In dieser kleinen (mal sehen?) Serie schaue ich ein wenig hinter die Gleichungen der Physik. In den ersten Teilen habe ich ja schon gezeigt, dass selbst ganz einfach aussehende Gleichungen es in sich haben – weder ist die Definition der Dichte völlig trivial, noch das zweite Newtonsche Gesetz.
Heute geht es um eine andere berühmte Gleichung der Physik, die ihr vermutlich auch mal in der Schule lernen musstet:
Arbeit ist Kraft mal Weg
oder, in Formelzeichen geschrieben
W = F s
Dabei steht – wie man durch Vergleich sieht, W für die Arbeit (W wie “work”), F für die Kraft (may the force be with you) und s für den Weg (s wie “Strecke”).
Wieder eine ziemlich einfach aussehende Gleichung. Und ähnlich wie beim 2. Newtonschen Gesetz kann man diese Gleichung als “Definition der Arbeit” (in der Mechanik) ansehen. Aber wir haben ja schon gesehen, dass in der Physik Gleichungen nie einfach nur Definitionen sind (mehr dazu auch hier), sondern immer Aussagen über die reale Welt und darüber, was in dieser Welt wichtig ist.
Warum ist also das Produkt aus Kraft und Weg irgendwie relevant? Die Situation, um die es hier geht, ist die Folgende: Ein Objekt bewegt sich entlang eines Weges, während gleichzeitig eine Kraft auf das Objekt wirkt. (Falls ihr euch Gedanken über die Richtung der Kraft macht, die schauen wir uns später an, im Moment nehmen wir mal an, dass die Kraft genau in der Richtung wirkt, in die wir uns bewegen, aber so, dass sie unsere Bewegung behindert. (Genauer könnte ich also sagen “dass die Kraft genau entgegen der Richtung wirk)) Denkt als Beispiel an einen Stein, den ihr hochhebt. Die Gewichtskraft, die auf den Stein wirkt, zieht ihn nach unten, ihr hebt den Stein nach oben und merkt dabei, dass ihr Arbeit leistet. Nehmen wir mal an, dass ihr den Stein sehr langsam hochhebt, damit wir uns nicht noch Gedanken über die Beschleunigung machen müssen.
“Moment mal”, wendet die aufmerksame Leserin hier ein, “wir haben doch beim letzten Mal gesehen, dass die Gesamtkraft auf den Stein Null ist, wenn er nicht beschleunigt wird. Wenn ich den Stein also mit konstanter Geschwindigkeit hochhebe, dann wirkt auf ihn gar keine Kraft, also ist die Arbeit auch Null.” Was zeigt, dass (fiktive…) Leserinnen dieses Blogs ziemlich schlau sind.
Die Gleichung ist nämlich so gemeint, dass man eigentlich nie auf alle Kräfte schaut, die auf ein Objekt wirken, sondern immer nur auf einige der Kräfte. (Eine Ausnahme kann man machen, wenn ein Objekt tatsächlich beschleunigt wird, dazu nachher mehr.) Die Arbeit, die wir beim Hochheben leisten, leisten wir gegen die Schwerkraft. Wir schauen also als Kraft, um die es geht, genau die Schwerkraft an und sehen dann, dass unsere Muskelkraft gegen die Schwerkraft anarbeiten muss. Je weiter wir den Stein anheben, desto mehr Arbeit müssen wir leisten. Das deckt sich soweit mit unserer Alltagserfahrung.
“So ein Quatsch”, wendet die aufmerksame Leserin hier ein, “streck doch mal den Arm aus und halte einen Stein, ohne ihn zu bewegen. Das ist auch ziemlich anstrengend, aber nach der Definition Arbeit=Kraft mal Weg leistest du gar keine Arbeit, weil der Stein keinen Weg zurückgelegt hat.”
Gut bemerkt – und das ist in der Tat eins der anschaulichen Probleme mit dem physikalischen Begriff der Arbeit. Für uns ist es tatsächlich anstrengend, einen Stein auf konstanter Höhe zu halten, und wie werden irgendwann müde.Wäre es nicht eigentlich sinnvoller, zu definieren
Arbeit = Kraft mal Zeit (falsche Gleichung!!)?
