Das alte Bild von Reptilien als dummen Instinktwesen hat ja in letzter Zeit einige Risse bekommen – Krokodile können Werkzeuge benutzen, Chamäleons entpuppen sich als Tiere, die ein Sozialleben haben. Ein neues Experiment setzt noch eins drauf – Reptilien können sich Tricks von anderen abgucken.

Das Experiment verwendet die sehr hübschen Bartagamen:

Pogona_vitticeps_close-up_2009_G1

(Bild von George Chernilevsky, gemeinfrei)

Diese wurden in ein Terrarium gesetzt, das eine Schiebetür aus Draht zu einem Nachbarraum hatte. Hinter der Schiebetür fanden die Agamen als Belohnung einen leckeren Mehlwurm (o.k., ich esse die nicht so schrecklich gern, da geht’s mir ähnlich wie Capt. Picard, aber Bartagamen finden die lecker), so dass sie durchaus eine gewisse Motivation hatten, die Tür auch zu öffnen. Durch die Drahttür hindurch konnten die Tiere außerdem einen Computermonitor sehen.

Hier ein Bild des Versuchsaufbaus:

reptilelearn1

Aus Kis et al., s.u.

Der Computermonitor diente dazu, den Agamen etwas zum Abgucken zu geben. Die unterschiedlichen Versuchstiere sahen dort drei Filme: Einen, wo eine Agame die Tür nach links aufschob, einen wo sie sie nach rechts aufschob, und einen, wo die Agame einfach rumsaß, während die Tür von allein (naja, da war der oder die ExperimentatorIn im Spiel) aufging. Wenn ihr wollt, könnt ihr die Videos selbst angucken, ihr findet sie auf der Springer-Seite beim “Supplementary material”. Hier ein Bild aus einem der Videos, das die Agame beim Türaufschieben zeigt:

agame1

Aus Kis et al., s.u.

Das Versuchsdesign ist insofern clever, weil die Schiebetür nach beiden Seiten aufgeht – wenn also eine Agame die Tür nach rechts aufmacht, während die, die sie vorher im Film sah, sie nach links aufgemacht hat, dann wäre das ein Zeichen dafür, dass sie sich das Aufschieben nicht unbedingt abgeguckt hat.

So war es aber nicht – die Ergebnisse waren ziemlich eindeutig: Keine der Agamen, die bloß den Film sahen, wo die Tür von allein aufging, schaffte es, die Tür zu öffnen. Von denen, die den Film sahen, schafften es alle mal, allerdings nicht in jedem Versuch (nur ein Agamen-Genie war bei allen 10 Versuchen erfolgreich, die schlechteste Agame schaffte nur 2 aus 10). Und nicht nur das – es gab auch eine deutliche Präferenz dafür (je nach Tier zwischen 2/3 und allen der geglückten Versuche), die Tür genau auf der Seite aufzuschieben, die die Tiere vorher im Film gesehen hatten. Im ersten geglückten Versuch wählten sogar alle Tiere genau diese Seite.  Auch die Schiebebewegung, mit der das Tier im Film die Tür geöffnet hatte, wurde nur von den Tieren gemacht, die den Film sahen, während die Kontrollgruppe eine solche Bewegung nie machte (und deswegen ja auch vor geschlossener Tür festsaß). (Ein kleines Problem sehe ich mit dem Kontroll-Video – da ist ein deutlicher Schatten von oben zu erkennen. Die meisten Tiere reagieren ja sehr empfindlich auf solche Schatten – könnte ja ein Raubvogel sein – insofern ist es nicht völlig ausgeschlossen, dass Tiere, die den Kontrollfilm sahen, etwas verängstigt wurden und sich weniger an die Tür herangetraut haben. Da aber alle Tiere der Kontrollgruppe auch zumindest in einigen Versuchen die  Tür berührt haben, kann der Effekt so stark nicht gewesen sein.)

Bevor ihr jetzt aber hofft, der Agame in eurem Terrarium Lassie-artige Kunststücke beibringen zu können – so schlau sind sie nun auch wieder nicht. Es dauerte drei Wochen, um der Agame, die auf dem Film zu sehen war, das Türöffnen beizubringen. Und auch von den Agamen, die die Tür dank des Vorbilds aufbekamen, schafften es ja nicht alle in jedem Versuch. Einen großen Lerneffekt gab es anscheinend auch nicht – die Wahrscheinlichkeit, die Tür im 10. Versuch zu öffnen, war nicht signifikant höher als beim ersten Versuch. So oder so: Bartagamen können sich also durchaus Tricks von anderen abgucken – etwas, das man früher nur Menschen und vielleicht noch einigen wenigen anderen Tieren zugestanden hätte.

