Größtes Problem ist die Ruhelänge der Muskeln. Wenn ihr mal versucht, euren Kiefer einigermaßen zu entspannen (aber nicht soweit, dass der Mund aufklappt), dann merkt ihr, dass die Zähne im Ober- und Unterkiefer sich nicht ganz berühren. Der Kiefer steht also in der Ruhelage um ein paar Grad geöffnet. Wieviel Grad das sind, kann man allerdings bei Dinos schwer herausfinden. Deswegen wurde die Methode erstmal auf heutige Tiere angewandt – einen Alligator und einen Mäusebussard. Hier noch einmal die Verwandtschaftsverhältnisse der beteiligten Tiere:

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Aus Lautenschlager, s.u.

(Wie ihr seht, wurde auch noch ein Erlikosaurus angeschaut, ein pflanzenfressendes Mitglied der Gruppe der Raubsaurier:)

Die entsprechenden CT-Modelle wurden dann in das schöne 3D-Programm Blender eingeladen (kann ich sehr empfehlen, auch wenn die Bedienung gewöhnungsbedürftig ist, ich habe viele Bilder damit gemacht und nutze es manchmal auch, wenn ich irgendwelche Kristallstrukturen verstehen will), wo dann entsprechend “Muskeln” (die einfach als Zylinder modelliert wurden) eingebaut wurden. Dann wurden beim Alligator und beim Bussard unterschiedliche Ruhelängen ausprobiert – bei Öffnungswinkeln von 3°, 6° und 9°, und geschaut, welche maximalen Öffnungswinkel sich ergaben.

Vergleicht man die Werte mit der tatsächlich möglichen Maximalen Öffnung des Mauls (oder Schnabels), sieht man, dass der Wert von 9° vermutlich zu groß ist, damit ergeben sich zu große und unrealistische Öffnungswinkel. Also wurde bei den Dinos mit 3° und 6° gerechnet.

Hier seht ihr die berechneten Öffnungen bei einem “Ruhewinkel” des Mauls von 3°, links die Öffnung, die maximal möglich ist, wenn alle Muskeln innerhalb einer Dehnung von 30% bleiben sollen (so dass sie optimale Kraftaufbringung erreichen), rechts die Öffnung, bei der der erste Muskeln mehr als 70% gedehnt wird und deswegen nicht mehr korrekt arbeiten würde:

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Aus Lautenschlager, s.u.

Und hier dasselbe für einen Ruhewinkel von 6°

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Aus Lautenschlager, s.u.

Wie ihr seht konnte ein Allosaurus sein Maul schon ziemlich weit aufreißen – bei der größeren Ruhelänge der Muskeln konnte der Unterkiefer um mehr als 90° abgeklappt werden. Auch das Maul des T. rex öffnete sich ziemlich weit, aber nicht ganz so weit wie beim Allosaurus, während der pflanzenfressende Erlikosaurus wenig Grund hatte, das Maul aufzureißen.

Das passt insgesamt schon ganz gut zu der Idee, dass ein Allosaurus beim Beutemachen den Unterkiefer sehr weit aufriss, während der T. rex eher kraftvoll zubeißen konnte. (Die Bisskraft war ja auch sehr hoch.) Interessant ist auch, sich anzusehen, wie sich die einzelne Muskeln beim Öffnen des Kiefers verhalten. Dazu kann man die Dehnung des Muskels gegen den Öffnungswinkel auftragen (ich zeige hier nur das Bild bei 3° Ruhewinkel):

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Aus Lautenschlager, s.u.

Oben seht ihr den Allosaurus, unten den T.rex Es fällt auf, dass die Muskeln beim Allosaurus alle unterschiedlich stark gedehnt werden. bei T. rex liegen die Kurven ziemlich dicht zusammen (mit Ausnahme der beiden “Ausreißer” oben), die Muskeln hatten also bei einer bestimmten Kieferöffnung ähnliche Dehnungen. Das würde dem T. rex erlauben, mit einigermaßen konstanter Kraft über einen weitem Bereich zuzubeißen, sofern das Maul nicht zu weit geöffnet ist.

Insgesamt passen die Ergebnisse also gut zu dem, was man sich bisher aus Studien der Knochen und Gelenke überlegt hat. Und sie zeigen, dass zumindest fleischfressende Dinos ihr Maul ganz schön weit aufreißen konnten.