(Ich habe extra “falsche Gleichung” hingeschrieben, damit niemand beim Überfliegen des Textes sich was Falsches merkt.)
Für uns wäre das tatsächlich gar nicht so verkehrt. Dass es trotzdem keine gute Definition ist, seht ihr, wenn ihr ech andere Möglichkeiten anschaut, einen Stein hochzuhalten. Ein Tisch beispielsweise kann den Stein stunden- oder auch tagelang auf einer Höhe halten, müde wird er dabei nicht (nein, es gibt in dem Fall auch keine “Werkstoffermüdung”, auch wenn das viele Leute denken. Werkstoffe werden nicht einfach müde, nur weil sie eine konstante Last tragen.) Dass wir bei so etwas müde werden, liegt daran, wie unsere Muskeln funktionieren: Auch wenn wir eine konstante Kraft ausüben und uns dabei nicht bewegen, müssen in den Muskeln ständig Verbindungen zwischen Molekülen geknüpft und wieder gelöst werden, um die Spannung aufrecht zu erhalten. Das verbraucht Energie und deswegen werden wir müde. (Die verbrauchte Energie wird dabei übrigens vollständig in Wärme umgesetzt.)
Allgemeine Konzepte in der Physik sollen aber nicht davon abhängen, ob es ein Mensch oder ein Tisch ist, der den Stein hält – die Definition “Arbeit=Kraft mal Zeit” gibt also zwar unser Empfinden (und auch unsere Physiologie) ganz gut wieder, ist aber nicht allgemeingültig.
Und was ist dann das Tolle an “Arbeit ist Kraft mal Weg”? Nehmt (aber bitte nur als Gedankenexperiment) zwei Steine, den einen legt ihr auf den Tisch, den anderen hebt ihr vom Tisch hoch auf den Schrank. dann lasst ihr beide aus ihrer jeweiligen Höhe herunter auf euren Fuß fallen. Ihr merkt schmerzhaft, dass es deutlich mehr wehtut, wenn der Stein vom Schrank auf euren Fuß fällt. Die Arbeit, die ihr beim Hochheben reingesteckt habt, macht sich als großer blauer Fleck auf dem Fuß bemerkbar. Es ist auch egal, wie ihr den Stein auf den Schrank bekommt, ob mit einem Motor, mit Muskelkraft, mit einem Katapult oder sonst wie – das Ergebnis ist immer dasselbe, der herunterfallende Stein macht den größeren blauen Fleck.
Als anderes Beispiel können wir die Reibungskraft betrachten. Schiebt den Stein (langsam, damit die Beschleunigungen wieder nicht wichtig sind) über euren Fußboden (auch wieder als Gedankenexperiment, nicht, dass mir jemand ne Rechnung über zerkratztes Parkett schickt). Auch hier ist es egal, ob ein Mensch den Stein schiebt oder eine Maschine oder sonst etwas – es wird in jedem Fall Arbeit geleistet. Die Kratzer am Boden sind der Beweis dafür, ebenso die Tatsache, dass der Stein beim Schieben ein bisschen warm wird. (Durch Reibung entsteht Wärme – ein Merksatz, der besonders an kalten Tagen wichtig ist, wenn ihr klamme Finger habt.)
Wenn wir ein Objekt gegen eine Kraft bewegen, dann findet sich die dabei geleistete Arbeit irgendwo wieder – beispielsweise als Kratzer (die zu produzieren auch Arbeit erfordert) und Wärme beim auf dem Boden verschobenen Stein. Beim auf den Schrank gehobenen Stein ist die Sache nicht ganz so offensichtlich. Die Arbeit “steckt” irgendwie in dem Stein, was man daran merkt, dass der Stein beim Runterfallen blaue Flecken macht. Weil der Stein mit der sozusagen gespeicherten Arbeit etwas anrichten kann, spricht man hier auch von “potentieller Energie” – potentiell, weil der Arbeit etwas bewirken kann, und Energie, weil man in der Mechanik die Energie als “Fähigkeit, Arbeit zu leisten” definiert. (Der Energiebegriff hat es konzeptionell auch in sich, dazu habe ich in der Anfangszeit des Blogs was geschrieben, aber das spare ich mir jetzt hier.)
