Der Begriff “Dinosaurier” hat eine lange (und komplizierte) Geschichte: Um 1840 herum hat Richard Owen ihn eingeführt, um die großen Land”reptilien” Megalosaurus, Hylaeosaurus und Iguanodon, die man in den Jahren zuvor gefunden hatte, in eine Gruppe einzugliedern. (Damals kannte man schon diverse Fisch- und Wassersaurier, die gehörten schon bei Owen nicht dazu). Später nahm man dann für eine Zeit an, dass “Dinosaurier” keine evolutionäre Gruppe ist, sondern in zwei Gruppen zerfällt, die Echsen- und die Vogelbecken-Dinosaurier, die nur wenig miteinander verwandt zu sein schienen. (Verwirrenderweise ist Archaeopteryx wie alle heutigen Vögel übrigens ein “Echsenbeckendinosaurier”.)
Erst in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts erkannte man, dass die Gruppen viele Gemeinsamkeiten hatten und doch eng miteinander verwandt waren. Man definierte dann die Gruppe der Dinosaurier als “Alles, was vom gemeinsamen Vorfahren von Iguanodon und Megalosaurus abstammt”. So sieht diese Gruppe aus:
Dinosaurier-Kladogramm von Tom Holtz (Danke auch für die Genehmigung, die Bilder hier zu nutzen)
Ihr seht, dass die klassischen Dinosaurier in diese Gruppe gehören. In die Gruppe der Theropoda gehören aber auch alle heutigen Vögel, die nämlich von kleinen Raubsauriern abstammen. Wenn man evolutionär über “Dinosaurier” redet, sind Vögel also mit gemeint. Oft will man natürlich Vögel ausschließen – ein Buch über “Dinosaurier” sollte sich nicht im wesentlichen mit Vögeln beschäftigen, dann spricht man gern von “Nicht-Vogel-Dinosauriern” (non avian dinosaurs). Aber ganz ohne Vögel ist eine Diskussion von Dinosauriern nie vollständig.
In dieses Diagramm (und damit zu den Dinosauriern) gehören die Ankylosaurier (Bild B aus unserem Rätsel oben, in die Gruppe der Thyreophora), der Raubsaurier “Ceratosaurus” (Bild F, Theropoda) und auch der ausgestorbene Vogel “Teratornis” (Bild D, Theropoda) sowie der Spinosaurus (Bild G, noch ein Theropode).
Was ihr in dem Bild nicht seht, sind andere “Saurier”, wie etwa die verschiedenen Meeres- oder die Flugsaurier und die anderen Tiere aus meinem kleinen Rätsel. Wo gehören die evolutionär hin?
Fangen wir mit den Flugsauriern an. Heutzutage spricht sehr viel dafür, dass sie mit den Dinosauriern eng verwandt sind. Die gemeinsame Gruppe, in der Dinosaurier und Flugsaurier stecken (könnt ihr definieren als “alles, was vom gemeinsamen Vorfahren von Megalosaurus, Iguanodon und Pterodactylus abstammt) nennt man Ornithodira. Der Flugsaurier aus Bild C gehört also hierhin.
Eine größere Tiergruppe sind dann die “Archosaurier” – die umfassen den gemeinsamen Vorfahren aller Krokodile, Dinosaurier (und damit auch die Flugsaurier) und alles, was davon abstammt (rechts oben seht ihr die Ornithodira, links oben die Krokodile):
Kladogramm Archosauria, ebenfalls von Tom Holtz.
Zu dieser Gruppe gehören auch die Rauisuchier wie “Postosuchus” (Bild F von oben). Der sieht einem Raubsaurier sehr ähnlich, ist aber evolutionär deutlich dichter an den heutigen Krokodilen dran. Und auch unser Bild A (Aetosaurus) gehört hierher, in die Gruppe der Aetosauria.
Und dann gibt es natürlich auch noch diverse Meeressaurier (die ich oben im Quiz nicht eingebaut habe, weil es keine annähernd ähnlich aussehenden Dinosaurier gibt), wie beispielsweise diesen Pliosaurier (Pliosaurus)
By Dmitry Bogdanov – dmitrchel@mail.ru, CC BY-SA 3.0, Link
und diesen Ichtyosaurier (Omphalosaurus)
Von Creator: Dmitry Bogdanov – dmitrchel@mail.ru, CC BY 3.0, Link
Um zu sehen, wo die hingehören, müssen wir unseren “Stammbaum” noch weiter fassen und am besten gleich alle Amniota (Vierfüßer, die hartschalige Eier legen) mitnehmen:
Noch ein Kladogramm von Tom Holtz
Ganz rechts oben sitzen jetzt alle Archosauria – wir haben es jetzt also schon mit großen Gruppen zu tun, die Lepidosauria beispielsweise, die mitte rechts angeordnet sind, umfassen alle heutigen Schlangen und Eidechsen. Darüber sehen wir die Meeressaurier (Ichthyosauria, Plesiosauria), neben den heutigen Schildkröten (deren Position nach wie vor nicht vollkommen klar ist, dazu schreibe ich aber nichts, der Artikel ist eh schon sehr lang). Ziemlich auf der linken Seite, da wo es zu den Säugetieren (mammalia) geht, sitzt auch Dimetrodon, unser Rätselbild H. Dimetrodon steht in der Linie unserer Vorfahren und ist uns deswegen evolutionstechnisch gesehen näher als den Dinosauriern, auch wenn er nicht so aussieht.