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Kommentare (20)

  1. #1 sepp
    28. Oktober 2014

    Reptilien sind doch Tetrachromaten (ihre Netzhaut hat Rezeptoren für vier verschiedene Spektralbereiche). Verstehen die überhaupt Filme, die mit für Menschen-Augen gebautem Equipment (Kamera, Monitor) gemacht werden? Oder gibt es spezielle Reptilien-Kameras und -Monitore?

  2. #2 rolak
    28. Oktober 2014

    Verstehen die überhaupt

    Warum nicht, sepp – das Schlimmste was imho passieren kann, ist eine Veränderung des gewohnten Farbeindruckes, so wie die Wirkung manchen Werkes der bildenden Kunst unter Sonnen/Glühlampenlicht und ESL/LED-Licht anders sein kann.
    Die Slapsticks von Stoneface Buster Keaton funktionieren ja auch in S/W.

    btt: Von irgendwelchen besonderen Leistungen bei Tieren bin ich weniger überrascht (nehme sie eher als Bestätigung zur Kenntnis), wesentlich mehr verwundert es mich jedesmal, daß diese derart lange nicht bekannt waren.

  3. #3 sepp
    28. Oktober 2014

    @rolak:
    Klar war das ein bisschen knapp formuliert und stark vereinfacht. Aber: Wenn man als Mensch einen Film mit falschen Farben gezeigt bekommt, wird man sich doch zunächst einmal auf die falschen Farben konzentrieren und nicht so sehr darauf, was die (z.B.) hellgrünen Menschen darin so treiben.
    D.h. selbst wenn der Betrachter versteht, dass es einen Unterscheid zwischen Film und Realität gibt (was ich Reptilien nicht ohne weiteres zugestehen würde), könnten verfälschte Farben die Wahrnehmung des “Inhalts” eines Films beeinträchtigen. Und ich gehe davon aus, dass es ohne dieses Wissen eher noch schwieriger wird.
    Den Vergleich mit Schwarz-Weiß-Filmen finde ich nicht ganz passend, weil menschlichen Zuschauern diese Art der Farbverfremdung ja hinreichend bekannt ist und sie sie je nach Betrachtungssituation vielleicht sogar erwarten.

  4. #4 RainerM
    28. Oktober 2014

    @sepp: Das ist nichts Erlerntes. Unser Wahrnehmungsapparat im Gehirn hat diese Fähigkeit bereits von Natur aus. Farben sehen ja im Licht anders aus als im Schatten, sehen morgens, mittags, abends und nach Sonnenuntergang, wenn alle sprichwörtlichen Katzen grau sind, jeweils anders aus. Unser Gehirn abstrahiert von diesen objektiven Farbwahrnehmungen, so dass wir die jeweiligen Objekte wiedererkennen, und das geschieht eigentlich immer automatisch.

    Bartagamen hätten ein Problem, wenn sie das nicht könnten.

  5. #5 MartinB
    29. Oktober 2014

    @sepp
    Ich finde den Einwand schon berechtigt – aber da die Agamen, die den Film mit Türöffnung gesehen haben, das Verhalten nachahmen konnten, müssen sie den Film ja irgendwie verstanden haben; ich vermute, Rainer hat recht mit seiner Idee. (vielleicht erscheint das Monitorbild irgendwie farbstichig, aber das wäre ja für alle Agamen gleich gewesen.)
    Wäre aber sicher Interessant, mal zu vergleichen, wie das Lichtspektrum eines Objekts auf nem Monitor sich mit dem des realen Objekts vergleicht.

  6. #6 der eine Andreas
    29. Oktober 2014

    Das wissen wir doch schon lange, schließlich haben Reptilien ja die Regierungen der Welt infiltriert 🙂

  7. #7 MartinB
    29. Oktober 2014

    waren das aber nicht außerirdische Reptilien?

  8. #8 Alderamin
    29. Oktober 2014

    @MartinB

    Wir können uns ja auch Schwarz-Weiß-Filme anschauen und verstehen (guckt die heute noch jemand? Als ich jung war, liefen “Die kleinen Strolche”, “Väter der Klamotte” und “Stan & Ollie” noch im Vorabendprogramm; mein erster Fernseher als Jugendlicher war noch komplett Schwarz-Weiß).

    Vielleicht gibt’s aber auch Agamen mit UV-Grün-Blindheit 😆 die das Video dann am besten verstanden haben…

  9. #9 MartinB
    29. Oktober 2014

    @Alderamin
    Ja, aber ich dachte immer, dass man dieses Seh-Verhalten (undgenerell das Erkennen von Fernsehbildern) auch erst lernen muss.