Dass das Konzept der Arbeit so nützlich ist, liegt daran, dass sie mit der Energie eng zusammenhängt – und die Energie wiederum ist als Konzept so nützlich, weil die Energie erhalten ist. (Naja, wenn wir nicht gerade in der Allgemeinen Relativitätstheorie aufs Universum gucken, da ist das mit der Energieerhaltung so ne Sache…) Über Energieerhaltung habe ich schon öfter geschrieben, hier zum Beispiel. (Ihr merkt – egal wo man in der Physik anfängt, mal so richtig über die Begriffe und Ideen nachzudenken, man kann immer ziemlich tief schürfen.)
Beim letzten Mal habe ich ja auf Feynmans “Übersetzung” der Newtonschen Gesetze hingewiesen: “Achte auf die Kräfte”. Hier ist das ähnlich: Arbeit ist Kraft mal Weg sagt uns: “Achtung! Immer, wenn etwas gegen eine Kraft bewegt wird, wird Arbeit geleistet. Die Energie dafür muss irgendwo herkommen. Wenn du das System verstehen willst, frag immer, wo die Energie herkommt und auch, wo sie bleibt.”
Trägheitskräfte
Bisher haben wir Beschleunigungen ignoriert und alles hinreichend langsam gemacht. Was passiert, wenn man ein Objekt wirklich beschleunigt? Nehmen wir mal an, ihr seid irgendwo im Weltall und habt einen Stein, der am Anfang ruht, den ihr dann aber wegschleudert. Der Stein hat am Ende eine Geschwindigkeit, weil ihr ihn beschleunigt habt. Zur Geschwindigkeit gehört auch eine Bewegungsenergie (die Formel E=(1/2) mv² habt ihr vielleicht mal in der Schule gelernt). Wenn der Stein hinterher eine Bewegungsenergie hat, aber vorher nicht, dann muss die irgendwo her gekommen sein.
Auf den Stein wirken aber ja – von eurer Wurfkraft abgesehen – keine anderen Kräfte? Wurde also am Stein Arbeit geleistet? Wenn ja, gegen welche Kraft?
Hier können wir wieder Newtons 2. Gesetz zu Rate ziehen, diesmal anders interpretiert als sonst. F=m a, Kraft ist Masse mal Beschleunigung. Wenn wir den Stein beschleunigen, dann arbeiten wir in diesem Fall gegen die Trägheit des Steins an (ihr erinnert euch, nach Newton 1 ist immer eine Kraft im Spiel, wenn etwas beschleunigt wird, ansonsten ist die Geschwindigkeit wegen der Trägheit konstant – ja, auch hier wieder nur, solange ihr nicht in der Allgemeinen Relativitätstheorie seid…). Man kann hier also die Trägheit genau so als Kraft auffassen wie wir es sonst mit anderen Kräften gemacht haben.
Wenn man das tut, dann ist die Gesamtkraft auf ein Objekt übrigens immer Null – bisher haben wir gesagt: Masse mal Beschleunigung ist gleich der Summe aller auf das Objekt wirkenden Kräfte. Aber wenn wir Masse mal Beschleunigung selbst als Kraft betrachten, dann ist die Summe aller Kräfte eben immer Null. Manchmal ist das nützlich – in der Werkstoffmechanik verwendet man so eine Logik zum Beispiel, um Probleme, in denen Trägheitskräfte auftreten, mathematisch analog zu solchen zu beschreiben, in denen die Trägheit keine Rolle spielt. Meist ist diese Betrachtungsweise nicht so praktisch – wenn alle Kräfte immer Null sind, ist das ziemlich langweilig. Wie so oft in der Physik muss man sich eben immer fragen, was man eigentlich betrachten will.
