In unserer Diskussion neulich zum Thema des “Erhabenen” ging es nebenbei auch kurz um Karl Popper und sein wissenschaftstheoretisches Konzept der Falsifizierbarkeit. Ich hatte dort kurz angeführt, dass das Konzept philosophisch als überholt gilt, das aber nicht weiter ausgeführt. Ich nehme ds aber mal zum Anlass, etwas über Falsifizierbarkeit nachzudenken.
Nun bin ich – mit lediglich ein paar Semestern Philosophie als geplantes Nebenfach, so kurz nach der letzten Eiszeit – sicherlich keine belesene Philosophie-Expertin (und ich gebe zu, dass ich mich auch gern schnell mal bei Wikipedia schlau lese, was diese oder jene Philosophin so gesagt hat). Wer also hier eine Analyse der Popperschen Idee der Falsifizierbarkeit im Lichte der Feyerabendschen Ideen unter besonderer Berücksichtigung von Poincares Wissenschaftstheorie oder etwas Ähnliches erwartet, wird leider enttäuscht werden. (Womit ich nicht sage, dass so eine Analyse uninteressant oder nutzlos wäre – es geht hier nicht um Philosophie-bashing (im Gegenteil), sondern darum, zu sehen, dass ein philosophisch umstrittenes Konzept im Alltag durchaus nützlich sein kann.)
Die Idee der Falsifizierbarkeit ist ja erst einmal recht einfach: Man soll Theorien und Hypothesen so aufstellen und formulieren, dass sie sich auch auf irgendeine Weise widerlegen lassen. Nur Experimente (oder andere Untersuchungen), die dies zumindest prinzipiell leisten können, können als eine Überprüfung der Hypothese angesehen werden.
Die Idee dahinter hat Brecht im Stück “Leben des Galilei” sehr schön zusammengefasst (es geht um die Beobachtung der Sonnenflecken):
Meine Absicht ist nicht, zu beweisen, daß ich bisher recht gehabt habe, sondern: herauszufinden, ob. Ich sage: laßt alle Hoffnung fahren, ihr, die ihr in die Beobachtung eintretet. Vielleicht sind es Dünste, vielleicht sind es Flecken, aber bevor wir Flecken annehmen, welche uns gelegen kämen, wollen wir lieber annehmen, daß es Fischschwänze sind. Ja, wir werden alles, alles noch einmal in Frage stellen. Und wir werden nicht mit Siebenmeilenstiefeln vorwärtsgehen, sondern im Schneckentempo. Und was wir heute finden, werden wir morgen von der Tafel streichen und erst wieder anschreiben, wenn wir es noch einmal gefunden haben. Und was wir zu finden wünschen, das werden wir, gefunden, mit besonderem Mißtrauen ansehen. Also werden wir an die Beobachtung der Sonne herangehen mit dem unerbittlichen Entschluß, den S t i l l s t a n d der Erde nachzuweisen! Und erst wenn wir gescheitert sind, vollständig und hoffnungslos geschlagen und unsere Wunden leckend, in traurigster Verfassung, werden wir zu fragen anfangen, ob wir nicht doch recht gehabt haben und die Erde sich dreht!
Soweit die Idee. Aber auch ohne vertiefte Kenntnis der philosophischen Literatur kann man leicht einsehen, dass das mit der Falsifizierbarkeit nicht immer so leicht ist, wie es auf den ersten Blick aussieht.
Natürlich gibt es manche Theorien, die prinzipiell unwiderlegbar sind – um die müssen wir uns tatsächlich nicht kümmern. Wen ich zum Beispiel behaupte, dass das Universum in Wahrheit vor drei Minuten erschaffen wurde, aber mit allen Bestandteilen eben genau da, wo sie vor drei Minuten waren (einschließlich unserer Erinnerungen etc.), dann lässt sich dieses Universum in keiner Weise von unserem unterscheiden. Die Behauptung ist also unwiderlegbar. Solche Theorien sind also eindeutig nicht wissenschaftlich.
Schwieriger wird es bei Theorien, die tatsächlich konkrete Vorhersagen machen. Ein einzelne Beobachtung, die einer solchen Theorie widerspricht, lässt sich oft mit Hilfe von Zusatzannahmen erklären. Ein Beispiel hierfür ist die Entdeckung der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, unabhängig von der Orientierung des Messaufbaus auf der Erde. Dies widersprach der damals (so um 1880) vorherrschenden Theorie, nach der sich Licht ähnlich wie eine Schallwelle in einem Äther ausbreitet. Die Theorie wurde damals aber nicht sofort verworfen – vielmehr überlegte man, ob es nicht andere Erklärungen geben könnte, beispielsweise, dass die Erde den Äther mit sich mitzieht, so dass Objekte auf der Erde immer relativ zum Äther ruhen. (Ein anderes – allerdings teilweise fiktives – Beispiel findet ihr hier.) Ein noch anderes Beispiel ist Hahnemanns lange Liste all der Dinge, die Homöopathie unwirksam machen sollen – hier kann man ahnen, wie bei jeder misslungenen Behandlung ein weiteres Element zur Liste hinzugefügt wurde.
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