  10. #10 Alderamin
    29. Oktober 2014

    @MartinB

    Was soll man da lernen? Die Allerkleinsten starren doch schon gebannt auf die Teletubbies und unsere Katzen schauen beim Fußball dem Ball zu. Oder jagen eine gezeichnete bewegte Maus auf dem iPad. Oder Frösche schnappen nach virtuellen Fliegen (und mehr). Obwohl das alles nur 2D-Bilder sind.

    Manche Tiere sehen auch nur Bewegung (hab’ leider vergessen, ob das Insekten oder Amphibien oder andere Tiere waren), wie ich mal las. Auch wir haben derart verdrahtete Sehzellen ganz außen am Sehfeldrand. Wenn da was blinkt oder sich bewegt, dreht man unwillkürlich den Kopf dahin, ohne das Objekt bewusst als solches erkannt zu haben. Manche Tiere mögen genau nur so eine Wahrnehmung haben: was sich nicht bewegt, ist einfach nicht da. Das vereinfacht die notwendige Bildverarbeitung erheblich.

    Zwar etwas OT, aber eines wollte ich noch loswerden:
    Es wird behauptet, Katzen könnten sich nicht im Spiegel erkennen, weil sie nicht auf das Experiment reagierten, irgendeine Markierung am Kopf zu entfernen, wenn sie sie im Spiegel erkennen. Ich hab’ das mal ausprobiert und unsere Katzen interessieren sich in der Tat nicht für einen kleinen aufgeklebten Punkt. Andererseits versuchen sie auch nicht, mit dem Gegenüber im Spiegel in Kontakt zu treten, sie ignorieren das Spiegelbild völlig. Nicht jedoch mein Spiegelbild sie schauen mir manchmal über den Spiegel in die Augen. Scheint so, als wenn sie sich schon selbst erkennen und deswegen das eigene Spiegelbild ignorieren. Nur reicht die Intelligenz nicht, den aufgeklebten Punkt, den sie im Spiegel sehen, mit einem wirklich auf der Stirn zu assoziieren.

  11. #11 MartinB
    29. Oktober 2014

    @Alderamin
    ” Die Allerkleinsten starren doch schon gebannt auf die Teletubbie”
    Also meine Tochter fing erst mit etwas mehr als einem Jahr an, Fernsehbilder interessant zu finden, und es dauerte noch etwas länger, bis sie Objekte im fernsehen benannte wie reale Objekte.
    “Manche Tiere sehen auch nur Bewegung (hab’ leider vergessen, ob das Insekten oder Amphibien oder andere Tiere waren), wie ich mal las.”
    Ganz stimmt das wohl nicht, denke ich (außer bei Jurassic Park), aber Frösche können soweit ich weiß unbewegte Beute nicht schnappen. Da sie aber sehen, wo sie hinspringen, müssen sie wohl irgendwie Bewegung erkennen können.

  12. #12 Harleaquin
    Bad Kissingen
    30. Oktober 2014

    Ich beobachte bei meiner Bartagame regelmäßig bei Fütterung flinker Heimchen, wie die Agame ein Heimchen hinter sich durch die Spiegelung im Terrariumglas beobachtet, um sich dann blitzartig un 180° zu drehen und das verblüffte Insekt zu verspeisen.

  13. #13 MartinB
    30. Oktober 2014

    @Harleaquin
    Echt? Das ist ja clever, hätt ich nicht gedacht.

  14. #14 Harleaquin
    30. Oktober 2014

    Verblüfft mich auch jedesmal. Ich versuch das bei Gelegenheit mal auf Video zu bannen.

  15. #15 MartinB
    30. Oktober 2014

    Ja, das wär cool.

  16. #16 Roman
    Göttingen
    24. Februar 2017

    Sehr interessant – es ist zwar jetzt etwas älter, aber ich entdecke auch bei meinen Tieren immer wieder ein Verhalten, das ich für “klug” gehalten habe.

    Ich habe mich dabei ertappt, wie ich das immer wieder als “vermenschlicht” abgetan habe, aber das sollte ich demnächst vielleicht doch mit anderen Augen sehen.

    Ich würde hier gerne meinen Ratgeber-Text zum Verhalten der Zwergbartagame anpassen; darf ich auf diesen Artikel verweisen und ggf. auch Bilder zitieren (natürlich mit Quellenangabe)?

