Wie der Draht oben im Norden ankommt, hängt davon ab, wie schnell wir ihn verschieben – wenn wir ihn sehr langsam nach Norden schieben, dann reicht die Kraft im Draht aus, um die schweren Kugeln wieder nach Außen zu verschieben, schießen wir ihn mit hoher Geschwindigkeit nach Norden, dann klappt das nicht und der Draht wird gestaucht. Wie stark der Draht genau zusammengedrückt wird, hängt natürlich auch von der Steifigkeit des Materials ab, also davon, welche Kraft er dem Zusammendrücken entgegensetzt. Je “weicher” das Material ist, desto stärker lässt es sich zusammendrücken.
Und jetzt denken wir uns die Kugeln auf dem Draht weg und betrachten nur den Draht selbst. Der besteht ja auch aus “Kugeln”, nämlich aus Atomen. Wenn wir den Draht in einem ungekrümmten, flachen Raum (oder in einem Raum mit konstanter Temperatur, je nachdem, welches Bild ihr verwenden wollt) durch die Gegend schieben (hinreichend langsam, damit wir die Beschleunigung der Atome vernachlässigen können, sonst gibt es elastische Wellen im Draht), ist die Kraft, die auf jedes Atom wirkt, gleich Null, die Atome sind alle im Gleichgewichtsabstand.
Beim Bewegen nach Norden auf der heißen Platte ändert sich jetzt der Gleichgewichtsabstand zwischen den Atomen, er wird größer. Schiebe ich den Stab nach Norden, dann folgen die einzelnen Atome zunächst der Bahn nach Norden und würden sich annähern; da sich der Gleichgewichtsabstand zwischen den Atomen ändert, erfahren die Atome eine Kraft nach Außen, der Stab steht also unter Druck.
Solange ich alles hinreichend langsam verschiebe, sorgt diese Kraft dafür, dass die Atome zu jedem Zeitpunkt ihren Gleichgewichtsabstand einnehmen. Schiebe ich den Stab aber sehr schnell, dass hängt es vom Material ab, was passiert: Im Stab aus Ynkelonium-Terkonit ist die Kraft zwischen den Atomen so groß, dass sie ebenfalls immer den Gleichgewichtsabstand haben – dieser Stab dehnt sich also genau entsprechend dem Bild mit den Kreisen von oben. Der Stab aus Aluminium dagegen wird durch die Bewegung der Atome ein wenig gestaucht (zusätzlich gibt es dann noch elastische Wellen im Stab und weitere Komplikationen), er wird also etwas kürzer sein als der Ynketerk-Stab. Und wenn ich mir einfach eine Kette aus Atomen vorstelle, zwischen denen gar keine Kraft wirkt, dann tun die genau das, was auch unsere Kugeln am Anfang getan haben – sie bewegen sich aufeinander zu (und im Extremfall treffen sie sich alle am Nordpol).
Die Aussage, dass sich alle Materialien in unserem Modell “gleich stark dehnen” bedeutet also genau genommen, dass die Gleichgewichtslängen zwischen den Atomen (die den Maßstab für die Objekte unseres Alltags setzt) sich alle gleich dehnen, egal welches Material wir haben. Es bedeutet aber nicht, dass wir diese Dehnung nicht beobachten können – die Effekte der Dehnung sehen wir eben zum Beispiel daran, dass der Alustab unter Druck steht, wenn wir ihn nach Norden schieben. Entscheidend ist der Unterschied zwischen dem Abstand bei der Bewegung freier Teilchen (wie unseren Kugeln) und dem Maßstab, der durch den Gleichgewichtsabstand unserer Atome gesetzt ist.
Wir können die Logik jetzt auf die “echte” Raumkrümmung und die ART übertragen. Am einfachsten ist der Fall eines expandierenden Universums – das habe ich schon vor einiger Zeit ausführlich abgehandelt. Betrachten wir wieder unsere zwei Kugeln, die sich auf einem Draht befinden. Wenn das Universum sich ausdehnt, dann entfernen sich die beiden Kugeln voneinander. Der Draht dagegen behält seine Länge bei (und so lange die Ausdehnung mit konstanter Rate stattfindet, erfährt er auch keine Kraft, wie ich in dem verlinkten Text erklärt habe), die Kugeln wandern also auf dem Draht nach Außen.
Ich kann das Ganze aber auch andersherum ansehen und sagen: Die Ausdehnung des Universums bedeutet in Wahrheit, dass der Gleichgewichtsabstand der Atome kontinuierlich schrumpft. Deswegen schrumpft der Stab, während die Kugeln brav an ihren Plätzen sitzen bleiben und deshalb auf dem Stab nach Außen rutschen. Beide Bilder sind gleichwertig.
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