Viele Schmetterlinge haben auf ihren Flügeln Augenflecken – kreisförmige Muster, die wie Augen aussehen. Bei manchen sind diese Flecken besonders groß und auffällig und erinnern wirklich sehr stark an Augen. Das ist auch genau ihre Funktion: Laut Wikipedia schreckt beispielsweise das Abendpfauenauge kleine Vögel ab, die meinen, ein größeres Raubtier in Anmarsch zu sehen:
(Bild von Didier Descouens, CC License 3.0)
Bei anderen Schmetterlingen sind diese Flecken allerdings nicht ganz so auffällig und erwecken nicht wirklich den Eindruck von Augen, wie etwa hier bei diesem Schmetterling der Art Bicyclus anyana (dessen deutschen Namen ich leider auf die Schnelle nicht herausfinden konnte):
Aus Prudic et al., s.u.
B. anyana lebt in Afrika und es gibt ihn, wie ihr im Bild sehen könnt, in zwei Varianten: Oben seht ihr die Form, die sich in der trockenen Jahreszeit ausbreitet, unten die für die eher feuchten Tage. Die Feucht-Variante hat schicke Augenflecken – fragt sich nur warum.
Oft ging man in der Vergangenheit davon aus, dass diese Flecken Vögel dazu veranlassen sollen, die Schmetterlinge lieber hier als am deutlich empfindlicheren Kopf anzugreifen (das steht auch bei Wikipedia), aber tatsächlich ist die Faktenlage hier eher dünn und mehrere Untersuchungen haben das nicht bestätigen können. Wozu sind die Flecken also dann gut?
Zumindest bei B. anyana ist das jetzt einigermaßen geklärt – die Flecken sind nicht primär dazu da, das Tier vor Vögeln zu schützen, sondern vor anderen Angreifern, nämlich vor Gottesanbeterinnen. Die gibt es gerade in der Regenzeit reichlich da, wo der Schmetterling lebt. (In der Trockenzeit ist es dagegen besser, unauffällig zu sein – da gibt es wohl auch weniger Gottesanbeterinnen und man fällt Vögeln leichter ins Auge.)
Um zu testen, ob Gottesanbeterinnen tatsächlich bevorzugt die Augenflecken angreifen, hat man zunächst einmal die Schmetterlinge in einen Käfig gesetzt und dann eine Gottesanbeterin in den Käfig krabbeln lassen (die man vorher darauf trainiert hatte). Erstmal haben die Augenflecken einen Nachteil: Schmetterlinge mit solchen Flecken werden von der Gottesanbeterin deutlich schneller anvisiert und attackiert als solche ohne diese Flecken. Trotzdem entkommen die fleckigen Schmetterlinge häufiger, weil die Gottesanbeterin bei ihnen wesentlich häufiger die Flügel angreift und nicht direkt den Körper, so dass die Schmetterlinge besser entkommen konnten.
Stellt sich natürlich die Frage, was besser ist: Lieber häufiger von einer Gottesanbeterin gesehen werden (in der freien Natur setzen sich die Schmetterlinge ja nicht in Käfige und warten brav, bis eine Gottesanbeterin vorbeikommt), dafür aber bei einer Attacke schneller entkommen, oder doch lieber unauffällig und ohne Augenflecken bleiben.
Um das zu testen, wurden Schmetterlinge in ein Terrarium gesetzt und dann eine Gottesanbeterin in das Terrarium gebracht. Die konnte sich dann in den nächsten Tagen an den Schmetterlingen gütlich tun. Dann wurde gemessen, wie lange die Schmetterlinge jeweils überlebten (und auch noch, wie viele Eier sie in der Zwischenzeit legten). Tatsächlich lebten die Schmetterlinge mit Augenflecken signifikant länger, hatten aber deutlich mehr Verletzungen an den Flügeln. Sehr groß ist der Unterschied in der Lebensdauer allerdings nicht – das liegt vermutlich daran, dass so eine Gottesanbeterin eben jagt, bis sie etwas gefangen hat. (Vielleicht wäre es besser gewesen, entweder eine gemischte Population mit und ohne Augenflecken ins Terrarium zu setzen um zu sehen, welche Gruppe eher weggefuttert wird, oder die Zeit zu messen, die die Gottesanbeterin auf der Jagd verbringt.) Um ganz sicher zu gehen, dass der Unterschied auch tatsächlich an den Augenflecken liegt und nicht an etwas anderem, hat man auch noch ein Experiment gemacht, in dem man Augenflecken auf die Flügel der fleckenlosen Trockenzeit-Form geklebt hat – auch diese Schmetterlinge entkommen dann der Gottesanbeterin leichter.
Insgesamt zeigt sich also, dass Augenflecken tatsächlich Raubtiere dazu bringen, die Flügel statt des Körpers zu attackieren – aber die Raubtiere, um die es geht, sind zumindest bei B. anyana wohl keine Vögel, sondern Gottesanbeterinnen. Wie so oft ist die Natur mal wieder komplizierter als man denkt.
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