Dunkle Materie
Zum Abschluss kommen wir zu den Dingen, bei denen der Nachweis durchaus umstritten ist. Ein prominentes Beispiel dafür ist die berühmte “dunkle Materie”. (So ziemlich alles darüber findet ihr bei Florian, deswegen mach ich’s kurz.) Die dunkle Materie hat man bei der Beobachtung der Bewegung von Sternen und Galaxien “entdeckt” – etwas genauer gesagt hat man entdeckt, dass sich Sterne in Galaxien anders bewegen, als sie es im Schwerefeld der beobachteten anderen Sterne tun sollten. Irgend etwas beeinflusst die Bewegung der Sterne also zusätzlich. Da die Gravitationskraft die einzige Kraft ist, die eine hinreichend große Reichweite hat (auch die elektrische Kraft hat eine sehr große Reichweite, aber da es positive und negative Ladungen gibt, tendieren die dazu, sich zu kompensieren, so dass elektrische Felder auf galaktischen Längenskalen dann doch nicht stark genug sind), muss das zusätzliche Etwas also irgendwas mit einer Masse sein, das man aber nicht direkt mit Teleskopen sehen kann. (Ideen mit einer modifizierten Gravitationstheorie – MOND – gibt es auch, aber die erklären die Ergebnisse nicht so gut.) Dieses “Etwas” ist die dunkle Materie.
In gewisser Weise können wir sagen, dass die dunkle Materie nachgewiesen ist – direkt “sehen” können wir sie nicht, aber wir haben Beobachtungen (die Abweichungen der Sternbahnen von dem, was wir erwarten) und eine Theorie (die Gravitationstheorie), die nur unter einen Hut gebracht werden können, wenn wir die Existenz der dunklen Materie annehmen.
Wirklich zufrieden ist mit diesem sehr indirekten Nachweis aber niemand – einfach deswegen nicht, weil uns der Nachweis keinen Hinweis darauf gibt, was es mit der dunklen Materie auf sich hat. Wir haben keine Theorie für die dunkle Materie selbst und wissen eben nicht, worum es sich dabei handelt.
Eine Möglichkeit sind WIMPs – schwach wechselwirkende massive Teilchen. Das wären schwere Elementarteilchen, die aber nur wenig mit anderen Teilchen wechselwirken (weswegen man sie bisher nicht gesehen hat/hätte). Nehmen wir an, eine Sorte solcher Teilchen würden irgendwo an einem Beschleuniger gefunden, nennen wir sie mal spaßeshalber “Klumpionen” (weil sie schwere Klumpen sind). Stellen wir uns weiter vor, schlaue Theoretikerinnen würden aus den Beobachtungen ableiten, wie genau die Klumpionen mit anderen Teilchen wechselwirken, und andere schlaue Physikerinnen würden daraus berechnen, wie viele Klumpionen kurz nach dem Urknall entstanden sein müssten und wie diese im heutigen Universum verteilt wären. Und dabei würde herauskommen, dass die Klumpionen dann genau so verteilt sein müssten, wie es die dunkle Materie ist. All das zusammen würde dann vermutlich schon als Nachweis der Klumpionen (und damit der dunklen Materie) anerkannt werden.
Natürlich wäre es noch besser, wenn wir zusätzlich auch noch echte Klumpionen aus dem All finden würden, beispielsweise auf der ISS, auf der man einen Klumpionen-Detektor installieren könnte – in dem Fall hätten wir dann zwei Messergebnisse, die beide in dieselbe Richtung deuten, das wäre natürlich noch überzeugender. Aber auch ohne dass würde mein hypothetisches “Klumpionen-Szenario” vermutlich schon als Nachweis der Klumpionen anerkannt werden (und der entsprechende Nobelpreis würde dann unter denen aufgeteilt werden, die die Dinger entdeckt und die Theorie aufgestellt haben – oder man vergibt gleich zwei davon).
Wenn also die Klumpionen entdeckt (und möglichst auch noch im All nachgewiesen) sind, dann könnten wir die Beobachtung der Sternenbewegungen eben mit Hilfe von Klumpionen erklären – und damit würden wir dann die dunkle Materie als “nachgewiesen” betrachten und sie mit den Klumpionen identifizieren, so dass wir sagen können, wir hätten die dunkle Materie (alias Klumpionen) gesehen. Und das alles, ohne dass wir dazu andere Beobachtungen der Sternbewegungen machen müssten, als wir sie schon haben. Dieselbe Beobachtung (nämlich der Sternbewegung) wird also im Licht anderer Fakten neu interpretiert und dient plötzlich als Nachweis der Klumpionen.
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