  17. #17 MartinB
    24. Februar 2017

    @Roman
    Auf den Artikel darfst du gern verweisen, die Bilder sind aus der Veröffentlichung entnommen – ob du es für zulässig hältst, die bei dir zu zeigen, kann ich rechtlich nicht sagen (ich habe nichts dagegen, aber sind halt nicht meine Bilder…).

  18. #18 Roman
    24. Februar 2017

    Besten Dank. Dann werde ich das Wochenende nutzen, um da etwas zu schreiben 🙂

    Ich wünsche ein angenehmes Wochenende 🙂

  19. #19 Landromus
    27. Oktober 2017

    Zum Thema Katzen und Punkt auf dem Kopf: also wenn ich meinem Kater ein Leckerli irgendwohin packe wo er zwar hinkommen könnte, es ihm aber zu mühselig ist, dann ignoriert er es einfach. Was ist wenn die Katzen den Punkt erkennen ihn aber ignorieren weil es in ihrer Natur liegt? Das hat nichts mit Intelligenz zu tun, das hat eher etwas damit zu tun, dass sie sich von uns nicht diktieren lassen was sie zu tun haben.

    Intelligentere Hunde erkennen wenn man etwas auf einen Tisch wirft den sie nicht einsehen können und suchen es darauf und nicht darunter. Nicht so intelligente Hunde suchen es darunter.
    Mein Kater ist strohdoof und. Ur intelligent wenn er einen Vorteil daraus hat wenn er ihn gerade möchte. Er kann Türen aufmachen, das hat ihm keiner beigebracht, er bekommt Dinge auf wenn ihm danach ist, er holz sich Dinge wenn man am allerwenigsten damit rechnet und weiß anschließend ganz genau warum man sauer ist…in so fern doch sehr intelligent und er ist dann das personifizierte schlechte Gewissen.
    Um zu den Reptilien zurück zu kommen:
    Also meine grünen Leguane waren mindestens sonintelligent wie ein Hund: sie haben sogar darauf gehört wieder ins Terrarium zurück zu gehen.
    Die Bartagamen sind meiner Meinung nach nicht doof, aber wenn sie keine Lust haben machen sie es wie der Kater einfach nicht. Ich glaube, dass da oft übersehen wird. Und von meinen vier Bartagamen haben alle einen unterschiedlichen Charakter.
    Blöd nur, dass sie in einer Sache echt doof sind bzw. der Fressreiz überwiegt: ich kann die drei etwas Kleineren noch nicht zu der Großen tun da diese sie eine gewisse Zeit in Ruhe lässt, sogar winkt und damit Unterwerfung bzw. Erkennung der gleichen Art suggeriert also irgendwie Sozialverhalten an den Tag legt, aber dann stumpf irgendwann zu den kleineren hingeht und versucht zuzuschnappen…da ich die Vergesellschaftung nur unter strenger Beobachtung durchführe sehe ich schon an den Bewegungen, dass es nicht klappt und kann rechtzeitig eingreifen. Dabei ist es auch egal, dass das Männchen bis auf zwei cm gleich lang ist, da er aber noch schmaler ist passt er irgendwie doch ins Beuteschema und es wird versucht ihn zu fressen.

    Was ich nicht nachvollziehen kann ist das Thema mit Freigang und dem Handling: wenn ein Tier positive Erlebnisse damit verbindet, dann ist doch alles gut. Ich würde meine Bartagamen nie stundenlang bei Zimmertemperatur herumlaufen lassen, aber wenn mal irgendwo ein Futtertier abhaut darf sich eine Bartagame dieses auch mal einfangen oder eine Spinne aus der Ecke von meiner Hand aus holen oder so.
    Wenn Hunde/Katzen im Haushalt wie auch bei mir sind würde ich aufgrund der Haare davon absehen Reptilien frei herum laufen zu lassen, da sie beim Riechen ja erst mit der Zunge lecken und wenn sie dabei Haare aufnehmen ist es bestimmt nicht sehr zuträglich.

    In diesem Sinne glaube ich schon, dass viele Tiere nicht doof sind und gerade wenn es um die Grundbedürfnisse geht punktuell coole Verhaltensweisen an den Tag legen.

    LG

  20. #20 MartinB
    27. Oktober 2017

    @Landromus
    Nette Geschichten.
    Aber hier hat man ja unterschiedliche Versuche mit unterschiedlichen Bedingungen gemacht – wenn da dann unter Bedingung X die Agamen es hinbekommen und unter Bedingung Y nicht, dann kann man daraus schon etwas schließen. Genau deswegen macht man ja nicht bloß einen versuch, sondern mehrere mit mehreren Tieren.