Richtungen
Jede, die schon mal bei einem Umzug mitgeholfen hat (oder wie einst Sisyphos, einen Stein einen Berg hochgerollt hat – ich hoffe, ich darf mir euch beim Lesen des Blogs auch als einen glücklichen Menschen vorstellen…), weiß, dass es deutlich anstrengender ist, eine Kiste in der 4. Stock zu heben als sie einfach nur geradeaus zu tragen. Und auch etwas geradeaus zu tragen ist vor allem deswegen anstrengend, weil unsere Muskeln eben immer Energie verbrauchen, wenn sie eine Kraft ausüben. Packt man eine schwere Last z.B. auf einen Wagen, dann kann man sie mit deutlich weniger Anstrengung schieben oder ziehen (deswegen war die Erfindung des Rades ja auch ne tolle Sache, auch wen sie dann die Notwendigkeit von Straßen mit sich brachte). Und wenn die Reibung sehr gering ist, dann kann man Objekte mit sehr wenig Kraft ziemlich weit bewegen – merkt man beispielsweise auf einem gut gebügelten Snookertisch, wo bereits ein sehr sanfter Stups mit dem Queue ausreicht, um die Kugel ziemlich weit zu bewegen.
Nimmt man unsere Formel “Arbeit ist Kraft mal Weg” aber wörtlich, dann müsste man hier sehr viel Arbeit leisten – den es wirkt ja die ganze Zeit die Gewichtskraft auf unser Objekt, während wir sie entlang eines Weges bewegen. Aber bewege ich ein Objekt horizontal, muss ich anscheinend trotzdem keine Arbeit gegen die Gewichtskraft leisten. Hebe ich dagegen etwas hoch, sieht die Sache ganz anders aus.
Entscheidend ist also nicht nur die Größe der Kraft und des Weges, sondern auch die Richtung der beiden. Steht die Kraft senkrecht auf dem Weg (Gewichtskraft nach unten, Weg horizontal), dann muss ich keine Arbeit leisten, geht dagegen der Weg nach oben und die Kraft nach unten (beim Hochheben des Steins), dann wird Arbeit geleistet. (Geht der Weg nach unten und die Kraft auch, dann beschleunigt die Kraft den Stein – das ist dann wieder ein Fall, wo man den Begriff der Trägheitskraft sinnvoll verwenden kann – in dem Fall leistet die Gewichtskraft Arbeit gegen die Trägheit des Steins und beschleunigt diesen.)
Die Größen Kraft und Weg haben auch eine Richtung, die wir in unsere Gleichung einbauen müssen. Arbeit wird nur gegen den Teil der Kraft geleistet, der in Richtung des Weges liegt. Ist der Weg horizontal, dann ist der Anteil der Gewichtskraft in Richtung des Weges Null, ist er vertikal, ist er 1 (oder 100%), schiebt oder zieht ihr das Gewicht eine schiefe Ebene hinauf (wie einst Sisyphos), dann könnt ihr den Anteil mit Hilfe von Sinus und Cosinus ausrechnen, wie in diesem Bild
By Ilevanat (Own work) [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons
G ist die Gewichtskraft, die Anteile t und n gehen in Richtung der Ebene (tangential) und senkrecht dazu (normal).
Aber keine Sorge, ich habe nicht vor, hier jetzt ausführlich vorzurechnen, wie Sinus und Cosinus funktionieren, es geht hier ja ums physikalische Verständnis. (Das ist vermutlich eine der größten Hürden für alle, die Physik lernen, egal ob in der Schule oder an der Uni: man muss meist einerseits die Physik und ihre Ideen lernen, aber andererseits auch noch jede Menge Mathe lernen und anwenden. Und oft wird das so vermischt, dass man gar nicht mehr weiß, ob das, was man gerade tut, nun eigentlich Physik oder Mathe ist. Das es auf dem Blog aber keine Prüfungen oder so gibt, kann ich mich voll auf die Physik und ihre Konzepte konzentrieren.) Trotzdem seht ihr hier, wie Konzepte aus der Mathematik (im Beispiel die Winkelfunktionen Sinus und Cosinus) sich in der Physik einschleichen (Ein zweites Beispiel kommt gleich).
