Nachtrag: Ja, dieser Artikel ist ein Aprilscherz. Die Erklärung zum Thema Versetzungen ist zwar korrekt, der Kram mit der Bremse ist aber Blödsinn.
Ihr kennt es sicher alle, wenn ihr irgendwo am Bahnsteig steht und auf einen Zug wartet. Wenn der Zug endlich kommt, wird es laut. Unangenehm laut, weil die Bremsen einen höllischen und schwer erträglichen Lärm machen (komischerweise bin ich meist die* einzige, die sich die Ohren zuhält). Könnte man dagegen nicht mal etwas tun? Das ist in der Tat komplizierter als man denkt – die meisten wissen nicht, dass der Lärm eigentlich durchaus gewollt ist.
* vorneweg mal wieder der Hinweis: ja, ich verwende heute ausschließlich weibliche Formen. Wer das diskutieren will, kann das hier tun.
Beim Bremsen geht es bekanntlich darum, Dinge anzuhalten, in diesem Fall einen ziemlich schweren Zug. (Wieder einmal merkt ihr, wie ich euch unglaubliche Dinge erkläre, auf die ihr nie allein gekommen wärt, schon toll, dieser Blog, oder…?) Wir müssen die kinetische Energie des Zuges in eine andere Energieform umwandeln – und das ist am Ende natürlich Wärmeenergie.
Zum Bremsen brauchen wir zunächst natürlich Räder, die durch Reibung mit den Schienen Energie abgeben – ohne das geht es nicht, weil der Impuls des Zuges ja irgendwie auf die Erde übertragen werden muss, damit Zug und Erde am Ende relativ zueinander ruhen. Damit die Räder nicht einfach so schnell weiterrollen, wie sie es bisher getan haben, müssen sie durch die Bremse aber eben gebremst werden, und da steckt das Problem.
Heutige Bremsen funktionieren meist als Reibungsbremsen – es wird ein Bremsklotz oder etwas Ähnliches auf das Rad gedrückt und bremst diesen. Dabei entsteht Wärme, und weil wir von ziemlich hohen Energien reden, ist das auch ziemlich viel Wärme, die da entstehen kann. Entsprechend werden die Räder unseres Zuges heiß.
Weil die Räder wiederum recht groß sind, ist die Wärmeleitung vergleichsweise langsam; entsprechend könnten die Temperaturen an so einem Rad deutlich höher werden als zum Beispiel bei eurem Auto oder Fahrrad. Und das wiederum ist ein Problem, weil die gebremsten Räder meist aus Stahl sind.
Stahl ist eine Legierung aus Eisen und Kohlenstoff. Der Kohlenstoff im Stahl hat dabei eine besondere Eigenschaft, die ihn von den meisten anderen Legierungselementen unterscheidet: Er löst sich im Inneren des Atomgitters, quetscht sich also zwischen die Eisenatome. So etwa kann man sich das (in zwei Dimensionen) vorstellen:
Für den Kohlenstoff ist das natürlich ein bisschen eng, er setzt sich deshalb bevorzugt an Stellen, wo das Kristallgitter etwas aufgeweitet ist. Das passiert an so genannten Versetzungen, Fehlstellen im Gitter (Ein Bild einer solchen Versetzung seht ihr auch oben im Header des Blogs).
Die Kohlenstoffatome sitzen dort, wo die Atomabstände etwas größer sind, also unterhalb der “Extra-Lage” von Atomen.
Versetzungen sind deshalb so wichtig, weil sie die Ursache für die plastische Verformung in einem Kristall sind (ausführlich habe ich das hier erklärt). Dazu müssen sich die Versetzungen bewegen, das geht aber schwerer, wenn Kohlenstoffatome an den aufgeweiteten Stellen sitzen, denn die Versetzung von dort wegzubewegen, erfordert zusätzliche Energie, weil dann die Atome enger zusammenrücken müssen. Die Versetzungen müssen sich erst einmal von den Kohlenstoffatomen losreißen, danach bewegen sie sich dann leichter. (In der Fachsprache heißt sowas “ausgeprägte Streckgrenze”).
