Jetzt lest ihr die Arbeit also etwas gründlicher (ich gebe zu, dass ich die Einleitung meist nur überfliege, da wird das Problem ja typischerweise nur in einen größeren Kontext gestellt, aber den kenne ich schon, ist ja mein Fachgebiet, sonst hätte ich das Begutachten ja schon abgelehnt…). Bei mir geht es meist um Simulationen, ich schaue jetzt in den Methodenteil, ob das Modell korrekt aufgebaut ist (sehr oft werden tatsächlich böse Anfängerfehler gemacht) und vor allem auch, ob die Beschreibung des Modells vollständig ist. Viele wichtige Informationen werden gern vergessen – bei Arbeiten mit der Finite-Element-Methode wird beispielsweise nicht gesagt, welche mathematische Elementformulierung zugrunde liegt oder wie genau das Simulationsvolumen vernetzt wurde. (Falls ihr euch mit der FE-Methode nicht auskennt: Man simuliert ein Material oder ein Bauteil indem man es in kleine Teile- die Elemente – zerhackt, die eine einfache Form haben, beispielsweise verzerrte Quader oder Tetraeder. Jedes dieser Elemente wird durch ein paar mathematische Gleichungen beschrieben, die das wahre Verhalten eines Materialelements annähern – je nachdem, wie man diese Gleichungen auswählt und wie viele solcher Elemente man auswählt, kann man sehr genaue oder vollkommen abwegige Ergebnisse erhalten.)
Wenn mir irgendetwas auffällt, dann schreibe ich das in eine Datei, die ich parallel zum Lesen anlege; typischerweise mit demselben Namen wie die Originalarbeit. Da steht dann also z.B.: Elementformulierung fehlt! Andere, kleine Dinge die mir auffallen (zum Beispiel Formatierungsfehler, nicht definierte Formelzeichen, falsche oder fehlende Verweise auf Bilder o.ä.) markiere ich meist als Kommentar direkt im pdf.
Anschließend kommt meist ein Ergebnisteil – auch da gilt es auf Vollständigkeit zu achten (sind die Ergebnisse nachvollziehbar erklärt, sind alle Bilder und Daten vorhanden, die ich brauche, um das Ergebnis beurteilen zu können?). Und vor allem ist es hier wichtig, zu sehen, welche Schlussfolgerungen gezogen werden (oder auch nicht) und ob diese auch tatsächlich durch die Daten gedeckt sind. Das “Oder auch nicht” eben war übrigens ernst gemeint – ich bekomme sehr oft Arbeiten, wo ein System simuliert wird, genau analog zu gefühlten 1000 anderen Arbeiten, nur mit leicht veränderter Geometrie oder etwas anderen Materialeigenschaften, und dann werden einfach ein paar Grafiken gezeigt, die nahezu identisch eben in genau diesen anderen Arbeiten auch drin sind. Irgendwelche weiterreichenden Schlussfolgerungen werden nicht gezogen, so dass die Arbeit vollkommen uninteressant ist, falls ihr nicht exakt dieselbe Geometrie mit exakt denselben Werkstoffen untersucht.
Die Schlussfolgerungen -typischerweise der letzte Abschnitt, manchmal auch “Diskussion” genannt – habt ihr ja schon gelesen; jetzt guckt ihr nochmal, ob das, was da steht, durch die Ergebnisse auch gedeckt wird oder ob aus wenigen Ergebnissen sehr weitreichende Schlüsse gezogen werden oder ob die gezogenen Schlüsse überhaupt etwas mit den Ergebnissen zu tun haben und nicht einfach aus anderen Arbeiten übernommen wurden (kommt alles vor).
Noch ein kurzer Blick aufs Literaturverzeichnis – klar seid ihr ein wenig eitel und schaut, ob man euch auch brav zitiert hat, immerhin habt ihr ja zum Thema was veröffentlicht. Anders als andere nehme ich das aber nicht zu wichtig und schreibe auch nicht in meinen Report rein, dass doch bitte meine Arbeit X und Y zitiert werden müsse. (Sowas kommt aber auch sehr oft vor – klar, auf die Weise erhöht man die Zahl der Zitate der eigenen Arbeiten, die ja ein wichtiges Bewertungskriterium für Wissenschaftlerinnen ist. Und nein, ideal ist das System so nicht.) Ich schaue mehr, ob überhaupt die wichtigen Arbeiten zum Thema zitiert werden.
