Seit 1998 ist die Weltspitze dann noch deutlich weniger klar – seitdem ist es überhaupt nur ein einziges Mal gelungen, einen WM-Titel erfolgreich zu verteidigen, nämlich 2013 (das war aber kein erster Titel). Die Gruppe der Spitzenspielerinnen, die sich prinzipiell Hoffnungen auf den Titel machen können, ist anscheinend einfach deutlich größer geworden – wenn wir einfach annehmen, dass alle in den Top 16 eine halbwegs realistische Chance haben, dann sollten wir in 16 Jahren in etwa eine einzige erfolgreiche Titelverteidigung erwarten (die Wahrscheinlichkeit, dass nie ein Titel verteidigt wird, ist (15/16)^16=35%). Einen ersten WM-Titel gab es für 8 Spielerinnen seit 1998, bei einer grob geschätzten Chance von 1/16 pro Versuch ist es also nicht so schrecklich überraschend, dass eine erste Titelverteidigung in diesem Zeitraum nicht geklappt hat.

Setzt man die drei Einzelwerte zusammen, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass es nie eine erfolgreiche Titelverteidigung gab, schon etwas kleiner – wir haben grob 50% für die 80er und nochmal etwa 50% für die Zeit seit 1998 und irgendeinen größeren Wert für die Hendry-Ära; gibt insgesamt eine Wahrscheinlichkeit irgendwo im Bereich 20%.

Hmm, gar nicht mal so groß. Ist es also doch ein Fluch? Vorsicht: Wir dürfen auch nicht vergessen, dass diese Statistik ja erst im Nachhinein aufgestellt wurde. Niemand hat sich ja 1980 hingestellt und den “Fluch des Crucible” vorhergesagt (die Wiki-Artikel zitieren nur Quellen nach 2007 zum Thema). Erst nachdem irgendwem die etwas ungewöhnlich aussehende Statistik aufgefallen war, wurde sie ja zum Thema. Wenn Hendry 1991 den Titel verteidigt hätte, hätte man ja gar nicht erst angefangen, von einem “Fluch” zu reden – oder man würde eine andere statistische Besonderheit hervorheben (zum Beispiel die Tatsache, dass es laut Snooker-Kommentatorin Rolf Kalb noch nie der Spielerin, der die China Open, das letzte Turnier vor der WM, gewonnen hat, gelungen ist, anschließend den WM-Titel zu holen). Bei der Vielzahl an möglichen Variablen findet sich bestimmt immer irgendeine, die statistisch interessant aussieht – dafür sind wir Menschen viel zu gut im Mustersehen (selbst dann, wenn keine da sind). Klar ist es nicht unplausibel, dass eine Spielerin in der Saison nach dem ersten WM-Titel besonders unter Druck steht (und das wird von vielen auch so gesagt, und auch vor 1980 war eine erste Titelverteidigung selten, dort gab es aber zum Teil einen anderen WM-Modus), und das mag natürlich zum “Fluch” beitragen. Ganz so ungewöhnlich, wie es auf den ersten Blick aussieht, ist er aber wohl nicht.

So oder so – an diesem Wochenende wird Snooker gespielt (der Fluch wirkt übrigens auch dieses Jahr – Mark Selby, Siegerin 2014, ist bereits raus), und zwar nicht nur bei der WM in Sheffield, sondern auch in einem Billardverein bei euch in der Nähe. Also: Probiert es doch einfach mal aus.

                      

*Ja, auch diesmal wieder sind alle Personen grammatikalisch weiblich – Männer dürfen sich mitgemeint fühlen, wer sich beschweren will, tut das bitte nicht in den Kommentaren hier sondern lieber da, wo ich erkläre, was das soll.

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Kommentare (16)

  1. #1 F.Jeschke
    29. April 2015

    **in der Vita rechts beim Bild steht:Martin B. ist Physiker?????

  2. #2 MartinB
    29. April 2015

    @F.Jeschke
    ja, weil ich alte Texte nicht extra ändere.

  3. #3 Adent
    29. April 2015

    Nach den bisherigen Vorleistungen ist für mich Judit Trump Favoritin. eventuell noch Neiliana Robertsdaughter 😉

  4. #4 MartinB
    29. April 2015

    @Adent
    et tu, Adente?

  5. #5 volker
    Waakirchen
    29. April 2015

    snooker ist sooper!

  6. #6 volker
    Waakirchen
    29. April 2015

    29.04. 17.00
    6 to 6 ! Ich setzte 100 Pfund auf Ronaldine.

  7. #7 Artur57
    30. April 2015

    Ich finde, so erstaunlich ist diese Beobachtung nicht. Stephen Hendry ist der einzige, der es über eine Spanne von 9 Jahren geschafft hat, ins Endspiel zu kommen. Er hat fünf Mal am Stück gewonnen, mit jeweils einem Stotterer am Anfang und am Ende seiner Karriere. Das sagt eigentlich nur, dass die maximale Leistungsfähigkeit über das Alter etwa gaußverteilt ist. Ein Doppelgewinn gleich zu Anfang der Karriere ist daher sehr unwahrscheinlich.

    Müsste zu sehen sein, wenn man die Tabelle einfach umdreht. Auch da würde man vom “Fluch” nur zwei Ausnahmen sehen.

    Wieder mal: keine Hexen, obwohl es danach aussieht.