Wie ihr seht, sind sehr viele ausgestorbene Tiere (auch wenn sie groß und reptilienartig waren) keine Dinosaurier. Wer einen Flugsaurier als Dinosaurier bezeichnet, könnte auch eine Maus als Affen einstufen (weil Nagetiere und Primaten relativ eng verwandt sind), wer einen Ichthyosaurus oder Plesiosaurus als Dinosaurier einstuft, könnte ein Känguru als Affen einstufen, und wenn “Dimetrodon” ein Dinosaurier ist, dann ist eine Schildkröte auch ein Säugetier.
Alle großen, ausgestorbenen reptilienartigen Tiere für Dinosaurier zu halten, ist ein natürlich weit verbreiteter Fehler – Brian Switek führt ihn als Nummer 2 der “10 Dinosaur Myths That Need To Go Extinct” auf, auf der “dinosaur mailing list” steht “pterosaurs are dinosaurs” in diesem Post auf Platz 1 der Liste der “most popular misconceptions”. In der weiteren Diskussion schreibt Jaime Headden sehr charmant ” Furthermore, to simply call something a dinosaur for the sake of making it familiar and lovely would seem rather childish. If a child sees a deer and calls it a horse, is he right?”
Man könnte natürlich einwerfen, dass diese feinen Unterscheidungen für Laien doch egal sind. Das halte ich allerdings nicht für die richtige Einstellung: Zum einen tun wir das in anderen Bereichen auch nicht: wäre es nicht einfacher, wenn wir z.B. alle Regierungschefs anderer Länder als “Bundeskanzlerin” bezeichnen würden, statt dass wir uns merken müssen, welches Land nun einen Präsidenten oder Premierminister oder so hat? Müssen wir wirklich Monde und Planeten und Zwergplaneten unterscheiden – sind doch alles felsige Gesteinsbrocken oder Gasklumpen? Zum zweiten müssen wir auch Laien nicht für unfähig halten, solche Dinge zu verstehen, nur, weil man sie erklären muss – wesentlich komplizierter als die Frage, was ein Cousin 2. Grades ist, ist so ein Kladogramm auch nicht. Und zum dritten kann man diese Unterscheidung auch nutzen, um Wissenschaft zu vermitteln: Warum sind Flugsaurier keine Dinosaurier? Was ist überhaupt ein Dinosaurier? Was können wir daraus über Evolution lernen?
“Aber Moment mal, eine Sache hast du nicht erklärt – die Viecher sind doch alle ‘Saurier’ oder nicht?” könntet ihr jetzt einwerfen.
Richtig, das sind sie. Jedenfalls im üblichen Sprachgebrauch. Das liegt aber schlicht daran, dass “Saurier” kein evolutionär sinnvoll definierter Begriff ist. Laut Wikipedia steht der Begriff “Saurier” nämlich “für die größeren fossilen Amphibien (z. B. Stegocephalia) und Reptilien, im engeren Sinne für die teils riesigen Reptilien des Mesozoikums, insbesondere Dinosaurier, Ichthyosaurier, Sauropterygia und Flugsaurier.” Selbst große ausgestorbene Amphibien gehören dazu, beispielsweise der “Mastodonsaurus”. Den findet ihr im Kladogramm oben nicht, weil er kein Amniot ist, er würde ganz nach links gehören, da, wo Lissamphibia steht. Auf der Wiki-Seite zu den “Sauriern” seht ihr auch etwas ungewöhnliches: Es gibt links in der Sprachleiste keine Seite, die den Begriff in anderen Sprachen erklärt. Da gibt es ihn nämlich schlicht nicht. “Saurier” ist ein Wort, das in dieser Form nur im Deutschen verwendet wird, und auch da nur informell, nicht, wenn es um Evolution geht. Solche informellen Begriffe (wie “Fisch”) sind manchmal praktisch (und es ist schade, dass es ein entsprechendes Wort im Englischen nicht gibt), aber wissenschaftlich eher unbedeutend. Also: Einen Flugsaurier oder Plesiosaurier als “Saurier” zu bezeichnen, ist völlig in Ordnung. Nur “Dinosaurier” sind sie halt nicht.
Dass viele ausgestorbene Tiere gern in die Gruppe “Dinosaurier” gesteckt oder mit ihnen assoziiert werden, hat übrigens noch einen anderen Grund: Popularität. “Dinosaurier” (besonders im Englischen, wo es eben keine “Saurier” gibt) ist ein Wort, das sofort Aufmerksamkeit schafft. Selbst Filme (wie “Die Erben der Saurier”) oder Bücher über Ursäugetiere (wie Protheros “After the dinosaurs”) haben oft das Wort “Dinosaur” im Titel. (Hinweis: Wenn ihr ein gutes Buch über ausgestorbene Säugetiere sucht, lest nicht “After the dinosaurs” sondern Protheros neues Buch “Princeton Field Guide on Prehistoric Mammals”, das ist wesentlich besser und mehr auf Biologie als auf Geologie fokussiert). Wer etwas mit “Dinosauriern” in Verbindung bringen kann, schafft Aufmerksamkeit (und bei den Dinos muss dann immer T. rex irgendwie erwähnt werden); da leidet dann manchmal die Korrektheit zu Gunsten der PR.
Das Wort Dinosaurier bezeichnet aber eine genau definierte Tiergruppe, zu der neben T. rex (Augenzwinker…) und dem bekannten Triceratops auch alle heutigen Vögel gehören – ein großer Teil der Artenvielfalt aus dem Erdmittelalter hat aber in dieser Gruppe nichts verloren.
PS: Wer nach Bildern und Kladogrammen sucht, landet oft auf der schrecklichen Seite “ReptileEvolution” von David Peters (verlinke ich hier absichtlich nicht). Was ihr dort findet, ist absoluter Blödsinn, mehr dazu bei Darren Naish.
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