Dan habt ihr eine Datei mit Stichpunkten und ein paar Anmerkungen im pdf des Artikels selbst. Jetzt gilt es, den Bericht zu schreiben.
Höflicherweise fängt man damit an, erst mal in ein oder zwei Sätzen zu sagen, was die Autorinnen des Papers in der Arbeit eigentlich tun und bewertet die generelle Idee der Arbeit. Also so in der Art “U und V untersuchen den Einfluss des Müsliverzehrs in Deutschland auf die zirkumpolaren Meeresströmungen. Das Thema ist von großem wissenschaftlichen Interesse, weil …” Damit macht ihr zumindest deutlich, dass ihr die Arbeit gelesen habt (was anscheinend nicht selbstverständlich ist, es kommt immer wieder vor, dass eine Gutachterin bemängelt, man solle im paper doch etwas zu Thema X schreiben, auch wenn das Thema X ne halbe Seite des Artikels einnimmt…) und – wenn es denn so ist – dass die wissenschaftliche Idee prinzipiell gut ist.
Bei den meisten Berichten, die ich schreibe, geht es dann allerdings mit genau so einem “Allerdings” (“However”) weiter – weil zwar die Idee gut ist, die Ausführung aber nicht unbedingt. Hier schreibe ich dann oft so etwas wie “Allerdings ist die methodische Umsetzung in einigen Stellen problematisch und die Darstellung der Ergebnisse nicht immer nachvollziehbar…”
Und dann kommt eine durchnummerierte Liste mit den konkreten zentralen Kritikpunkten, jeweils typischerweise ein oder zwei Sätze.
Anschließend kommt dann eine zweite Liste, die die weniger wichtigen Mängel enthält; Dinge, die nicht wirklich problematisch sind, die man aber ändern sollte – der fehlende Bildverweis, die unvollständige Grafik oder was auch immer.
Und zum Abschluss folgt dann eine Gesamtbewertung. Hier habt ihr typischerweise 4 Auswahlmöglichkeiten
- Reject: Das paper wird abgelehnt. (Kann aber eventuell neu eingereicht werden.)
- Major revisions: Das paper muss nochmal überarbeitet und um einige zentrale Dinge ergänzt werden. Major revision impliziert auch, dass es nochmal begutachtet werden muss.
- Minor revisions: ihr habt im wesentlichen nur Kleinkram gefunden, den man ändern sollte, aber der auch nicht schrecklich schlimm war. Eine neue Begutachtung ist typischerweise nicht notwendig.
- Accept: Das paper ist so in Ordnung und kann akzeptiert werden. (Das kommt selten vor, bei echten Papern in Zeitschriften hatte ich es in meinem Leben soweit ich mich entsinne einmal, dass ich ein schlichtes “accept” mit einem Hinweis auf einen unsauber formulierten Satz bekam, meist sind major oder zumindest minor revisions gefordert.)
Diesen Text kopiert ihr dann in die entsprechende Internetseite des verlags rein. Da müsst ihr dann meist noch ein paar Felder anklicken, zu Themen wie “Ich habe einen Interessenskonflikt” (Was in meinen Augen nicht sein sollte, dann müsste ich den Review ablehnen), ob dieselbe Arbeit eures Wissens schon mal anderswo veröffentlicht wurde, und manchmal könnt ihr auch noch die Qualität der arbeit auf irgendeiner Skala bewerten.
Wenn ihr das alles brav ausgefüllt habt, könnt ihr auf absenden klicken, und eure Arbeit ist getan – für’s erste jedenfalls. (Typischerweise dauert das Ganze so ein bis zwei Stunden, je nach Komplexität des Themas, Länge der Arbeit und Anzahl der Kritikpunkte kann es auch mal länger sein.) Denn wenn ihr “major revisions” oder “reject” angeklickt habt, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass euch die Arbeit nochmal wieder begegnet, dazu kommen wir gleich.
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