Im Moment denke ich gerade mal wieder über die Allgemeine Relativitätstheorie (ART) nach (ja, demnächst gibt es dazu mal wieder einen Artikel). Wie passend, das ich gerade einen Roman gelesen habe, in dem es darum geht, wie eine außerirdische Rasse mit einer vorindustriellen Technologie die ART entdeckt. Klingt absurd? Vielleicht schon – aber es ist nicht ganz so unplausibel, wie man vielleicht denkt.
Achtung: Der folgende Text enthält ein paar Spoiler – vermutlich nicht so viele, dass es euer Lesevergnügen stören wird, aber ich warne euch lieber trotzdem.
Die Außerirdischen leben im Inneren eines kleinen, von Tunneln durchzogenen Asteroiden (ich nenne das Ding mal so, im Buch heißt es “Splinter”). Interessanterweise wechselt hier von Ort zu Ort die Masse – genau im Zentrum des Asteroiden ist man schwerelos, je weiter man nach Außen kommt, desto größer wird die (schwere) Masse, allerdings nicht in alle Richtungen gleich. (Die Schwerkraft des Asteroiden selbst spielt im Buch gar keine Rolle, sie ist zu klein.) Dadurch dass die Außerirdischen einen schwerelosen Bereich zur Verfügung haben, können sie relativ leicht Newtons erstes Axiom entdecken- kräftefreie Objekte bewegen sich geradlinig und gleichförmig. (Das zweite und dritte Axiom tauchen nicht auf, was ein bisschen schade ist.) Dann entdecken sie, dass Objekte, die leicht vom genauen Zentrum des Asteroiden entfernt liegen, ein wenig hin- und herschwingen. Durch immer ausgeklügeltere Experimente entdecken sie schließlich zuerst eine Newtonsche Theorie der Schwerkraft, doch sie merken schnell, dass diese nicht zu ihrer Welt passt. (Ihr Asteroid befindet sich in einem wirklich starken Schwerefeld…) Langsam wird ihre Theorie komplexer und sie landen schließlich bei der ART und schaffen es sogar mit Hilfe ihrer Theorie zu berechnen, wie sie ihre Heimat vor einer drohenden Katastrophe bewahren können.
Parallel zu dieser Geschichte (die immer in den geraden Kapiteln des Buches erzählt wird) verläuft die Geschichte zweier ForscherInnen, die auf der Spur unserer Zivilisation sind und einiges über sie herausfinden (unter anderem auch – ein netter kleiner Kunstgriff – warum sie in der Lage sind, in so kurzer Zeit so gigantische Fortschritte in der Wissenschaft zu machen). Die beiden leben in einer technologisch extrem fortgeschrittenen Kultur (Überlichtgeschwindigkeit gibt es aber nicht -wenn man zu einem anderen Planeten reisen will, lässt man seine Moleküle zerlegen und per Lichtsignal an einen anderen Ort schicken, wo sie wieder zusammengebastelt werden). Mit den Möglichkeiten, die sich ihnen dabei bieten (und unterstützt von einer geheimnisvollen Zivilisation, über die man nahezu nichts erfährt) dringen die beiden immer weiter zum Zentrum der Milchstraße vor (wo der Asteroid liegt). Tja – und dann endet das Buch, bevor die beiden Handlungsstränge wirklich zusammenlaufen, was schon etwas enttäuschend ist. (Auf Wikipedia steht “The two stories come together in a complex twist which involves a kind of past/future first contact role reversal.” Ehrlich gesagt habe ich den komplexen Twist nicht verstanden (der auch in einigen anderen Reviews gelobt, aber leider nirgends erklärt, wird…); für mich bleibt unklar, in welcher zeitlichen Reihenfolge die beiden Handlungsstränge zueinander stehen – ich habe eine Vermutung, aber meiner Ansicht nach wird das nicht eindeutig klar. Falls jemand mir das Ende erklären kann, bin ich ganz Ohr.)
Überhaupt hinterlässt das Buch insgesamt einen gemischten Eindruck: Der Teil auf dem Asteroiden, in dem die ART entdeckt wird, ist gut geschrieben und die einzelnen Schritte der Argumente sind ziemlich clever (auch wenn man an einigen Stellen leicht abgehängt wird, weil die Argumente manchmal etwas zu unscharf vorgetragen werden (oder weil ich nicht genau genug gelesen habe…) – ein paar mehr Diagramme wären auch hilfreich gewesen). Langsam bekommt man heraus, in was für einer astronomischen Situation der Asteroid sich befindet (am Anfang hatte ich erst eine vollkommen andere Idee). Nett ist auch, dass niemals von “Schwerkraft” gesprochen wird – von Vornherein werden alle Effekte auf die Krümmung des Raumes und dann der Raumzeit zurückgeführt. Die Parallel-Story erlaubt es einem, die merkwürdige Zivilisation des Asteroiden etwas besser zu verstehen. Für diese Teile lohnt sich das Buch auf jeden Fall, zumindest wenn man SF mit viel Physik mag.
Enttäuschend ist, dass sehr viele Dinge nur sehr grob angeschnitten und gar nicht aufgelöst werden – was ist die Motivation der geheimnisvollen Zivilisation, die die beiden ForscherInnen unterstützt? (Anscheinend gehört das Buch in ein Universum, in dem auch andere Bücher von Egan spielen, aber ein wenig Auflösung hätte ich mir schon gewünscht.) Wie genau ist der Zusammenhang zwischen den beiden Handlungssträngen? Was passiert, nachdem der Asteroid am Ende aus der größten Gefahr heraus ist? Viele Stellen des Buches bleiben leider etwas blass (das gilt auch für die meisten Charaktere); manchmal hatte ich das Gefühl, ich lese eher die ausformulierte Rohfassung eines Romans als die endgültige Version.
Insofern empfehle ich das Buch mit Vorbehalt – die Teile innerhalb des Asteroiden, die sich um die ART drehen, sind für physikbegeisterte LeserInnen auf jeden Fall empfehlenswert und helfen vielleicht auch, die Anschauung für die ART etwas zu schulen, der zweite Handlungsstrang kämpft sich dagegen eher mühsam vorwärts.
Nachtrag Nachdem auch Greg Egan in einem Interview gesagt hat, dass es eine Aufklärung zum Thema der geheimnisvollen Außerirdischen und der Frrage gibt, wie die beiden Handlungen zusammenhängen, habe ich das Ende noch mal gelesen. O.k., ich sehe, was er beabsichtigt hat, finde es aber nicht überzeugend.
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