Für’s Verständnis wichtig ist, dass eben keine Arbeit geleistet wird, wenn die Kraft senkrecht zur Bewegungsrichtung wirkt. Wenn sich zum Beispiel ein Planet um die Sonne bewegt, dann wirkt die Gravitationskraft der Sonne immer senkrecht zur Bewegungsrichtung des Planeten, die Sonne leistet also keine Arbeit:
Bild verlinkt von dieser Seite.
Der Planet wird trotzdem ständig beschleunigt, weil er ja die Richtung seiner Geschwindigkeit ändert. Er fällt quasi auf die Sonne zu, aber weil er gleichzeitig auch immer nach vor fliegt, fällt er sozusagen immer vorbei. Das schauen wir uns vielleicht ein anderes Mal an.
Also: Arbeit ist Kraft mal Weg ist so zu interpretieren, dass Kraft und Weg parallel zueinander sein müssen. Mathematisch erfasst man das dadurch, dass man Kraft und Weg als Größen schreibt, die eine Richtung haben, also als Vektoren. Kennzeichnet man durch Fettdruck oder durch Pfeile über den Buchstaben:
W = F ⋅ s
Die Arbeit ist kein dagegen Vektor, sondern eine ganz handelsübliche Zahl.
Integrale
Arbeit ist Kraft mal Weg ist eine nützliche Gleichung. Manchmal aber ändert sich die Kraft, während wir den Weg zurücklegen. Stellt euch zum Beispiel vor, ihr wollt eine Rakete in eine weit entfernte Umlaufbahn um die Erde schicken, beispielsweise in 36000 Kilometer Höhe, um dort einen Satelliten abzusetzen. Dazu müsst ihr wissen, wie viel Energie sie braucht, damit ihr den Treibstoff berechnen könnt. Die Anziehungskraft der Erde nimmt mit zunehmendem Abstand immer weiter ab. (Außerdem kommt noch hinzu, dass die Rakete immer leichter wird, weil sie Treibstoff nach hinten ausstößt, aber das ignoriere ich mal.) Was nützt uns die Formel, wenn sich die Kraft entlang des Weges ständig ändert?
Wir können das Problem ganz pragmatisch angehen: Betrachten wir ein kleines Stück des Weges, beispielsweise von einem Kilometer Länge. Auf diesem kleinen Stück ändert sich die Kraft, die auf die Rakete wirkt, nicht nennenswert. Wir können die Arbeit, die auf diesem Stück geleistet wird, also mit unserer üblichen Formel berechnen, wir müssen nur kenntlich machen, dass es sich um die Arbeit auf einem kleinen Stück des Weges handelt, nicht um die ganze Arbeit. Das tun wir, indem wir für den Weg statt s das Formelzeichen ds verwenden, wobei das “d” uns sagen soll, dass es sich um ein kleines Stückchen handelt, ds ist also nicht zu lesen als Produkt “d mal s”, sondern als ein einzelnes Objekt. Man könnte dafür auch ein neues Formelzeichen einführen, aber diese Schreibweise mit dem kleinen “d” ist praktisch, weil man sich dann nicht so viele Formelzeichen merken muss. Wir berechnen jetzt die Arbeit für das Wegstück ds und nennen dieses Stück Arbeit entsprechend dW. Die Formel sieht dann ganz ähnlich aus wie eben:
dW = F ds
Dabei habe ich auf den Fettdruck für die Vektoren verzichtet – die Rakete fliegt genau senkrecht von der Erde weg, also brauchen wir uns über die Richtungen keine Gedanken zu machen.
Die neue Formel hat allerdings einen kleinen Schönheitsfehler: Es ging ja darum, dass sich das F ändert, je nachdem, wo wir auf dem Weg von der Erdoberfläche zur Umlaufbahn sind. Das sollte man in der Formel auch sehen können. Wir schreiben deswegen besser F(s), weil das F vom Weg abhängt. (Achtung: wir schreiben nicht F(ds), denn ds ist ja gerade ein kleines Wegstück, auf dem sich F nicht ändert.)
