Nachdem viele von euch fleissig (und zum Teil auch richtig) mitgerätselt haben, will ich das Rätsel um die kinetische Energie noch einmal kurz auflösen.
Erst einmal die falschen Fährten: Nein, die Tatsache, dass man im Weltall ist oder dass ich die Schwerkraft vernachlässigt habe, spielt keine Rolle. Auch in einem Universum ohne Schwerkraft sollte es die kinetische Energie geben (und beispielsweise bei Elementarteilchenprozessen spielt die Schwerkraft auch tatsächlich keine Rolle). Auch die Frage, wie man beschleunigt (ob mit Raketen oder anders) ist für das Rätsel irrelevant. (Wenn man mit Raketen beschleunigt, dann wird chemische Energie des Treibstoffs in kinetische Energie umgewandelt; es geht zusätzlich noch Energie für den Treibstoff verloren, aber das spielt hier keine Rolle. Wir hätten auch durch einen riesigen Magneten oder ein elektrisches Feld beschleunigt werden können.)
Richtig ist, dass das Ganze ein Problem des richtigen Bezugssystems ist. Aber die Antwort “Du hast das Bezugssystem gewechselt, das ist in diesem Fall nicht zulässig” greift für mein Verständnis zu kurz. Warum ist es nicht zulässig? Was macht man falsch, wenn man das Bezugssystem wechselt? Man hätte ja auch von Vornherein alles im anderen Bezugssystem beschreiben können, dann habe ich relativ zum Felsklotz (und der Felsklotz relativ zu mir) trotzdem vor meiner Beschleunigung keine kinetische Energie, hinterher schon.
Richtig ist auch – wie viele argumentiert haben – dass in diesem Fall die Impulserhaltung wichtig ist. Solange man nur mich und den Felsklotz betrachtet, ist sie der Schlüssel zum Ganzen. Denn wie soll ich die kinetische Energie des Felsens nutzen und in eine andere Energie umwandeln? Das könnte ich beispielsweise machen, indem ich mit dem Felsen zusammenstoße (autsch), dann verwandelt sich die kinetische Energie in Verformungsenergie. (Etwas weniger drastisch könnte ich eine Feder zusammendrücken oder dehnen.) Aber wenn ich so einen Zusammenstoß mache, dann kann ich eben nicht die ganze kinetische Energie des Felsens umwandeln – denn der Impuls des Felsens und von mir muss erhalten bleiben. Da der Felsen so viel schwerer ist als ich, ändert er seine Geschwindigkeit nur unwesentlich, wenn wir beide zusammenprallen. (Man kann sich, um das auszurechnen, in das Schwerpunktsystem setzen, also ein Bezugssystem, in dem der Fels und ich beide denselben Impuls – in entgegengesetzter Richtung – haben).
Kleine Rechnung: Wer’s nachrechnen will, kann diese Rechnung verwenden (ich hoffe, ich hab mich auf die Schnelle nicht vertan): Die Relativgeschwindigkeit nach der Beschleunigung (die 10m/s) nenne ich v, die beiden Massen m (für mich) und M (für den Felsklotz). Im Schwerpunktsystem habe ich die Geschwindigkeit v’, der Felsklotz V’. Im Schwerpunktsystem gilt mv’+MV’=0, außerdem ist v’-V’=v. Mit ein bisschen Herumgeformel bekommt man v’=v/(1+m/M). Kurz überprüfen: Wenn die beiden Massen gleich sind, ist v’=v/2, wie es sein muss, wenn M unendlich groß ist, ist v’=v, passt also auch.
Beim Zusammenstoß kann ich nur den Teil der kinetischen Energie umsetzen, der im Schwerpunktsystem vorliegt. Wenn beide Objekte genau gleich schwer sind, dann ist es – bezogen auf die anfängliche Energie von 3500J – genau die Hälfte der Energie, wenn der Fels unendlich schwer ist, dann kann ich meine ganze Energie wieder beim Zusammenprall abgeben. (Wenn ich verglichen mit dem fels unendlich schwer bin, dann kann ich gar nichts gewinnen.)
Bei Teilchenbeschleunigern ist das übrigens der Grund, warum man gern Teilchen frontal aufeinanderprallen lässt – schießt man Teilchen auf ein festes Target – dessen Teilchen ja nicht wesentlich schwerer sind als die einfallenden Teilchen, meist sind beides Protonen – dann bleibt viel kinetische Energie nach dem Stoß übrig, da der Schwerpunkt sich immer noch bewegt. Beim Frontalaufprall steht die gesamte Energie der Teilchen zur Verfügung. Eine Beispielrechnung findet ihr hier.
Man könnte also sagen, der Schlüssel zum Rätsel ist die Impulserhaltung. Man kann es auch anders betrachten: Eine kinetische Energie gebe ich immer relativ zu einem Bezugssystem an. Im Bezugssystem, in dem ich mich nach dem Beschleunigen befinde, hat der Fels eine Energie von 50MJ. Er kann diese Energie in diesem Bezugssystem auch abgeben – dazu brauche ich nur etwas, das schwer genug ist, damit es durch den Fels nicht nennenswert beschleunigt wird. Es ist richtig, dass ich durch das Beschleunigen das Bezugssystem gewechselt habe. Es ist auch richtig, dass der Fels relativ zu diesem Bezugssystem eine Arbeit von 50MJ leisten könnte – allerdings nicht durch Zusammenstoß mit mir, da bekomme ich im günstigsten Fall die Energie heraus, die ich relativ zum Felsen habe (weil der Felsen verglichen mit mir praktisch unendlich schwer ist). Gibt es in diesem Bezugssystem ein anderes Objekt, das noch viel schwerer als der Felsen ist, dann kann der Felsen tatsächlich 50MJ Arbeit leisten – aber daran ist nichts Seltsames, denn an der Geschwindigkeit zwischen dem Felsen und dem superschweren Objekt habe ich durch meine Beschleunigung ja auch nichts geändert.
Ich finde das Rätsel deswegen nett, weil es mal wieder zeigt, dass es in der Physik nicht (wie man dank Schulphysik oft denkt) bloß auf das Einsetzen in irgendwelche Formeln ankommt. Entscheidend ist, dass man sich erst einmal klar wird, was die Prinzipien tatsächlich bedeuten. Ja, Energie ist die “Fähigkeit, Arbeit zu leisten”, ja, kinetische Energie hängt vom Bezugssystem ab, aber um zu sehen, wie das genau zusammenpasst, muss man eine Weile nachdenken. (Wobei dabei die Formeln durchaus helfen können – ich habe auch einiges auf meinem Notizblock hier stehen. Wichtig ist eben, sich erst mal klar zu werden, welche Formeln man überhaupt braucht.)
Ich hoffe, damit ist alles einigermaßen klar – ansonsten dürft ihr gern einen Kommentar hinterlassen.
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