Eine kleine, aber interessante Studie (Beilock et al., 2010) beschäftigt sich mit dem Einfluss der Einstellung von Lehrerinnen zur Mathematik (hier geht es explizit um Lehrerinnen, weil die gerade im Grundschulbereich stark dominieren). Es zeigt sich, dass in Klassen, in denen die Lehrerin an “math anxiety” (also einer gewissen Abneigung gegen Mathematik – mir wurde leider nicht ganz klar, wie das genau gemessen wurde) leidet, die mathematischen Fähigkeiten von Mädchen deutlich weniger ansteigen als die von Jungen. Wenn es also nicht unüblich ist, dass Grundschullehrerinnen sich in Mathe nicht sicher oder wohl fühlen, dann hat das direkte Auswirkungen auf die Geschlechterdifferenz der SuS (Kurzform für “Schülerinnen und Schüler” im Pädagogensprech).
Stereotypen
Stereotypen sind Denkabkürzungen – wir wissen (oder glauben zu wissen), dass Angehörige der Gruppe X die Eigenschaft Y haben und erwarten dies deshalb auch bei jedem einzelnen Individuum der Gruppe X (wenn wir keine explizit gegenteilige Information haben – siehe auch die unten zitierte Studie zum Thema Auswahlverfahren). “Männer sind aggressiv”, “Jungen weinen nicht”, “Mädchen sind brav”, “Frauen können nicht einparken” (Wenn da mal einer ne Kurve wie die der SAT-scores macht, dann bin ich der Datenpunkt gaaaaanz links) usw. (Ich hoffe, die Beispielsätze zeigen, dass Stereotypen auch für Männer problematisch sind, nicht nur für Frauen. Und ja, auch positive Stereotypen sind ein Problem, weil sie Menschen unter Druck setzen, einem Standard zu genügen.)
Solche Stereotypen sind in unserer Gesellschaft weit verbreitet und wir wachsen mit ihnen auf. Frei davon ist vermutlich niemand (selbst testen könnt ihr die Stärke verschiedener Stereotypen beim Project implicit, was ich sehr empfehle). Dies kann dazu führen, dass allein die Erwartungshaltung, als AngehörigeR einer bestimmten Gruppe müsse man schlechter abschneiden, die Testergebnisse beeinflussen kann. Das belegen verschieden Studien.
Nehmt beispielsweise eine Gruppe von Studierenden, die alle laut ihren Testergebnissen etwa gleich gut in Mathe sind. Teilt sie in zwei Gruppen ein und lasst sie einen kniffligen Mathe-Test schreiben. Der einen Gruppe sagt ihr vorher, dass bei diesem Test Männer und Frauen im Mittel gleich gut abschneiden, der anderen sagt ihr, dass Frauen typischerweise schlechter abschneiden. (Diese letzte Bedingung nennt man “stereotype threat” – die Bedrohung durch ein Stereotyp.) Das hier ist das Ergebnis:
(Bild aus WSF, S. 40)
Schon ziemlich drastisch, oder? (Schade übrigens, dass man nicht auch den umgekehrten Versuch gemacht hat und einer dritten Gruppe gesagt hat, dass Männer in diesem Test oft schlechter abschneiden. Dann könnte man sehen, was passiert, wenn konkrete Information und übliches Stereotyp nicht zusammenpassen. Das ist generell oft schade bei Studien dieser Art – es wird oft nicht die Gegenprobe gemacht, aus der man ja auch etwas lernen könnte.)
Eine ähnliche Studie stammt von Moe (2012). Dort mussten SuS einen Test zum räumlichen Vorstellungsvermögen ablegen, und zwar in zwei Teilen. Nach der ersten Hälfte wurde ihnen gesagt, dass Männer bei solchen Tests besser abschneiden als Frauen (was ja auch wie wir oben gesehen haben, richtig ist) und es wurden unterschiedliche Gründe genannt: 1. genetischer Einfluss, 2. gesellschaftliches Stereotyp, 3. Frauen sind vorsichtiger und brauchen deshalb länger, oder gar keine (Kontrollgruppe). Anschließend kam die zweite Hälfte des Tests. Frauen in Gruppe 2 und 3, denen also erklärt wurde, dass Unterschiede in den Testergebnissen nichts mit ihren eigentlichen Fähigkeiten zu tun haben, schnitten in der zweiten Testhälfte deutlich besser ab (auch wenn die Standardabweichung der Verteilung groß ist), die in Gruppe 1 schlechter. Allerdings galt interessanterweise für Männer dasselbe – auch hier waren die Männer in Gruppe 2 und 3 in der zweiten Testhälfte besser und die in Gruppe 1 schlechter ab. Das paper bietet verschiedene Spekulationen an, was genau die Effekte sein könnten – interessant und etwas unerwartet sind die Ergebnisse auf jeden Fall. So oder so sieht man aber, wie stark die Erwartungshaltung solche Ergebnisse beeinflussen kann.
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