Bücher über Denkfehler, Denkfallen und ähnliches mag ich sehr – ich finde es immer wieder spannend zu sehen, wie leicht einen der Verstand aufs Glatteis führen kann. So etwas ist aber eher Hobby – dass solche Denkfehler auch in meinem wissenschaftlichen Alltag auftauchen können, war mir zwar prinzipiell klar, aber real passiert ist es soweit ich weiß bisher nie. Letzte Woche aber war es soweit: Für einen Moment wurde ich ein Opfer des Will-Rogers-Phänomens.
Erst mal ein bisschen zum Hintergrund: Bei uns am Institut erforschen wir Wärmedämmschichten, also Schutzschichten, die man auf Bauteile draufpackt, damit der Grundwerkstoff (das Substrat) vor sehr hohen Temperaturen geschützt wird. Das Prinzip ist ähnlich wie beim Topflappen, wo ein schlecht Wärmeleitendes Stück Stoff eure Finger thermisch vom heißen Topf isoliert. Ausführlich habe ich darüber schon vor längerer Zeit mal gebloggt.
In einem aktuellen Projekt geht es um Raketentriebwerke wie dieses hier:
„SNECMA Vulcain II“. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons.
Das große trichterförmige Ding unten ist die Düse, die Brennkammer (der Bereich, der mich hier interessiert) ist hinter dem ganzen Wirrwarr aus Rohren und Krams versteckt. Dort reagieren die Brennstoffe (Sauerstoff und Wasserstoff) miteinander und erzeugen hohe Temperaturen, so dass das Gas unten mit hoher Geschwindigkeit austritt und die Rakete antreibt.
In so einer Raketenschubkammer herrschen Temperaturen von mehr als 3000 Grad Celsius – mehr als handelsübliche Materialien aushalten können. Man nimmt deshalb als Wand für die Brennkammer ein Material, an das man bei Hochtemperaturanwendungen nicht zuerst denkt, nämlich Kupfer. Kupfer schmilzt bei einer Temperatur von 1085°C, was selbst für ein Metall vergleichsweise niedrig ist. Aber Kupfer ist ein extrem guter Wärmeleiter. Man kühlt deshalb das Kupfer auf der Rückseite der Brennkammer mit flüssigem Wasserstoff (den man ja als Treibstoff nimmt), der eine Temperatur von -200°C oder weniger hat. Im Kupfer bildet sich dann ein Temperaturgefälle (vornehm ein Gradient). An der Oberseite des Kupfers gibt es einen Temperatursprung zum Gas, so dass man die Spitzentemperatur des Kupfers auf diese Weise auf Temperaturen von so etwa 800°C beschränken kann.
Diese Spitzentemperatur liegt unterhalb des Schmelzpunktes von Kupfer, aber sie ist so hoch, dass das Kupfer hier schon ziemlich weich ist. Weil sich das Kupfer an der Innenseite der Brennkammer (wo es sehr heiß ist) thermisch ausdehnt, entstehen entsprechend hohe Spannungen im Kupfer, die nach einigen Zündungen des Triebwerks zum Versagen führen können. (Selbst ein Triebwerk, das nicht wiederverwendet wird, wird mehr als einmal gezündet, weil die Triebwerke einen Probelauf (oder auch mehrere) machen.) Will man Triebwerke bauen, die mehrfach wiederverwendet werden können, dann muss man dieses Versagen verhindern. Die wissenschaftliche Basis für solche wiederverwendbaren Triebwerke zu schaffen, ist das Ziel des Forschungsverbunds, in dem wir arbeiten.
Unsere Wärmedämmschichten sollen also helfen, das Kupfer vor den extrem hohen Temperaturen der Brennkammer noch ein wenig mehr zu schützen – oben auf das Kupfer packen wir eine dünne Schicht aus einem anderen Material, das zum einen ein schlechterer Wärmeleiter ist, zum anderen eine höhere Temperaturbeständigkeit hat; im Moment verwenden wir Nickellegierungen. Wie bei solchen Schichtsystemen üblich, haben wir zwei Schichten übereinander: Die erste (Haftvermittler genannt) liegt direkt auf dem Kupfer und soll Spannungsdifferenzen zwischen dem Kupfer und der Deckschicht auffangen, die zweite, äußere ist dann die Deckschicht, die direkt dem Heißgas ausgesetzt ist.
Um unsere Schichten auszulegen, haben wir ein paar Simulationsrechnungen gemacht, mit denen wir den Temperaturverlauf und die Spannung im Schichtsystem berechnen wollten. Dabei zeigte sich, dass so knapp 100 Mikrometer Gesamtschichtdicke (also Haftvermittlerschicht – kurz HVS – und Deckschicht zusammen) eine gute Wahl wären. Bei unserer momentanen Materialauswahl ist die Wärmeleitung der beiden Materialien etwa gleich, deswegen können wir die Dicke von HVS und Deckschicht nahezu beliebig variieren, ohne das Temperaturprofil stark zu beeinflussen. So sieht das Simulationsergebnis des Temperaturfeldes aus – rechts ist die Heißgas-Seite, dann seht ihr die beiden Bereiche der Wärmedämmschicht, links beginnt das Kupfer (das aber noch ein ganzes Stück weitergeht)- das Modell simuliert nur einen schmalen Streifen Material, was aber für unsere Überlegungen völlig ausreicht. (Für die komplexeren Simulationen einschließlich Kühlkanälen und so weiter haben wir Projektpartner…) Die Grenzlinie zwischen den Materialien ist ein wenig gekrümmt, weil wir wissen wollen, welche Spannungen entstehen, wenn die Schichten ein bisschen rau sind (was sie immer sind und auch sein müssen, sonst haften sie nicht).
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