Bei erhöhter Temperatur werden die Kohlenstoffatome aber beweglicher – wenn die Versetzung sich bewegt, bewegen die Atome sich gleich mit. Damit sinkt die Festigkeit des Materials.
Und das ist jetzt genau das Problem beim Bremsen: Wenn das Rad zu heiß wird, dann sinkt seine Festigkeit, was dazu führen könnte, dass er sich durch die Druckkraft der Bremse (oder das Gewicht des Zuges) plastisch verformt. Die beim Bremsen entstehende Energie muss also möglichst schnell weitergeleitet werden, damit das nicht passiert.
Für diese Weiterleitung ist die einfache Wärmeleistung aber eben einfach nicht schnell genug – dazu braucht es einen schnelleren Energietransport. Und hier kommt der Schall ins Spiel: Die Schallgeschwindigkeit in einem Metall ist ja ziemlich hoch (etwa 5000m/s in Stahl). Wenn also ein Teil der Energie in Schwingungen des Rads und damit in Schall überführt wird, dann fällt die Temperaturerhöhung entsprechend geringer aus.
Durch die Bremse wird das Rad also in Schwingungen versetzt; dabei wird Schallenergie frei, die dann über die Achse an den Rest des Zuges weitergeleitet wird, wo sie schließlich absorbiert werden kann. Sowohl die Bremsen selbst als auch die Räder werden deshalb so ausgelegt, dass beim Reiben der Bremsen das Rad in akustische Schwingungen gerät. Ein Teil der Schallenergie wird dabei aber eben auch an die Umgebungsluft übertragen, was zum unerwünschten Quietschen gehört.
Dass das Quietschen so eine schrecklich hohe Frequenz hat, mag auf den ersten Blick (oder das erste Hören) überraschen. So ein Rad hat einen Durchmesser von etwa einem Meter und sollte damit eigentlich ja eine entsprechend tiefe Schallfrequenz haben (so wie in großer chinesischer Gong vielleicht). Das ist jedoch nicht der Fall – dadurch, dass das Rad am unteren Ende aufliegt, ist die Schwingungsmode mit der niedrigsten Frequenz blockiert; entsprechend kommt es zu Anregungen mit höheren Schwingungen. Mathematisch verwendet man hier (wie immer bei Schwingungen von zylindrischen Objekten) die fiesen Bessel-Funktionen zweiter Gattung. Für ein Rad lautet die entsprechende Formel:
Dabei ist λ die sich ergebende Wellenlänge der Schwingung und r der Radius des Rads. Setzt man Werte für den ICE ein und löst die Gleichung (das macht man numerisch mit einem Verfahren, das den schönen Namen “Quaternionen-Tangenten-Schätzung” trägt), ergibt sich eine Schallfrequenz von 1,042015 kilo-Hertz, was im deutlich unangenehm hohen Bereich liegt.
Auch wenn das Quietschen also sehr unangenehm ist, ist es für die Funktion der Bremsen leider notwendig. Trotzdem gibt es Ideen, das Quietschen zu reduzieren. Eine Möglichkeit dazu ist das Nitrieren von Stahl: Dabei werden Stickstoffatome an der Oberfläche eingebracht, die sich ebenfalls ins Atomgitter quetschen. Stickstoff hat jetzt die Eigenschaft, Schwingungen innerhalb des Materials zu dämpfen (das liegt daran, dass beim Stickstoff ja eine Teil-Elektronenschale (ein p-Orbital) mit zwei Elektronen besetzt ist; diese Elektronen können gegeneinander in Schwingungen geraten und so Energie aufnehmen, die dann als Wärme abgegeben wird), so dass die Schallwelle nicht mehr an der Oberfläche, sondern nur im Inneren weitergeleitet wird und so die Abstrahlung in die Luft unterdrückt wird. Bisher wird das Verfahren noch nicht serienmäßig angewandt, weil es zu teuer ist; momentan wird aber nach wegen gesucht, das Einbringen von Stickstoff auch in große Räder günstiger zu gestalten.
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