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(Die Skala läuft hier nur von kalt bis heiß – Zahlenwerte verrate ich demnächst hoffentlich in einer Veröffentlichung…)

Die Spannungen ändern sich aber, wenn man die Schichtdicken ändert, weil die beiden Materialien unterschiedliche thermische Ausdehnungskoeffizienten haben. Die Deckschicht, die ja sehr heiß wird, dehnt sich natürlich auch stark aus, sie hat aber einen kleineren Ausdehnungskoeffizienten als die HVS oder das Kupfersubstrat. Deswegen kann man durch Ändern der Schichtdicken die Spannungen beeinflussen.

Die Spannung in den Schichten variiert aber natürlich von Ort zu Ort – ganz rechts ist es heißer, also ist dort mehr Dehnung, also ist dort auch die Spannung größer. (Naja, ganz neue Rechnungen zeigen, dass es in Wahrheit etwas komplizierter sein kann, wenn sich die Materialien plastisch verformen, aber das ist eine andere Geschichte…) Um jetzt abzuschätzen, wie sich eine geänderte Dicke der beiden Teilschichten auf diese Spannungen auswirkt, dachte ich, es wäre am einfachsten, für jede der beiden Schichten eine mittlere Temperatur zu berechnen (also die Temperatur in der Mitte der Schicht zu nehmen). Dann wollte ich diese mittlere Temperatur mit der im Kupfer vergleichen und so sehen, wie groß jeweils der Temperaturunterschied ist, so dass man die Spannungen berechnen kann (da das Kupfer wesentlich dicker ist als die Schicht, bestimmt es auch die thermische Dehnung der Brennkammerwand).

Ich probierte also unterschiedliche Kombinationen von Schichtdicken aus, die zusammen eine Dicke von knapp 100 Mikrometern ergaben. Intuitiv erwartet hatte ich, dass eine dickere Decksicht die mittlere Temperatur in dieser Schicht verringern würde, dass das aber durch eine höhere Temperatur in der HVS kompensiert würde. Die Zahlen zeigten aber etwas anderes: je dünner man die HVS macht, desto kleiner wird die mittlere Temperatur (und damit nach meiner Logik auch die Spannung) in beiden Schichten. Für einen Moment war ich verwirrt – wie soll das denn gehen? Aber nach ein paar Sekunden fiel es mir wie Schuppen aus den Haaren (sagt man doch so, oder?): ich war ein Opfer des Will-Rogers-Phänomens geworden.

Wenn man die Deckschicht dicker und dafür die HVS dünner macht, dann nimmt man die heißesten Bereiche der HVS und schiebt sie in die Deckschicht. Dort sind sie aber die kältesten Bereiche, weil die Temperatur ja zur Oberfläche hin immer weiter zunimmt. Also nimmt die mittlere Temperatur in der HVS ab, weil ich dort die heißesten Teile wegnehme, und ebenso in der Deckschicht, weil ich dort kältere Teile hinzufüge. Und genau das ist das Will-Rogers-Phänomen. Dieses Phänomen kommt ziemlich häufig vor und ich habe darüber schon vor langer Zeit mal gebloggt. Man findet es in der Medizin, man kann damit Statistiken fälschen – aber in meinem eigenen Alltag war es mir bisher noch nicht begegnet. Die Vermutung liegt nahe (ist bei einer Stichprobenlänge von n=1 aber nicht so gut belegt), dass das viele Lesen von Büchern über Denkfallen und ähnliches tatsächlich etwas nützt – wenn ich den Effekt nicht gekannt hätte, hätte ich wohl etwas länger gebraucht, um dahinter zu kommen.

Die Spannung werte ich jetzt übrigens anders aus – es ist eben doch sinnvoller, Spannungsverläufe über die Schichtdicke anzugucken, statt die auf eine Zahl reduzieren zu wollen, wenn die Werte sich so stark von Ort zu Ort ändern. Ob es uns dann dank dieser Simulationen eines Tages gelingt, passende Schichten zu entwickeln, die auch in einer Rakete mitfliegen dürfen – wer weiß?

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Kommentare (8)

  1. #1 haarigertroll
    7. Mai 2015

    Im Zusammenhang mit den Triebwerken der A4/V2 habe ich mal den Begriff der “Schleierfilmkühlung” gehört, also dass man durch eine Schicht Treibstoff auf der Innenseite der Brennkammer Kühlung und thermische Isolation erreicht. Macht man das heute nicht mehr? Warum?

  2. #2 MartinB
    8. Mai 2015

    Ja, das kann man machen, wird bei uns im Projekt auch untersucht:
    https://www.sfbtr40.de/index.php/de/die-teilbereiche/tb-a-strukturkuehlung
    Sowiet ich es verstehe (aber Strömungssimulationen sind nicht ganz mein fachgebiet) ist die Auslegung dann schwierig, weil die Kühlung mit dem Überschallschnellen Gas in der Brennkammer wechselwirkt und das nicht leicht zu berechnen ist.

  3. #3 Turi
    9. Mai 2015

    Wie wird die Beschichtung aufgebracht? Sputtern dürfte ja bei 100µm dicke rausfallen.

  4. #4 MartinB
    9. Mai 2015

    Das machen wir mittels unserer ziemlich neuen HVOF-Anlage, also mit Flammspritzen: teilchen werden in einer Flamme aufgeschmolzen und aufs Substrat geschossen. (Geht auch mit Plasmaspritzen, aber bei metalischen Schichten ist HVOF besser, weil da weniger Oxidation auftritt.)

  5. […] Bauteilen, die richtig hohe Temperaturen erleben, wie beispielsweise Turbinenschaufeln oder auch Raketentriebwerke. Bei Temperaturschwankungen von 1000°C werden die thermischen Dehnungen so groß, dass Metalle […]

  6. […] Allerdings ist auch dieses Farbspektrum für dieses Problem nicht ideal. Worüber ich nämlich – bis vor kurzem – nie nachgedacht habe, ist, dass Farbspektren je nach Art der Daten unterschiedlich sein sollten. Wenn ihr einen einfachen Werteverlauf habt (z.B. von kalt nach heiß), dann ist ein verlauf mit zwei Randfarben, die fließend ineinander übergehen gut geeignet. Hier ein Temperaturverlauf in einer Schicht: […]

  7. #7 HVOF
    Düsseldorf
    24. Juni 2016
  8. #8 MartinB
    24. Juni 2016

    @Walter
    Weiß ja nicht, ob das hier der richtige Ort für diese Art Werbung ist – aber da wir ja auch HVOF nutzen, lasse ich es mal stehen…