Ich kann die Gleichung hier also in zwei Weisen interpretieren – entweder als eine Gleichung für die Wechselwirkung von Gummituch und Schwerefeld, oder aber als eine Gleichung für das Gummituch, bei der sich aber der Abstand zwischen benachbarten Punkten von Ort zu Ort ändert, wobei diese Änderung gerade durch das “Schwerefeld” bestimmt ist. Und diese zweite Interpretation ist natürlich genau die, die zum Bild der Raumkrümmung führt – in dem Bild gibt es dann kein Schwerefeld mehr, dafür ändern sich eben Abstände auf seltsame Art von Ort zu Ort.
Diese zweite Interpretation funktioniert aber nur deswegen, weil der Einfluss auf den Abstand für alle Felder, die es gibt exakt derselbe ist. Auch bei der elektromagnetischen Wechselwirkung geht das Feld (genauer gesagt das Potential) in die entsprechenden Energieterme ein, dort steckt aber in der Gleichung noch die elektrische Ladung drin – je nachdem, wie groß die Ladung ist, ist der Effekt also unterschiedlich stark und ungeladene Teilchen wie Neutrinos merken gar nichts vom elektrischen Feld. Entsprechend kann man hier nicht einfach uminterpretieren und die Gleichungen als Gleichungen für eine gekrümmte Raumzeit auffassen (obwohl es genau das war, was Einstein lange versucht hat).
In den entsprechenden Gleichungen kann man das übrigens direkt sehen: In den Gleichungen der Elektrodynamik taucht das Feld oder das Potential, wenn es um die Kopplung an Materie geht, immer zusammen mit der Ladung auf, beispielsweise in der Form
Bei den Gleichungen für die Wechselwirkung eines Schwerefelds mit einem anderen Feld dagegen haben wir keinen zusätzlichen Ladungsterm an den Ableitungen (Formel aus den Feynman Lectures on Gravitation, Gl. 4.2.8):
Daran sieht man schon formelmäßig, dass das Schwerefeld (der Tensor h als Abweichung von der Minkowski-Metrik) nicht von irgendeiner besonderen Eigenschaft des Feldes wie etwa der Ladung abhängt. Die Masse geht ein, allerdings nicht in den Ableitungstermen. Das muss auch so sein, denn die Masse hat in der Feldtheorie einen Einfluss auf die Feldoszillationen – wenn wir die (mit dem Maßstab) ändern wollen, dann muss die Masse auch beeinflusst werden.
Für die Zeit funktioniert die Überlegung übrigens ganz genauso – die Bewegungsenergie des Gummituchs hängt davon ab, wie stark sich die Auslenkung mit der Zeit ändert (denn wenn es auf- und abschwingt, bekomme ich ja eine Bewegung). In der entsprechenden Gleichung teilt man also durch den zeitlichen Abstand (weil man ja bei einer Geschwindigkeit die zurückgelegte Strecke durch die Zeit teilt), und auch hier kann man die Gleichung wie oben angegeben umschreiben.
Das Gravitationsfeld ist also insofern besonders, als es direkt mit der Energie wechselwirkt. Das führt dazu (weil letztlich in allen denkbaren Feldern die Energie von der räumlichen und zeitlichen Änderung des Felds abhängen muss), dass das Feld auf alle anderen Felder gleich wirkt. Und nur deswegen können wir die Stärke des Feldes in den Gleichungen auch genauso gut in die jeweiligen Größen einbauen, die den Abstand (und damit letztlich den Ort und die Zeit) kennzeichnen.
Puh. Ich weiß nicht, wie lange ich mich schon mit der Frage herumärgere, wie man sich zumindest halbwegs anschaulich zusammenreimen kann, dass gerade die Gravitation diese zwei Interpretationen erlaubt. Zumindest für mich machen diese Überlegungen die Sache einigermaßen nachvollziehbar: Die Gravitation muss an den Energiegehalt koppeln, die entsprechenden Terme in den Gleichungen enthalten immer räumliche und zeitliche Änderungen, also kann ich den Ausdruck, der das Gravitationsfeld enthält, auch den jeweiligen Abstandsvariablen zuschlagen – was dazu führt, dass sich räumliche und zeitliche Abstände scheinbar ändern. Ob Euch die Erklärung auch weiterhilft, weiß ich nicht, aber ich habe gerade das Gefühl, endlich etwas begriffen zu haben, was als Frage seit Jahren in meinem Kopf herumspukt. Hinterlasst gern jede Menge nörgelnde Kommentare, wenn die Erklärung hier nicht klar ist, weil sie nur auf meine persönliche Intuition passt.
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