                              

Lautenschlager S. 2015
Estimating cranial musculoskeletal constraints in theropod dinosaurs. R. Soc. open sci. 2: 150495. https://dx.doi.org/10.1098/rsos.150495

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Kommentare (11)

  1. #1 Norbert Ammermann
    Osnabrück
    16. November 2015

    Hallo Herr Martin B., schreibe gerade für CERN etwas als ev. Theologie über Quantenmachanik, Bewußtsein, Personalisierungskonzepte im Universum … können Sie mir helfen, wie ich an die Zusatzuntersuchungen zum Libet-Experiment von Tuss herankomme? Finde ihren Beitrag hochspannend; ich suche den Dialog auf der Ebene von Bewußtseinskonzepten und nicht mehr altertümlich bei der Gottesfrage. Viele Grüße Prof. Dr. Norbert Ammermann

  2. #2 MartinB
    16. November 2015

    Hallo Herr Ammermann
    1. Warum posten Sie den Kommentar nicht da, wo er hingehört (beim entsprechenden Artikel)?
    2. Mehr Infos dazu wird schwierig, da es sich um einen Aprilscherz handelt, den ich mir komplett ausgedacht habe. Der Artikel ist von Vorn bis hinten hanebüchener Unsinn.

  3. #3 Tom
    19. November 2015

    Hallo Martin,
    seit ich in den 90ern als Kind immer ein Dinosaurier-Heft gelesen habe, stelle ich mir folgende Frage: Wieso winkt auf den Größenskala-Bildern der Vergleichsmensch immer? Weißt du vielleicht, wer damit mal angefangen hat, den Menschen da mit winkender Hand darzustellen?

  4. #4 MartinB
    19. November 2015

    @Tom
    Also ich kenne auch Bilder mit nicht-winkenden Menschen, z.B.
    https://i.dailymail.co.uk/i/pix/2010/11/15/article-0-0C13307B000005DC-720_634x694.jpg
    Googlen nach “dino size compare” gibt viele Bilder wie das oben, die aber alle denselben Menschen verwenden.
    Auc in meinen Dino-Büchern, die ich früher (viel früher, bin ja schon alt) hatte, haben nicht alle gweunken, IIRC. Ob da irgendwann einer nen Trend gesetzt hat, weiß ich nicht.

  5. #5 mju
    19. November 2015

    Die Figur sieht für mich wie die Silhouette des Mannes auf der Pioneer-Plakette aus: https://de.wikipedia.org/wiki/Pioneer-Plakette

  6. #6 MartinB
    20. November 2015

    @mju
    Das hatte ich auch kurz überlegt, ganz identisch sind die beiden aber nicht, oder?

  7. #7 Tom
    20. November 2015

    Cool, das mit der Pioneer-Plakette war ein toller Hinweis, der Umriss passt schon ganz gut. (Und man sieht mal wieder, wie’s mit der Geschlechtergerechtigkeit steht: Der Prototyp des Menschen ist also der Mann…)

  8. #8 MartinB
    21. November 2015

    @Tom
    Ich erinnere mich, dass es ein Buch gab, wo als Größenvergleich eine Frau verwendet wurde, weiß aber nicht mehr, welches das war. (Leider sind bei einem Umzug fast alle meine Kinder-Dino-Bücher verloren gegangen.)

  9. #9 mju
    25. November 2015

    @MartinB: Ich habe mal die Figur von der Pioneer-Plakette aus der Wikipedia über die Figur aus dem Bild oben gelegt.
    https://imgur.com/57jXKZv
    Ich musste die Figur aus der Wikipedia etwas drehen, und es kann sein, dass ich Breite und Höhe nicht gleichmäßig skaliert habe, weil Gimp etwas zickig war. Aber für mich sieht das nach der gleichen Figur aus. Schwarz ist die Figur von oben, die schwarzen Linien sind die Figur aus der Wikipedia.

    Die minimalen Unterschiede am Unterschenkel könnten ja auch daher kommen, dass das Wikipedia-Bild ein SVG ist, also mit ziemlicher Sicherheit von jemandem nach dem Original erstellt wurde, und nicht selbst das Original ist.

  10. #10 mju
    25. November 2015

    Hier ist das Bild noch mal direkt, ohne nervige Seite drumherum:
    https://i.imgur.com/57jXKZv.png?1

    Sorry, das ist das erste Mal das ich einen Image Hoster benutze.

  11. #11 MartinB
    26. November 2015

    @mju
    Toll, das scheint dann ja zu passen.