Nur – wenn ich solche Superprotonen zur Erde geschickt habe und die dort in der Lage sind, chemische und elementarteilchenphysikalische Reaktionen zu beeinflussen und lauter andere tolle Tricks zu machen – warum sollte ich mir dann die Mühe machen, bloß den Fortschritt der Menschheit ein bisschen aufzuhalten? Warum nicht mal eben durch Umklappen einiger bits in einem Computer ein paar Kernschmelzen auslösen oder Atomraketen zünden? (Da die Chemie der Aliens offensichtlich eine vollkommen andere ist als unsere – sonst würde das mit dem minutenschnellen Hydrieren und Dehydrieren nicht klappen – dürften sie eh keine Verwendung für unsere Flora und Fauna haben.) Warum Wissenschaftlerinnen mühsam in den Selbstmord treiben, statt ihre DNA chemisch zu degenerieren, so dass Krebs entsteht, oder ein paar Endothelzellen verletzen und Blutgerinnsel im Gehirn entstehen lassen? Ich bin keine Medizinerin – wer sich da auskennt, findet bestimmt noch andere Dinge, die man mit wenig Energieaufwand im Körper tun könnte. Wobei – so klein ist die Energie auch nicht – immerhin stehen den programmierten Protonen Energien zur Verfügung, die man in Teilchenbeschleunigern erreicht; mit ein paar Tera-Elektronen-Volt, gesteuert durch eine KI, könnte man einen menschlichen Körper vermutlich ziemlich schnell schädigen. Stattdessen treibt das KI-Proton lieber Wissenschaftlerinnen mühsam in den Selbstmord.
Warum nicht statt Fotos einer mäßig bedeutender Nanowissenschaftlerin zu manipulieren, lieber Fotos von Spionagesatelliten fälschen und so Kriege auslösen? Warum nicht die Protonen zu gigantischen Spiegeln aufblähen (das funktioniert im Buch auf dem Heimatplaneten der Aliens ja auch) und das Sonnenlicht von der Erde abschirmen oder auf einzelne Punkte fokussieren und so Städte zerstören(und nicht erst warten, bis die Erde dagegen Gegenmaßnahmen entwickelt)? Und das sind nur die Ideen, die mir innerhalb weniger Minuten kamen, nachdem das mit den Protonen aufgelöst worden war – mit längerem Überlegen findet man bestimmt noch weitere Tricks.
Und wenn wir schon in der Lage sind, Protonen zu gigantischen Spiegeln aufzublähen (die dabei, obwohl sie nur die Masse eines Protons haben sollen, trotzdem nicht vom Lichtdruck wegkatapuliert werden, warum auch immer…), warum nutzen wir das nicht einfach, um die Sonneneinstrahlung auf unserem Heimatplaneten zu regulieren (der um drei Sonnen kreist und deswegen periodisch in Kaltzeiten verfällt, wenn alle Sonnen weit weg sind)? Immerhin können die Spiegel Licht ja extrem fokussieren (und so lokal eine Stadt zerstören). Dann können wir uns den ganzen Aufwand mit der Invasion einfach sparen.Und wenn die Sonnen uns zu nahe kommen, schirmen wir unseren Planeten mit dem perfekten Spiegel einfach ab. (Wobei ich mich auch frage, wie das mit dem Spiegel funktioniert – das ausgefaltete Proton hat ja trotzdem nur eine Protonenmasse und entsprechend auch eine Elementarladung – wenn ich die über tausende Quadratkilometer verteile, dann ist mir nicht klar, wie da jedes Photon reflektiert werden soll. Sind das alles Sea-Quarks im Proton, also die “virtuellen” Quark-Antiquark-Paare, die das regeln? Für ein Buch, bei dem in den Rezensionen immer steht, dass es dicht an der heutigen Wissenschaft ist und zumindest – trotz aller SF – prinzipiell wissenschaftlich plausibel, bleiben die Erklärungen hier schon etwas dünn.)
Das ist ja immer das Problem, vor dem man als Autorin (oder Spielleiterin in Fantasy-Rollenspielen, da habe ich viel Erfahrung…) steht: gibt man den Charakteren mächtige Werkzeuge in die Hand, dann sollten (bei Rollenspielen: werden) sie diese auch ausnutzen. Stattdessen verwenden die Aliens ihre fast allmächtigen Super-Protonen für letztlich billige Taschenspieler-Tricks – da wird schon etwas mit Interkontinentalraketen auf Spatzen geschossen… Leider trübt so etwas meine Lesefreude immer ganz ungemein, weil die geschilderte Geschichte dadurch einfach unplausibel wird. Klar, zur SF gehört immer ein wenig das Ignorieren von Dingen, die etwas unglaubwürdig sind (suspension of disbelief) – aber innerhalb der Geschichte sollte die Handlung der Beteiligten nachvollziehbar und halbwegs logisch sein – ohne innere Konsistenz geht es zumindest für mich nicht.
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