Die Physik ist ja voll von Gleichungen, wie man auch hier im Blog oft sehen kann, wo es ganze Serien über eine oder einige wenige Gleichungen gibt (klickt rechts bei “Artikelserien”). Leider ist es so, dass solche Gleichungen viele Leute abschrecken. Laut Stephen Hawkings Buch “Kurze Geschichte der Zeit” halbiert jede Gleichung in einem Buch die Verkaufszahlen. Dass das so ist, wurde mir neulich ganz drastisch bewusst, als ich diesen Kommentar las – es lesen also Leute selbst komplizierte Artikel auf meinem Blog, werden aber von Formeln abgeschreckt.
Dafür gibt es sicher viele Gründe. Das Hantieren mit Formeln muss man üben, damit es einem einigermaßen leicht fällt, und auch das Lesen und Interpretieren von Formeln ist nicht immer einfach. Und gerade in der Physik kommt noch etwas hinzu: Manchmal scheinen Formeln quasi “vom Himmel” zu fallen – es wird ein Problem diskutiert oder ein Versuch gemacht, und schwupps wird eine Formel aus dem Hut gezaubert. (So jedenfalls meine Erinnerung an den Physikunterricht in der Schule, und ein Blick in aktuelle Physikbücher zeigt, dass die zwar deutlich lesbarer sind als die, die wir damals hatten, dass aber auch manche Dinge sehr kurz abgehandelt werden.)
Vielleicht hilft es ja, wenn ich euch an einem einfachen Beispiel einmal zeige, dass ihr euch eine durchaus wichtige Gleichung der Physik selbst (naja, mit etwas Unterstützung von mir, aber ich hoffe, in diesem Text ist jeder einzelne Schritt halbwegs nachvollziehbar – falls nicht, bitte einen Kommentar hinterlassen) überlegen könnt, und wo da eigentlich die Fallstricke liegen.
Fangen wir mit einer Scherzfrage an: was ist schwerer, ein Kilo Federn oder ein Kilo Blei?
Im ersten Moment ist man sicher versucht, auf die Frage “Blei” zu antworten – wir alle wissen, dass Blei “schwerer” ist als Federn. Aber Moment – ein Kilo ist ein Kilo, und wenn man auf eine Balkenwaage links ein Kilo Blei und rechts ein Kilo Federn draufpackt, dann ist die Waage logischerweise im Gleichgewicht. Was meinen wir also genau, wenn wir sagen, Blei ist schwerer als Federn?
Irgendwie hängt das wohl von der Menge ab – ein Kilobarren Blei ist ziemlich klein und passt problemlos in eine Hand, während ein Kilo Federn ziemlich viel ist und vermutlich halbwegs ausreicht, um zumindest ein Daunenkissen zu füllen (kurze Internetrecherche – jawohl, ein großes 80×80 Zentimeter-Kissen, das ich im Angebot gefunden habe, ist mit 800 Gramm Daunen gefüllt, wir können es ja etwas dicker machen, dann passen noch ein paar mehr Federn rein.).
Das Ganze hat also etwas damit zu tun, wie viel eine bestimmte Menge eines Materials (Blei oder Federn) wiegt – der Kilobarren Blei ist wesentlich kleiner als das Kissen. Die Größe ist also wichtig. (Anmerkung: “Material” ist nur ein hochtrabendes Wort für “Stoff” – lasst euch nicht von solchen toll klingenden Begriffen abschrecken.)
Wir haben also herausgefunden, dass uns ein Material schwer vorkommt, wenn ein Objekt aus diesem Material mit einem bestimmten Gewicht (ein Kilogramm im Beispiel) klein ist, so wie unser Bleibarren, und leicht, wenn das Objekt eher groß ist (so wie das Daunenkissen). [1] Hinweis: An einigen Stellen vereinfache ich hier etwas, hier zum Beispiel bei meiner Verwendung der Begriffe “Gewicht” und “Masse”. Die Zahl in eckigen Klammern verweist auf eine Fußnote am Ende des Artikels.
Fragt sich nur: Was genau heißt groß? Ist ein 10 Meter langer dünner Draht aus Eisen größer oder kleiner als eine kleine Eisenkugel, die in eure Handfläche passt?
Was wir brauchen, ist eine Definition von “Größe”, die zu unserem Problem und zu dem, was wir schon wissen, passt.
