Fliegende Fische können dieses Phänomen ausnutzen: Sie fliegen ja nicht zum Spaß, sondern meist, um einem Angreifer zu entkommen. Und da sie das Wasser unter einem flachen Winkel verlassen, sind sie für einen verfolgenden Fisch nicht mehr zu sehen, sobald sie in der Luft sind.
Eine andere Fischart, die das Phänomen anscheinend ausnutzt, sind Hornhechte der Gattung Tylosurus. Diese verfolgen kleinere Beutefische und stoßen dann rapide zu. Dabei springen sie manchmal unter einem flachen Winkel aus dem Wasser in die Luft und stürzen dann direkt in den Schwarm der Beutefische. Für diese sind sie dabei wegen des Snell-Fensters nicht zu sehen.
Die Hornhechte haben dabei zwei unterschiedliche Angriffsmodi (Sozusagen Angriffsmuster Alpha und Beta): Entweder sie schwimmen relativ dicht (auf etwa 50cm) an die Beute heran und stoßen dann direkt unter Wasser zu, oder sie starten den Angriff aus der Luft, wobei sie Sprünge von bis zu zwei Metern Länge ausführen:
Aus Day et al., s.u.
Der Luftangriff hat also deutliche Vorteile – der Hornhecht ist noch relativ weit weg, wenn er ihn beginnt, so dass die Langreichweitenscanner Sinnesorgane der Beutefische ihn nur schwer wahrnehmen können. Trotzdem wird diese Angriffsform nicht immer eingesetzt – genaue Angaben über die Häufigkeit der beiden Muster und die jeweilige Erfolgsquote gibt es aber leider noch nicht. Entsprechend ist auch unklar, wie die Hornhechte entscheiden, welches Angriffsmuster sie einsetzen.
Allerdings ist meiner Ansicht nach etwas Vorsicht geboten, bevor man wirklich behaupten kann, dass die Fische hier den Effekt des Snell-Fensters aktiv ausnutzen: Immerhin ist es auch denkbar (und nicht unplausibel), dass sowohl die fliegenden Fische als auch die Hornhechte deswegen unter einem flachen Winkel aus dem Wasser springen, weil Springen unter einem steileren Winkel schwieriger ist und sie dazu schon im Wasser unter einem anderen Winkel auf die Wasseroberfläche zuschwimmen müssten. Es scheint mir also durchaus denkbar, dass die Fische zwar von diesem Effekt profitieren, dass aber keine Selektion in dieser Richtung stattgefunden hat. (Andersherum gedacht kann das auch bedeuten, dass es eben keine Selektion im Hinblick auf steilere Absprungwinkel gegeben hat, obwohl die zu einer größeren Reichweite beim Springen führen könnten – der Verlust des Snell-Fenster-Vorteils wog selektiv möglicherweise schwerer.)
So oder so – der Sprung der Hornhechte ist ein schönes Beispiel für das Zusammenspiel aus Physik und Biologie.
Ballistic Beloniformes attacking through Snell’s Window R. D. Day, F. Mueller, L. Carseldine, N. Meyers-Cherry und I. R. Tibbetts
Journal of Fish Biology (2015) doi:10.1111/jfb.12799
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