Vor ein paar Wochen ging die Nachricht durch die Medien, dass Menschen einzelne Photonen erkennen können – beispielsweise hier oder hier. Bisher war man davon ausgegangen, dass etwa 5-7 Photonen gebraucht werden, um einen Seheindruck zu erzeugen, schon allein deswegen, damit das Auge nicht durch Rauschen bei der Signalverarbeitung gestört wird. Aber nun ist – so die Artikel – gezeigt worden, dass “wir” tatsächlich schon ein einzelnes Photon sehen können. In den entsprechenden Artikeln ist von der unglaublichen Leistung des menschlichen Auges die Rede.
Was in den Artikeln allerdings nur anklingt, aber nicht wirklich explizit gesagt wird, ist, wie klein der gemessene Effekt ist. Das paper zu der Arbeit ist bei den zahlen auch leider nicht ganz explizit – ich habe mal versucht, das ganze ein wenig konkreter nachzurechnen.
Zunächst einmal muss man festhalten, dass der Versuch mit drei Personen durchgeführt wurde, die 100% Sehleistung hatten. Diese Versuchspersonen wurden über 6-8 Sitzungen, die jeweils etwa 2 Stunden dauerten, darauf trainiert, möglichst schwache Lichtreize wahrzunehmen. Dabei (und auch beim Versuch selbst) waren die Köpfe der Personen durch eine Kopfstütze und eine Stange, auf die sie bissen, fixiert, sie fixierten dann einen sehr schwachen Lichtfleck. Das eigentliche Photosignal wurde nicht auf den Bereich des schärfsten Sehens gelenkt, sondern auf den Bereich der Netzhaut, wo die höchste Lichtempfindlichkeit liegt. (Der liegt etwas versetzt – wer schon mal Sterne beobachtet hat, kennt vielleicht den Trick, dass man z.B. den Andromedanebel am besten sieht, wenn man ein Stück daneben guckt, weil der Bereich schärfsten Sehens und der der höchsten Lichtempfindlichkeit nicht zusammenfallen.)
Der Versuch selbst lief so ab, dass die Versuchspersonen den Start jedes Einzelversuchs selbst steuern konnten. Dann bekamen sie zwei kurze akustische Signale zu hören. Bei einem der beiden Signale wurde (zufällig ausgewählt) ein Ein-Photon-Emitter getriggert, der allerdings nicht in jedem Fall tatsächlich ein Photon aussandte, sondern nur in 2420 der insgesamt 30767 Durchläufe. (Die Konstruktion dieses Emitters ist ziemlich trickreich, aber das ist heute mal nicht unser Thema, die prinzipielle Technik ist dieselbe wie bei der Photonenquelle in diesem Experiment.) Die Versuchspersonen mussten dann (per Knopfdruck) sagen, ob sie beim ersten oder beim zweiten Signal ein Photon gesehen hatten und zusätzlich, wie sicher sie sich waren (auf einer Skala von 1-3).
Die Chance, per Zufall richtig zu liegen, liegt also bei 50%, weil die Versuchspersonen ja immer entweder Signal 1 oder Signal 2 ausgewählt hatten. Bei 2420 Experimenten müsste man also allein per Zufall 1210 korrekte Antworten erwarten. Laut paper war die tatsächliche Erfolgsquote (“averaged probability of correct response”) 0.516 plus oder minus 0.01. In Zahlen umgerechnet (wird im paper leider so nicht gemacht, da werden hier keine absoluten Zahlen angegeben) heißt das also, dass statt 1210 korrekten Antworten 1248.72, also 1249, korrekte Antworten dabei waren – satte 39 mehr. Die Wahrscheinlichkeit ist etwas höher als statistisch zu erwarten, und der Effekt ist – so gerade eben – statistisch signifikant, allerdings auch nur, wenn man die Daten aller Versuchspersonen gemeinsam auswertete, für jede Person für sich war der Effekt nicht signifikant. Es wird für mich im paper nicht klar, ob die Versuche so lange fortgeführt wurden, bis sich ein signifikantes Ergebnis ergab (das wäre in meinen Augen kein sauberes Versuchsdesign, weil man dann möglicherweise nach einer “Glückssträhne” das Experiment beendet) oder ob die Zahl der Versuche vorher festgelegt wurde.
