Schildkrötenpanzer sind schon ziemlich einzigartig (wenn auch nicht ganz): andere gepanzerte Tiere wie Krokodile, Ankylosaurier oder Gürteltiere) haben Knochenplatten in der Haut (Osteoderme), aber bei Schildkröten sind diese mit den verbreiterten und zusammengewachsenen Rippen verbunden, so dass sich ein einzigartiger Panzer bildet.
Fossilien zeigen, dass die Vorfahren der Schildkröten bereits verbreiterte Rippen hatten, aber wohl noch keine Osteodermen. Bei den späteren Urschildkröten waren die Rippen (und die Rückenwirbel) schon so gebaut, dass sie vermutlich einen guten Schutz lieferten. Doch bei den ältesten Fossilien waren die Rippen zwar verbreitert, aber ihr Schutz dürfte eher gering gewesen sein, zumal auch Kopf und Hals und die Rückenmuskeln nicht von den Rippen bedeckt wurden. Hier ein kleiner Überblick über die urtümlichsten Schildkröten und ihre Vorfahren:
Aus Lyson et al., s.u.
Links sehr ihr Petrolacosaurus, ein Tier, das noch keine schildkrötenartigen Anpassungen hat und ein urtümlicher Diapside ist (also zu der Gruppe gehört, in der auch die heutigen Schildkröten, Eidechsen und Krokodile sitzen. Dass Schildkröten Diapsiden sind, weiß man auch noch nicht so lange, ich habe darüber kurz hier berichtet.) Dann seht ihr Eunotosaurus – die erste Urschildkröte, die wir kennen, allerdings noch ohne richtigen Panzer, aber immerhin mit verbreiterten Rippen.
Was hat Eunotosaurus mit den verbreiterten Rippen angefangen? Zu irgendwas müssen sie ja gut gewesen sein. Zunächst mal sind breite Rippen gleich aus zwei Gründen hinderlich: zum einen behindern sie die Atmung, weil sich der Brustkorb nicht so gut dehnen lässt. Zum anderen schränken sie – gerade bei Reptilien, die sich kriechend fortbewegen – die Schrittlänge ein und machen die Tiere langsamer, weil Reptilien ja beim Kriechen ihre Wirbelsäule verbiegen:
Aus Lyson et al., s.u.
Wenn die Urschildkröten ihre Rippen trotzdem verbreitert haben, dann muss es dafür einen guten Grund gegeben haben.
Neue Fossilien des Eunotosaurus und eine Analyse alter Fossilien zeigen eine Reihe von Merkmalen, die darauf hindeuten, was dieser Grund sein könnte:
- Der Schädel ist kurz und spatenförmig
- Die Basis des Schädels ist verbreitert und zeigt breite Ansätze für Muskeln
- Auch an der Wirbelsäule finden sich breite Fortsätze, an denen Halsmuskeln ansetzen konnten
- Die Muskelansätze der Vorderbeine waren ebenfalls sehr stark ausgeprägt
- Ober. und Unterarme sind kurz und haben ziemlich robuste Knochen
- Die Hand ist groß und hat tendenziell kurze Fingerknochen
Diese Merkmale deuten darauf hin, dass Eunotosaurus mit seinen Vorderbeinen sehr große Kräfte ausüben konnte. Und auch der Hals-Kopf-Bereich war sehr kräftig. Solche Anpassungen findet man heutzutage bei Tieren, die in der Erde wühlen oder graben, beispielsweise bei der Gopherschildkröte, die auch im Artikel zum vergleich herangezogen wird. (Auch andere Tiere, die häufig graben, haben verbreiterte Rippen, beispielsweise Ameisenbären.) Mit den Vorderbeinen wird gegraben, der Kopf wird dabei gegen die Decke des Baus gedrückt, damit sich das Tier nicht einfach von der Wand abstößt, wenn es anfangen will zu graben. Ein weiteres Indiz, dass für diese Deutung spricht, ist die vergleichsweise kleine Augenöffnung (die man ausmessen kann, weil ein Eunotosaurusfossil einen Knochenring im Auge erhalten hat, wie man ihn oft bei Reptilien findet).
Die verbreiterten Rippen dienen dann dazu, den Körper so zu versteifen, dass die Kraft von den Vorderbeinen an den Kopf und die ebenfalls gegenhaltenden Hinterbeine übertragen wird.
Allerdings findet man viele dieser Anpasungen auch bei Tieren, die mit ihren Vorderbeinen schwimmen, denn auch da müssen die Vorderbeine ja muskulös sein. Gegen einen schwimmenden Eunotosaurus spricht aber die Form der Hände, die zwar kurze Finger aber an den Enden lange Klauen hatten. Außerdem wurde Eunotosaurus auch in Gebieten gefunden, die eher trocken waren – es gab dort zwar Seen, aber diese trockneten aus, wie erhaltene Schlammrisse (mud cracks) zeigen. Später in der Schildkrötenevolution wurden die kräftigen Vorderbeine dann auch zum Schwimmen genutzt, und aus den verbreiterten Rippen entwickelte sich der Panzer.
Ein Aspekt wird im Artikel leider nicht thematisiert: Es gibt (oder besser gab) ja noch eine andere Tiergruppe mit ähnlich massiv verbreiterten Rippen, wie man sie bei den Ur-Schildkröten findet: Die Hupehsuchier. Die allerdings waren Meeresreptilien. Entwickelten sie ihre breiten rippen auch zumindest im Anfangsstadium als grabende Tiere? Oder war es bei ihnen so, dass die Schwinnbewegungen vor allem durch den Schwanz getrieben wurden und dass sie deshalb einen starren Körper hatten, damit der Ansatzpunkt für die Muskeln möglichst stabil ist? (Soweit ich weiß – ganz sicher bin ich mir aber nicht – ist das bei heutigen Krokodilen zum Teil ähnlich, dort sorgt der Panzer auch für eine Stabilisierung des Körpers.) Es wäre interessant gewesen, das in diesem paper zu untersuchen, aber vielleicht kommt das ja in der Zukunft. (Wäre doch eine nette Master- oder Doktorarbeit, oder?)
Auf jeden Fall liefert die Hypothese des grabenden Eunotosaurus eine plausible Erklärung dafür, wie der Schildkrötenpanzer entstand.
Lyson et al., 2016, Current Biology 26, 1887–1894. July 25, 2016
https://dx.doi.org/10.1016/j.cub.2016.05.020
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