Geschlechterverhältnis.
Trotzdem kann man sich natürlich fragen, woher solche Unterschiede stammen könnten. Dazu gibt es auch einige Erkenntnisse.
Behandlung durch Lehrkräfte
Eine viel zitierte Studie (Sadker&Sadker, 2010) zeigt zahlreiche Unterschiede darin auf, wie Jungen und Mädchen im Unterricht in der Schule untrschiedlich behandelt werden. Leider habe ich die Studie als Ganzes nicht, aber hier findet man einige Ergebnisse aus einer der ersten Untersuchungen aus dem Jahr 1993. Mädchen werden häufiger als Jungen ermahnt, wenn sie eine Antwort ohne sich zu melden in den Raum rufen, Antworten von Jungen werden stärker wertgeschätzt und kommentiert, während Mädchen sich oft mit einem Kopfnicken begnügen müssen, und generell tendieren Lehrkräfte eher dazu, Mädchen schnell zu helfen, während sie Jungen ermuntern, Probleme selbst zu lösen. (Und bevor jetzt jemand anfängt, mir zu erzählen, dass es doch inzwischen Jungen sind, die in der Schule benachteiligt werden, lest hier (ein Artikel, der sehr schön aufzeigt, dass Mädchen und Jungen durch Stereotype benachteiligt werden) und hier. (Dort findet ihr übrigens auch Studienergebnisse zitiert, die zeigen, dass als KursleiterIn zum Thema Gleichstellung Frauen deutlich anders eingeschätzt werden als Männer. Ungleichbehandlung gibt es nicht nur in MINT-Fächern…))
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