Insgesamt ist der Effekt also extrem schwach – allerdings wird die Sache etwas besser, wenn man die Bewertung der Personen mit einbezog. Nur bei 12% aller korrekten Antworten gaben die Versuchspersonen die höchste Wertung von 3 für ihre Sicherheit, dass sie richtig lagen. Berücksichtigt man nur diese Versuche, bei denen die Versuchspersonen also eine 3 als Sicherheit angaben, dann lag die Erfolgsquote deutlich höher, nämlich bei 60%. In konkreten Zahlen heißt das, dass sich die Versuchspersonen bei 250 der Durchläufe sicher waren, richtig geantwortet zu haben, und dass sie dabei 150 richtige Antworten gaben (12% von 1249) statt der zu erwartenden 125. (Auch wenn sie sich sicher waren, lagen sie also bei 40% der Versuche falsch.)
Hinzu kommt noch ein anderer Effekt: Die Erfolgsquote stieg generell, wenn ein zweites Photon innerhalb von wenigen Sekunden nach dem ersten ausgesandt wurde. Eine genauere statistische Analyse zeigt, dass letztlich nur dieser Effekt dafür sorgte, dass die Erfolgsquote höher lag als per Zufall zu erwarten. Nur wenn das Auge also durch ein erstes Photon sozusagen “vorgewarnt” ist, wird das zweite tatsächlich mit höherer Wahrscheinlichkeit wahrgenommen – nimmt man diese Ereignisse aus der Statistik heraus, sinkt die Erfolgsquote von 51,6 auf 51% und ist nicht mehr statistisch signifikant.
Insgesamt muss man also zugeben, dass der gemessene Effekt doch ziemlich schwach ist und auch nur unter perfekten Bedingungen bei entsprechend trainierten Versuchspersonen nachzuweisen ist. Das ist sicher interessant, weil es zeigt, dass nicht nur unsere Netzhaut das Signal eines einzelnen Photons verarbeiten kann, sondern dass dieses Signal tatsächlich bis ins Bewusstsein vordringen kann. Aber nur so gerade eben und hart an der Grenze zum Zufall – und selbst bei der Wertung von 3 für die Sicherheit war die Erfolgsquote mit 60% ja auch nicht überragend. Auch subjektiv ist der Seheindruck eher schwach, in diesem Artikel heißt es “Der Lichtblitz sei so schwach, sagt Vaziri, dass einen bei den Tests „ein Gefühl an der Schwelle zur Einbildung“ beschleiche.” (Falls ihr mal bei eurer Augenärztin eine Gesichtsfeldmessung gemacht habt, kennt ihr das Gefühl vielleicht – da fixiert man auch einen Punkt und irgendwo leuchten kleine Lichtblitze auf, und zumindest ich bin mir da oft unsicher, ob ich da wirklich etwas gesehen habe oder nicht.)
Da ein großes Problem darin besteht, dass weniger als jeder zehnte Versuch, ein einzelnes Photon zu erzeugen, auch tatsächlich klappt, frage ich mich auch, ob es nicht wesentlich geschickter gewesen wäre, nicht bloß zwei mögliche Aussendezeitpunkte anzubieten, sondern drei oder vier – dann wäre eine richtige Antwort entsprechend unwahrscheinlicher und mit der gleichen Zahl an Photonen ließe sich eine wesentlich bessere Statistik erzielen. So ganz sicher bin ich mir ehrlich gesagt nicht, dass das Experiment nicht doch im wesentlichen ein glücklicher Zufall ist (auch wen die Korrelation der Sicherheit von 3 mit den besten Ergebnissen schon dafür spricht, dass es ein echter Effekt ist – es wäre ja nicht das erste Mal, dass ein statistisch vielversprechendes Ergebnis sich am Ende als Zufall herausstellt). Man sollte das Ganze also auf jeden Fall – vielleicht mit einer Anordnung, bei der ein richtiges Ergebnis eine kleinere Wahrscheinlichkeit als 50% hat, wiederholen um sicherzustellen, dass es wirjklich reproduzierbar ist.
Unter optimalen Bedingungen (und wenn wir wissen, dass wir “jetzt” darauf achten sollen) können wir (wenn wir entsprechend trainiert sind) also anscheinend (ich lege aber meine Hand dafür nicht ins Feuer) mit einer etwas höheren Wahrscheinlichkeit, als durch bloßen Zufall zu erwarten wäre, ein Photon detektieren – die Aussage, dass wir einzelne Photonen “sehen” können, ist aber schon etwas irreführend.
Tinsley, Jonathan N., et al. “Direct detection of a single photon by humans.” Nature Communications 7 (2016).
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