Wir haben dann für die Arbeit auf unserem Wegstück
dW = F(s) ds
Wobei der Weg von der Erdoberfläche bis zur Umlaufbahn geht und aus lauter kleinen Stücken ds zusammengesetzt wird.
Um die gesamte Arbeit vom Boden bis zur Umlaufbahn zu bekommen, müssen wir jetzt alle diese einzelnen Beiträge dW für jedes Wegstück addieren. Wenn ich s mal von 0km bis 36000 km laufen lasse, dann haben wir also
W = F(0km) ⋅ 1km + F(1km) ⋅ 1km + … + F(36000km) ⋅ 1km
(Strenggenommen müsste ich hinten F(35999km) schreiben, weil das letzte Wegstück von 35999km bis 36000km geht.)
Das Wegstück ist immer 1km, und die Kraft nehmen wir immer am Anfang des Wegstücks, weil sie sich über das Wegstück ja nicht nennenswert ändert. (Aber beim nächsten Stück nehmen wir dann den neuen Wert der Kraft am neuen Ort.) Natürlich machen wir einen kleinen Fehler bei dieser Annahme, weil die Kraft ja nicht ganz genau konstant ist. Wir können, wenn uns das stört, das Wegstück einfach kleiner machen (dann werden es natürlich mehr Wegstücke), beispielsweise könnte jedes ds 1 Meter statt ein Kilometer sein. Dann haben wir allerdings nicht mehr 36000 Summanden, sondern 36 Millionen. Oder wir nehmen gleich einen zentimeter oder noch kleinere Wegstücke.
Weil das dann zwar immer genauer, aber auch immer unübersichtlicher wird, haben sich die Mathematikerinnen was Praktisches einfallen lassen, nämlich eine Kurzschreibweise. Wir summieren über lauter Wegstücke und zwar immer F(s)ds? Das schreiben wir dann einfach als
W =∫ F(s) ds
Die Schlangenlinie vorn, die an ein langgezogenes S (wie “Summe”) erinnern soll, ist das berühmte und gefürchtete Integralzeichen. Mathematisch kann man da viele komplizierte Dinge tun, um solche Integrale dann auszurechnen – aber von der Idee hier ist das, was man tut, eigentlich ziemlich simpel: Man berechnet das Produkt aus F und s, wenn F sich abhängig vom Weg ändert.
Unsere Formel ist allerdings noch nicht ganz vollständig – wir müssen ja noch sagen, über welche Strecke wir die Arbeit ermitteln wollen. Das schreibt man ans Integral ran, etwa so:
Das Integral geht also von 0km nach 36000km, und die Größe, die sich so ändert, ist die, die das kleine “d” davor hat, also der Weg s. (Im korrekten mathematischen Formelsatz wie hier nimmt man für dieses besondere d ein aufrecht gedrucktes, während Formelzeichen ansonsten ja kursiv sind.)
In Physikbüchern findet ihr fast immer irgendwelche Formeln, in denen Integrale drinstecken. Vielleicht fandet ihr die bisher sehr abschreckend, aber sie zu lesen ist eigentlich nicht so schwer: In jedem Integral steckt irgendwo ein Formelzeichen mit einem “d” davor, das ist die Größe, die sich ändert, und alles, was davor steht, darf von dieser Größe abhängen. Man braucht – na klar – ein bisschen Übung, um solche Formeln schnell richtig zu interpretieren, aber prinzipiell ist an so einem Integralzeichen nichts fürchterlich Geheimnisvolles dran.
Fazit
Alles in allem seht ihr auch heute wieder, dass eine einfache Gleichung es ganz schön in sich hat. Zum einen gab es doch mehr zu interpretieren, als man vielleicht auf den ersten Blick dachte, zum anderen kann man aber an einer so einfachen Gleichung schon sehen, warum sich komplexe Mathematik-Konzepte wie Sinus, Cosinus oder gar Integrale in die Physik einschleichen. Lasst euch bloß nicht von fies aussehenden Formeln ins Bockshorn jagen – und vor allem: versucht immer, den Unterschied zwischen den physikalischen Ideen und den mathematischen Tricks zu ihrer Berechnung im Auge zu behalten.
Kommentare (42)