Mit unserem Ansatz, unglaublich dünne Drähte zu haben und wirklich sauber nur einzelne Atombindungen zu kappen, wird es also nicht klappen, jedenfalls nicht, wenn wir uns auf einigermaßen realistische Materialien beschränken. Aber gut – dann lassen wir diese Annahme eben fallen. Wenn unsere Drähte Durchmesser im Mikrometerbereich oder mehr haben, dann müssen wir aber in Kauf nehmen, dass wir jetzt die deutlich höheren Werte für die Oberflächenenergie verwenden müssen, weil eben auch Material umgeformt wird. (Was man schon daran sieht, dass ja da, wo der Draht läuft, Material um den Draht herumfließen muss).
Realistische Energien zur Schaffung freier Oberfläche – etwa durch Rissausbreitung, bei der ja auch Umformung stattfindet – für Metalle liegen sie bei 10 Kilojoule pro Quadratmeter oder darüber, für Keramiken deutlich darunter (so bei 100 Joule pro Quadratmeter für eine mechanisch eher schlechte Keramik). Setzen wir also 5000Joule/m² an – dann steigt die Gesamtenergie, die wir aufwenden müssen, um einen Faktor 5000. Statt 4000 Joule sind es also 20 Millionen Joule. (Ich hatte erst 1000J/m² hier stehen, aber die spätere Abschätzung über die Festigkeit zeigt, dass das wirklich zu wenig ist.)
Viel ist das immer noch nicht – die kinetische Energie unseres Tankers, wenn er mit 5m/s durch den Kanal fährt, beträgt bei einer Masse von 10000 Tonnen immerhin 500Millionen Joule; fürchterlich gebremst wird er bei der Aktion also nicht, ein wenig sollte man es aber schon merken.
Aber auch die Kraft auf unsere Drähte steigt jetzt um denselben Faktor – also auf 5000 Newton pro Draht. Der Durchmesser, den unsere Drähte haben müssen, steigt entsprechend – allerdings nur um die Wurzel aus 5000, also etwa um das 70-fache. Statt 4,5 Mikrometer Radius landen wir also bei 325 Mikrometer- der Draht hat also einen Durchmesser von mehr als einem halben Millimeter. (Und falls die Festigkeit der Drähte ein bisschen größer ist, können wir den Radius entsprechend verkleinern.)
Machen wir noch einen kleinen Realitätstest auf andere Weise. Unser Schiff bestand ja zu 99% aus Luft. Da es etwa 30 Meter breit ist, zerschneidet der Draht zu jedem Zeitpunkt eine Stahlplatte mit einer Dicke von 30 Zentimeter, also 300 Millimeter. (Ich stelle mir jetzt vor, das Schiff würde in Querrichtung zusammengequetscht, nicht wie eben in Längsrichtung.) Die 5000 Newton wirken also auf eine Fläche von 300*0,65=195 mm². Damit haben wir eine Flächenlast von etwa 20 Newton pro Quadratmillimeter – was ein bisschen wenig ist, die Festigkeit auch mäßigen Baustahls liegt eher bei 200-300 Newton pro Quadratmillimeter, aber wir liegen zumindest halbwegs in der richtigen Größenordnung.
Hmm – das bringt mich darauf, dass wir die notwendige Energie auch noch anders abschätzen können. Das Material vor dem Draht muss ja umgeformt werden (also um den Draht “herumfließen”), weil wir es mit einem Metall zu tun haben. (Bei einer Keramik könnte sich ein scharfer Riss spröde fortpflanzen, aber in einem Metall rundet sich die Rissspitze durch plastische Verformung aus, so passiert es zum Beispiel auch, wenn ein Schneidwerkzeug wie ein Drehmeißel in ein Metall schneidet – auch da wird das Metall im wesentlichen verformt, es läuft kein Riss vor dem Werkzeug längs.)
Das Volumen, das wir insgesamt aus dem Weg des Drahts bewegen müssen, beträgt Drahtdicke mal Drahtlänge mal Schiffslänge, also 5e-4Meter (halber Millimeter Drahtdicke) mal 0.3Meter mal 200Meter, also 0.03m³. Die plastische Arbeit, die man leisten muss, um ein Metallvolumen zu verformen, ist bei plastischer Verformung grob gegeben durch die Fließspannung (die Spannung, bei der die plastische Verformung stattfindet – da Spannung gleich Kraft pro Fläche ist und Kraft Energie pro Länge, kann man Kraft pro Fläche umrechnen in Energie pro Volumen, also eine Energiedichte) mal dem Umformgrad, der angibt, wie stark das Material umgeknetet wird. Zieht man einen Stab in die Länge, so ist der Umformgrad gleich der Längenänderung bezogen auf die Ausgangslänge (naja, in grober Näherung, bei größeren Dehnungen braucht man da noch nen Logarithmus in der Formel, hier geht’s aber nur ums Prinzip). Bei Prozesse wie der Zerspanung liegt der Umformgrad desumgeformten Materials (das nachher im Span landet) meist so zwischen 1 und 2. Nehmen wir an, unsere Umformung hier ist etwas geringer, also grob geschätzt ein Umformgrad von 0.5.
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