Auch das ist uns letztlich aus dem – mehr oder weniger – Alltag vertraut, beispielsweise aus Detektivgeschichten. Wenn Inspektorin Clumbumbo erfährt, dass die Hauptverdächtige gern Tennis spielt, dann können die roten Sandkörner am Tatort eben plötzlich als Indiz für ihre Anwesenheit dort gewertet werden. Auch Clumbumbo sucht diejenige Erklärung, die mit den beobachteten Fakten im Einklang steht und die zu allem passt, was sie weiß (ihrer Theorie). Und wenn sich die Theorie ändert, dann können eben auch Beobachtungen neu gedeutet werden und ein Nachweis für etwas sein. Ähnlich war es auch schon im ersten Teil, als der – leider hypothetische – Dino in meinem Garten herumpazierte. Je nachdem, was die weiteren Untersuchungen ergeben, stellt sich heraus, dass meine erste Wahrnehmung des Dinos tatsächlich auf einem Dino beruhte oder durch einen Bildschirm verursacht war oder was auch immer.
Dunkle Energie
Zum Abschluss noch eins der größten Rätsel der Kosmologie: Die dunkle Energie (auch hier könnt ihr euch bei Florian schlau lesen). Kurz gesagt wissen wir, dass unser Universum sich schneller ausdehnt, als es das nach der Allgemeinen Relativitätstheorie und dem, was wir über das Universum wissen, tun sollte. Ähnlich wie bei der dunklen Materie gibt es Beobachtungen (die beschleunigte Expansion) und eine Theorie (Allgemeine Relativitätstheorie und Urknall), die nicht zusammenpassen. Es gibt hier aber einen entscheidenden Unterschied: bei der dunklen Materie können wir Beobachtung und Theorie unter einen Hut bringen, indem wir annehmen, dass es Objekte (eben die dunkle Materie) gibt, deren Eigenschaften wir einigermaßen verstehen (sie muss “dunkel” – also ohne elektrische Wechselwirkung – sein und Masse haben). Die dunkle Materie “passt” also in diesem Sinn unsere Theorie – massive Objekte ohne elektromagnetische Wechselwirkung können unsere Beobachtungen erklären.
Bei der dunklen Energie ist das anders – wir wissen, dass die Expansion des Alls sich aus irgendeinem Grund beschleunigt, aber viel mehr wissen wir nicht – da ist “irgendwas”, aber wir wissen nicht viel darüber, was es ist. (Es gibt allerdings auch abweichende Ideen.) Ob es wirklich eine echte “Energie” ist, die das Universum anfüllt, oder ein anderer Effekt, der für unsere Beobachtungen verantwortlich ist, ist meines Wissens nicht wirklich klar. Insofern ist es zwar falsch, zu sagen, die dunkle Energie sei einfach nur “eine Erfindung” (lest Florians Artikel für Details), aber es wäre wohl etwas gewagt zu sagen, dass wir die dunkle Energie in irgendeiner Weise tatsächlich “gesehen” haben – dazu wissen wir einfach zu wenig darüber, was dahinter steckt, und dazu gibt es zu viele Möglichkeiten, was die dunkle Energie sein könnte.Unsere Beobachtungen passen nicht zur Theorie, und es ist überhaupt nicht klar, die Existenz welcher Objekte wir annehmen müssen, um die beiden in Einklang zu bringen. Insofern haben wir die dunkle Energie zwar in gewisser Weise nachgewiesen, aber nicht wirklich “gesehen”.
Fazit
Offensichtlich gibt es Dinge, die man nicht sehen kann – die dunkle Hälfte des Mondes, den Erdkern, Organe im Körperinneren, Atome usw. “Sehen” im Sinne von “nachweisen” kann man diese Dinge aber natürlich schon. Entscheidend dabei ist (und das gilt schon für das alltägliche Sehen – denkt an die Kirsche oder den Dino im meinem Garten), dass “Sehen” oder “Nachweisen” immer zweierlei beinhaltet: Eine Beobachtung und eine Theorie, wie die Beobachtung zu Stande kommen könnte. (Das kommt auch in dem berühmten Zitat von P.B. Medawar zum Ausdruck: “Innocent, unbiased observation is a myth” [“Unschuldige, unvoreingenommene Beobachtung ist ein Mythos.”]) Für das einfache Sehen im Alltag entwickeln wir diese Theorien schon als Baby, indem wir Dinge beobachten und manipulieren. (Wobei einige grundlegenden Theorien möglicherweise sogar angeboren sind.)
Je weiter sich die Wahrnehmung von unserer Alltagswahrnehmung entfernt, desto involvierter werden die Theorien, die wir benötigen, um sie zu interpretieren – für die Entdeckung der Atomkerne braucht man eben schon eine Menge Physik und Mathematik, um aus den Streudaten der Alpha-Teilchen auf die Existenz kleiner Streuzentren rückschließen zu können. Wenn wir eine Beobachtung – im Rahmen unserer Theorien – nur erklären können, indem wir die Existenz eines Objekts annehmen, dann betrachten wir das als Nachweis dieses Objekts. Je mehr unabhängige Beobachtungen die Existenz des Objekts erklären kann, desto besser ist der Nachweis. Das Prinzip ist aber letztlich immer dasselbe, das wir auch im Alltag anwenden – “Etwas Sehen” bedeutet immer “Beobachtung plus Theorie”.
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