  8. #8 MartinB
    30. April 2015

    @Artur57
    “Stephen Hendry ist der einzige, der es über eine Spanne von 9 Jahren geschafft hat, ins Endspiel zu kommen.”
    Wiemeinst du das? Ronnie O’Sullivan war 2001 Weltmeister und 2013, Higgins 1998 und 2011?
    “Das sagt eigentlich nur, dass die maximale Leistungsfähigkeit über das Alter etwa gaußverteilt ist. ”
    Obwohl es plausibel ist, dass die Leistungskurve ziemlich lange ansteigt (jüngere Spielerinnen sind jameist ziemlich draufgängerisch und haben es nicht so mit safeties), glaube ich nicht, dass man das aus den Daten ablesen kann. Und einige Spieler haben ja auch ihren ersten Titel geholt, als sie schon ziemlich lange dabei waren – O’Sullivan, Higgins und Williams sind glaube ich alle seit 1992 auf der Tour – nach der Logik hätten die den Titel dann ja mit größerer Wahrscheinlichkeit verteidigen müssen. Oder habe ich dich falsch verstanden?

  9. #9 Artur57
    30. April 2015

    Ja, habe ich übersehen. Dieser Higgins ist also Rekordhalter mit 13 Jahren Abstand, in denen er den Titel holte. Also sagen wir, man hat insgesamt eine Spanne von 13 Jahren, in denen man den Titel gewinnen kann. Ist ja ungefähr auch die Dauer einer Fußballkarriere.

    Was ich sagen will: bei diesen Mehrfachgewinnern ist es so, dass sie noch im ansteigenden Teil der Gaußkurve sind, wenn sie zum ersten Mal den Titel gewinnen. Die Chance auf Verteidigung ist daher geringer. Erst 6,5 Jahre später, auf dem Maximum der Kurve, ist diese Wahrscheinlichkeit am größten.

  10. #10 MartinB
    1. Mai 2015

    @Artur57
    Dann muss man ja das Alter mit einrechnen, wo der Titel zum ersten mal geholt wird. Ebdon war 2002 schon lange etabliert (stand immerhin schon 1996 im Finale), Dott 2006 auch, ebenso Mark Williams und letztlich auch Ronnie (seit 1992 auf der Tour, glaube ich). Meinst du, dass das spielerische Maximum erst so mit Ende 20 kommt? Kann schon sein (aber Ebdon war auch schon 31 beim ersten titel).

  11. #11 Artur57
    1. Mai 2015

    @Martin

    Ja, so Ende 20 ist eine gute Abschätzung. Etwas später als bei den Fußballern, was ja erklärlich wäre. Aber gleichauf mit den Nobelpreisträgern. Da erinnere ich mich an einen Spektrum-Artikel, in dem untersucht wurde, in welchem Alter die preiswürdige Arbeit abgeliefert wurde. Der Schnitt war 29.

  12. #12 MartinB
    1. Mai 2015

    @Artur57
    Gerade bei den Nobelpreisen halte ich das für ne sehr fragwürdige Statistik, weil die Streuung ziemlich groß sein dürfte und der Wert davon abhängen wird, ob man Mittelwert oder Median anguckt. Beim Snooker schon eher, aber auch da gibt es einige, die erst mit Mitte/Ende 30 richtig aufdrehen wie z.B. Martin Gould.

  13. #13 Artur57
    3. Mai 2015

    @Martin
    Bei den Nobelpreisen dürften wir eine “linkssteile” Verteilung haben, das heißt dann, dass der Median bei noch jüngeren Preisträgern läge. Ich weiß, das erscheint aus heutiger Sicht sehr jung, denn dieses Alter hat sich noch oben verschoben. Aber es sind eben auch die früheren Preisträger mit drin und die senken den Schnitt.

    Nehmen wir Albert Einstein: er hat den photoelektrischen Effekt im Alter von 26 Jahren entdeckt und dafür den Preis bekommen. Was dann aber keineswegs das Ende seiner Karriere war, da kam dann noch etwas.

    Allerdings: in unserem Alter befinden wir uns im asymptotischen Teil der Kurve. Um das mal dezent anklingen zu lassen.

  14. #14 MartinB
    3. Mai 2015

    @Artur57
    “ber es sind eben auch die früheren Preisträger mit drin und die senken den Schnitt.”
    Klar, zu zeiten von Pauli und Schrödinger schrieb man mit Anfang 20 schon an seiner Doktorarbeit.
    Aber genau das meine ich ja – die 29 schient mir zum einen als Schnit sehr hoch gegriffen, zum anderen dürfte die Breite der Verteilung sehr groß sein.

  15. #15 MartinB
    3. Mai 2015

    PS
    ” in unserem Alter befinden wir uns im asymptotischen Teil der Kurve. ”
    Was meine Chancen auf den Nobelpreis angeht, wohl schon – auf der anderen Seite verstehe ich jetzt Dinge, die ich nicht durchblickt habe, als ich über QFT promoviert habe, schon lustig…. Aber mein Snooker wird immer besser (auch wen ich nie richtig gut sein werde), und bloggen kann ich in meinem Alter auch noch ganz gut.

    Es gibt übrigens auch den Fluch des Nobelpreises: noch nie ist es jemandem gelungen, den Nobelpreis zwei Jahre hintereinander zu bekommen 😉

  16. […] Unterschiede zwischen Pool und Snooker habe ich auch schon erklärt, und ich habe mir auch schon mal Gedanken über Statistiken und den “Fluch des Crucible” […]