Wir können die thermische Ausdehnung also nutzen, um etwas über die Anziehung zwischen den Atomen eines Materials zu lernen. Beispielsweise ist die thermische Ausdehnung von Metallen typischerweise deutlich größer als die von Keramiken (was jede Menge Ärger macht, wenn man Metalle mit Keramiken beschichtet). Das liegt daran, dass die metallische Bindung eine vergleichsweise lange Reichweite hat, während die Bindungsenergie in Keramiken mit dem Abstand sehr schnell zunimmt.
Auch wenn ich ja eigentlich eher die Theoretikerin bin – vielleicht möchte ja doch jemand auch ein paar Zahlen sehen? Die Wärmedehnung wird durch den thermischen Ausdehnungskoeffizienten beschrieben – der gibt an, um wie viel sich ein Objekt bei einer Temperaturerhöhung um ein Grad (Kelvin oder Celsius) längt. Metalle haben typischerweise Werte von so etwa 0,000 01-0,000 02/K. (Ich hoffe, ich hab mich bei den Nullen nicht verzählt.) Bauteile aus Metall werden also bei einer Temperaturerhöhung um ein Grad um 0,001-0,002% größer. Bei Keramiken sind die Werte noch etwas niedriger und liegen so bei 0,000 005/K.
Auch wenn die Werte klein sind, ist es doch wichtig, den Effekt der thermische Ausdehnung zu beachten. Bauteile, die dem deutschen Wetter ausgesetzt sind wie Brücken oder Eisenbahnschienen erleben Temperaturdifferenzen von maximal so etwa 80°C (-25°C im Winter, +55°C in der – leider zu seltenenen – knalligen Sonnenhitze). Deswegen müssen solche Bauteile entsprechende Dehnungsfugen haben oder anderweitig vor der thermischen Ausdehnung geschützt würden – Metallteile könnten sich sonst verbiegen, Bauteile aus Beton würden bei wiederholtem Schrumpfen und Längen irgendwann Risse bekommen. (Heutige Bahnschienen haben aber keine Dehnungsfugen mehr, sondern sind hinreichend fest verschweißt und auf den Bohlen verankert – Details dazu und zu anderen Alltagsbeispielen findet ihr hier.)
Deutlich extremer sind die Effekte natürlich bei Bauteilen, die richtig hohe Temperaturen erleben, wie beispielsweise Turbinenschaufeln oder auch Raketentriebwerke. Bei Temperaturschwankungen von 1000°C werden die thermischen Dehnungen so groß, dass Metalle anfangen können, sich plastisch zu verformen. Das muss man dann beim Bau solcher Dinger natürlich berücksichtigen, beispielsweise (so wie ich das tue), indem man per Simulation versucht, zu verstehen, wie genau die Spannungen sich verteilen und wie man die Bauteile vor dem versagen schützen kann.
Wenn man solche Rechnungen macht, dann muss man auch berücksichtigen, dass der thermische Ausdehnungskoeffizient selbst auch von der Temperatur abhängt. Typischerweise wird er mit zunehmender Temperatur immer größer. Das kann man mit der Energiekurve von oben auch leicht verstehen – die wird ja nach links hin immer steiler, nach rechts immer flacher – je mehr Energie ich zuführe, desto asymmetrischer ist die Kurve, desto stärker ist also die thermische Ausdehnung.
Ausnahmen
Es gibt allerdings auch Materialien, die sich mit zunehmender Temperatur nicht ausdehnen, sondern ihre Länge etwa beibehalten oder gar schrumpfen. Ein Beispiel hierfür ist (gespanntes) Gummi – das liegt an der seltsamen Kraft, die ein Gummiband zusammenschnurren lässt, die nämlich auf der Entropie beruht.
Ein anderes bekanntes Beispiel ist Eis: Wasser hat ja seine höchste Dichte im flüssigen Zustand bei 4 Grad – kühlt man es stärker ab, dann ändern sich die Bindungswinkel, so dass sich die Wassermoleküle nicht mehr ganz so dicht packen lassen. Das ist der Grund, warum Seen im Winter nicht bis zum Grund zufrieren oder warum man auf Eis Schlittschuh kaufen kann. Einen hübschen Film zum Thema findet ihr hier.(Schockwave player wird benötigt.) Auch Kohlenstoff kann diese Eigenschaft haben – in Kohlefasern ist der Ausdehnungskoeffizient in Richtung der Faser sehr klein oder sogar negativ. Das erlaubt es, Verbundwerkstoffe mit Kohlefasern herzustellen, deren thermischer Ausdehnungskoeffizient sehr klein ist, die sich also bei Temperaturerhöhung nur wenig verlängern.
Dass thermische Ausdehnung technisch auch Probleme machen kann, haben wir oben ja schon gesehen. Wenn es wirklich drauf ankommt, kann man spezielle Legierungen wie das berühmte Invar (eine Eisen-Nickel-Legierung) verwenden, die (im Raumtemperaturbereich) einen extrem kleinen thermischen Ausdehnungskoeffizienten haben. Dieser Effekt hängt mit einer magnetischen Wechselwirkung von Eisen und Nickel zusammen. Wikipedia erläutert, dass die magnetische Wechselwirkung bei niedrigen Temperaturen für eine zusätzliche Abstoßung der Atome sorgt, die dann mit zunehmender Temperatur schwächer wird. Dadurch wird dann der Gleichgewichtsabstand zwischen den Atomen kleiner, was die Zunahme des Abstands durch die Asymmetrie der Energiekurve gerade kompensieren kann.
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