Dazu jetzt machen wir einen kleinen gedanklichen Kniff (in meinen Augen ist der durchaus nicht so trivial, wie er immer dargestellt wird – in Schulbüchern oder entsprechenden Internetseiten wird darauf jedenfalls nicht eingegangen): Wir haben uns ja überlegt, dass die Größe eine Rolle spielt (wie auch immer wir Größe genau definieren, das müssen wir ja jetzt rausknobeln). Wir können also umgekehrt davon ausgehen, dass zwei Objekte aus dem selben Material (wie zum Beispiel Eisenkugel und Eisendraht) genau dann gleich groß sind, wenn sie gleich schwer sind.
Vermutlich habt ihr gerade nicht diverse Eisenkugeln oder Drähte zur Hand, an denen ihr das ausprobieren könnt. Macht nichts – wir können es an einem anderen Material ausprobieren. Gut geeignet ist Wasser. Wasser habt ihr vermutlich (in unterschiedlicher Form, wie Milch, Orangensaft, Mineralwasser) in eurer Küche. Ihr könnt jetzt unterschiedliche Behälter aus Wasser nehmen, die alle (das Gewicht der Flasche oder Packung ignorieren wir mal – Glasflaschen sind also ungeeignet) 1 Kilogramm wiegen.
Wenn ihr das tut, stellt ihr fest, dass zum Beispiel eine Milchpackung und eine Mineralwasserflasche ganz unterschiedliche Formen haben, aber trotzdem beide 1 Kilogramm wiegen. Was haben diese Behälter gemeinsam? Das steht auf der Packung: Ihr werdet auf allen die Angabe 1Liter finden.
Liter ist ein Volumenmaß – ein Würfel mit einer Kantenlänge von 10 Zentimetern hat genau ein Volumen von 1 Liter. Da aber Materialien ihr Volumen (normalerweise) nicht ändern, wenn man ihre Form ändert, kann auch eure Wasserflasche oder Milchpackung dasselbe Volumen haben. (Bei der ja quaderförmigen Milchpackung könnt ihr, wenn ihr Spaß am Rechnen habt, Länge mal Breite mal Höhe – in Zentimetern – messen und dann die drei Werte multiplizieren; es sollte etwa ein Wert von 1000 herauskommen, weil ein Liter 1000 Kubikzentimeter hat (nämlich 10*10*10) – wahrscheinlich etwas mehr, weil die Packung nicht ganz bis zum Rand gefüllt ist.)
Fazit: Für unsere Frage, wie schwer ein Material ist, müssen wir Objekte vergleichen, die das gleiche Volumen haben.
Aber Achtung: Nicht immer ist das Volumen die richtige Bezugsgröße. Wenn ihr zum Beispiel untersuchen wollt, ob ein Material ein guter elektrischer Leiter ist, dann reicht es nicht, zwei Objekte mit gleichem Volumen zu untersuchen – hier müssen die Objekte auch dieselbe Länge und denselben Querschnitt haben (wobei die Form des Querschnitts aber egal ist). Bei der Festigkeit eines Materials (wie stark kann ich daran ziehen, bevor es zerreißt) ist dagegen die Länge egal, es kommt nur auf den Querschnitt an. Warum das so ist, erkläre ich hier nicht ausführlich (das wären eigene Texte, die kommen vielleicht noch). Mir ist nur wichtig, darauf hinzuweisen, dass der Schritt “Wir betrachten das Volumen des Körpers” meist ganz kommentarlos in Schulbüchern etc. gemacht wird, obwohl er alles andere als selbstverständlich ist.
Dass das Volumen relevant ist, haben wir herausgefunden, indem wir unsere anfängliche Idee “wie schwer etwas ist, muss mit der Größe zu tun haben” quasi umgedreht haben und gesagt haben “Gut, wenn das so ist, dann definiere ich das Maß der Größe genau so, dass zwei Objekte aus demselben Material dieselbe Größe haben, wenn sie gleich schwer sind.” Das ist eine ganz typische Denkweise in der Physik: Wir haben – aus der Beobachtung – eine grobe Vorstellung davon abgeleitet, wie zwei Dinge zusammenhängen (wie “schwer” ein Material ist hängt von der “Größe” ab), und dann nutzen wir genau diese Vorstellung, um das ganze genauer zu fassen. Am Ende schauen wir dann, ob auf diese Weise tatsächlich etwas sinnvolles herauskommt.
Also: Wenn wir zwei Stoffe vergleichen wollen, um herauszufinden, welcher Stoff uns “schwerer” vorkommt, dann müssen wir von jedem Stoff das gleiche Volumen nehmen. Derjenige Stoff, der dann bei gleichem Volumen ein höheres Gewicht hat, ist “schwerer”.
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