Über Feminismus wird ja immer wieder gern diskutiert – auch hier bei den Scienceblogs. Hier ein paar Gedanken dazu von mir.
Erstmal muss man sich natürlich fragen, was man genau unter Feminismus versteht. Laut Wikipedia umfasst Feminismus ja eine akademische und soziale Bewegung sowie das Hinterfragen von Gesellschaftsstrukturen im Hinblick darauf, wie Menschen auf Grund ihres Geschlechts behandelt werden. Das sollte man nicht unbedingt in einen Topf werfen. In meinen Augen brauchen wir aber beides – sowohl die Erforschung der Gesellschaft, um zu erkennen, wie die Gesellschaft funktioniert und dazu führt, dass Menschen wegen ihres Geschlechts benachteiligt werden, als auch die aktive politische Bewegung, an diesen Verhältnissen etwas zu ändern.
Natürlich beeilen sich all die, die Probleme mit dem Feminismus haben, meist arg, zu sagen “Ich bin natürlich total für Gleichberechtigung, aber…”
Schauen wir also mal auf die “Abers”
Einwände
“Aber wenn es nur um Gleichberechtigung für alle Menschen geht, dann ist Feminismus doch nichts anderes als Humanismus.”
Richtig. In einer idealen Welt, in der Gleichberechtigung bereits existiert, wäre das so. In unserer Welt aber werden Frauen in vieler Hinsicht systematisch und strukturell benachteiligt. (Siehe den Link-Dump unten für Beispiele.) Solange das so ist, ist es sinnvoll und wichtig, genau diese Benachteiligung explizit zu hinterfragen und zu verstehen, wie sie zu Stande kommt. Und natürlich auch, zu überlegen, was man dagegen tun kann.
Das Argument erinnert übrigens sehr an die “All-lives-matter”-Antwort auf die amerikanische “Black Lives Matter”-Bewegung. Natürlich sind alle Menschenleben wichtig. Aber wenn es (nachgewiesenermaßen) so ist, dass Schwarze wesentlich häufiger Opfer von Polizeigewalt werden als Weiße, ohne dass das tatsächlich mit einer höheren Verbrechenswahrscheinlichkeit korreliert, dann gibt es eben ein strukturelles Problem, das man angehen muss.
Feminismus beinhaltet eben auch den Blick auf unsere Gesellschaft im Hinblick auf die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen. Und wenn es da deutliche Unterschiede gibt, dann muss man die eben auch beim Namen nennen und nicht in einem allgemeinen, wachsweichen und konsequenzenlosen “ich finde alle Menschen gleich wichtig” verstecken. Engagieren muss man sich konkret. Jemandem, der sich in Afrika für den Schutz von Elefanten vor Wilderern einsetzt, sagen wir auch nicht “Ich finde aber alle Tiere gleich wichtig” oder “und warum engagierst du dich nicht gegen Walfang”.
“Aber Männer und Frauen sind nun mal verschieden, nicht nur physisch, sondern auch psychisch.”
Mag sein. Es ist durchaus denkbar, dass auch in einer Welt, in der absolute Gleichberechtigung herrscht, mehr Männer als Frauen Ingenieure werden wollen o.ä. Ja, das ist möglich – wissen tun wir das allerdings nicht. Was wir wissen ist, dass der Anteil der Frauen, die sich für typische “Männerberufe” entscheiden, massiv gestiegen ist, seit es entsprechende Fördermaßnahmen gibt und seit die Idee “das ist nichts für Frauen” immer weniger gesellschaftsfähig wird. Schauen wir beispielsweise mal auf diese Statistik. (Bild entfernt wegen des Copyrights, klickt bitte auf den Link.)
Wir sehen einen ziemlich deutlichen Anstieg, der seit etwa 2000 möglicherweise stagniert (oder auch nicht, wenn man nur die letzten paar Jahre anguckt. Siehe auch diesen Artikel). Also ist doch jetzt alles o.k., wir haben dank Fördermaßnahmen etc. den Status erreicht, der eben den “natürlichen Interessen” entspricht?
Denkbar. Aber schaut mal auf die 80er Jahre. Auch da hat man gesagt, dass Frauen doch jetzt wirklich gleichberechtigt seien – und auch da hätte man mit den Zahlen dieser Grafik argumentieren können, dass jetzt eben ein Plateau erreicht sei, weil eben 13% der “natürliche” Frauenanteil im Studium sei.
Man sollte also darüber nachdenken, ob man strukturelle oder sonstige Faktoren findet, die eine Rolle spielen. Und die gibt es natürlich:
In manchen Berufen (gerade in vielen der ausgeprägten “Männerdomänen”) gilt es immer noch als wichtig, jederzeit und mit vielen Überstunden im Job verfügbar zu sein. (Siehe dazu auch unten zum Thema “pay gap”.) Solange die Gesellschaft die Arbeit für Haus und Familie tendenziell wesentlich stärker den Frauen aufbürdet, sind diese Berufe für Frauen auch dann weniger attraktiv, wenn Frauen für sie dasselbe Interesse und dieselbe Begabung haben wie Männer. Männern wird eben selten gesagt, dass sie sich zwischen Familie und Karriere entscheiden müssen.
Auch für die Wahl eines Studiums mag es einen Einfluss haben, ob jemand damit rechnen muss, als Frau immer eine von wenigen zu sein.
Und schließlich gibt es noch einen weiteren Aspekt: Nehmen wir an, dass die Interessen von Frauen und Männern sich unterscheiden und dass Frauen zum Beispiel mehr Interesse an Berufen und Themen haben, die auch im Ingenieurbereich eher im Gebiet beispielsweise der Medizintechnik als etwa im Flugzeug- oder Autobau angesiedelt sind. (Dabei spielt es gar keine Rolle, ob das biologisch oder durch die Sozialisierung bedingt ist.) Selbst dann ist es immer noch so, dass beispielsweise der Fokus in einem Maschinenbaustudium auf Themen wie Kfz-Technik oder Luft- und Raumfahrt ja nicht zwingend ist. Wie Spannungen in Werkstoffen funktionieren, kann man genauso gut an einem Schildkrötenpanzer wie an einer Autokarosserie erklären. Ähnliches gilt auch in der Schule – auch viele physikalische Themen lassen sich genau so gut mit biologischen wie mit technischen Beispielen erklären. (Angesichts der immer älter werdenden Bevölkerung und der zunehmenden Bedeutung der Medizintechnik wäre es vielleicht auch ne gute Idee, im Maschbau-Studium solche Themen stärker zu diskutieren.)
Wenn wir all diese Dinge geändert haben und dann der Frauenanteil in Ingenieursstudiengängen immer noch deutlich unter 50% liegt, dann können wir gern in Ruhe darüber nachdenken, ob das biologisch bedingt ist. Vorher ist es nur eine vergleichsweise billige Ausrede, um nichts ändern zu müssen.
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