“Aber einige Feministinnen vertreten und fordern doch absurde Dinge.”
Stimmt. Es gibt sehr extreme (und in meinen Augen absurde) feministische Standpunkte. Das ist aber kein Argument gegen die Idee des Feminismus. “Feminismus” ist keine Partei, bei der man Leute mit extremen Ansichten ausschließen kann. Natürlich kann man auch sehr absurde Ansichten vertreten und Feministin sein – aber das ist bei anderen Ideen nicht anders.
Nehmen wir beispielsweise den Atheismus. Auch da gibt es sehr extreme Standpunkte – allein hier auf den Scienceblogs konnte man schon Ansichten lesen wie die, dass religiöse Bekenntnisse oder Symbole generell in der Öffentlichkeit verboten werden sollten, dass man Eltern verbieten sollte, ihre Kinder religiös zu erziehen und dass es undenkbar sei, dass jemals ein Mensch aus religiöser Motivation etwas Gutes getan hat. (Ich habe den Link dazu nicht parat, war vor ein paar Jahren in Diskussionen bei Christian Reinboth, wenn ich mich recht entsinne.) Wir müssen hoffentlich hier nicht diskutieren, warum das absurde Vorstellungen sind. Soll man deswegen gleich den Atheismus über Bord werfen?
Es ist natürlich bequem, solche extremen Standpunkte zu nehmen und als Argument zu nutzen “Solange ihr Feminstinnen so etwas fordert, nehme ich euch nicht ernst/will ich mit Feminismus nichts zu tun haben/ braucht ihr euch nicht zu wundern…” Letztlich ist es aber der klassische Stereotypisierungsfehler – die Annahme, alle Mitglieder einer Gruppe müssten irgendwie dieselben Ansichten haben. Als Argument ist das ungefähr so sinnvoll, wie seinen eigenen Fleischkonsum mit den Worten “Hitler war schließlich Vegetarier” zu verteidigen…
“Aber Männer werden doch auch benachteiligt.”
Das ist wahr – es gibt auch Benachteiligungen für Männer. (Und ja, es gibt Femistinnen, die das leugnen oder für total unwichtig halten. Siehe den vorigen Punkt.) Männer haben größere Schwierigkeiten, das Sorgerecht für ihre Kinder zu bekommen, Männer sind häufiger obdachlos und landen häufiger im Gefängnis (und begehen generell mehr schwere Straftaten), männliche Servicekräfte bekommen oft weniger Trinkgeld als weibliche, männliche Opfer von häuslicher Gewalt sind zwar seltener als weibliche, haben aber mit besonderen Problemen zu kämpfen, um nur ein paar relativ willkürliche zu nennen. (Nein, Gleichstellungsmaßnahmen zählen nicht dazu – im übrigen können die auch dazu führen, dass Männer bevorzugt eingestellt werden, nämlich da, wo sie unterrepresäntiert sind.)
Sollte man dagegen nicht auch etwas tun? Ja, sollte man. Wenn Männer strukturell benachteiligt werden, kann und soll man auch dagegen vorgehen. Zwei Dinge sind aber zu bedenken: Zum einen ist die Erkenntnis, dass Männer strukturell benachteiligt werden, auch nur dadurch möglich, dass wir hinterfragen, wie die Gesellschaft Menschen auf Grund ihres Geschlechts behandelt und ggf. benachteiligt. Und die Punkte, bei denen Männer benachteiligt werden, haben ihre Ursache interessanterweise in denselben patriarchalen Vorstellungen, die zur Benachteiligung von Frauen führen: Frauen sind schwach (deswegen dürfen Männer keine Schwäche zeigen), Frauen sind emotional und kümmern sich gern um andere (deswegen lieber kein Sorgerecht für Männer), Frauen gehören an den Herd (deswegen muss der Mann für das Geld sorgen, notfalls eben auch durch kriminelle Handlungen) usw. Feminismus hilft also auch Männern, wenn er dazu führt, dass solche Vorstellungen aufgebrochen werden. Das klassische Zitat dazu lautet “patriarchy hurts men, too”. (Auch wenn der Satz unter Feminstinnen durchaus umstritten ist – Feminismus ist eben kein monolithischer Block von Meinungen.)
Zum anderen – siehe oben – ist es legitim, dass man gegen die Benachteiligung von Männern kämpft, aber das macht den Feminismus ja nicht weniger wichtig. (Die eine kämpft für Elefanten, die andere gegen den Walfang.)
“Aber die als Argument viel zitierte ‘gender pay gap’ beruht doch vor allem auf Qualifikation etc.”
Dass Frauen im Schnitt weniger verdienen als Männer, ist ja hoffentlich unbestritten. Ein Großteil (allerdings nicht der ganze Teil!) kann dadurch erklärt werden, dass Frauen oft weniger arbeiten, sich Zeit für die Kindererziehung nehmen und deswegen in der Kariere zurückstecken, und dass typische “Frauenberufe” schlechter bezahlt werden. Ja, stimmt.
Das Problem ist nur, dass das ein bisschen kurz gedacht ist. Wenn es eben (und das ist so) schwierig ist, einen Krippenplatz für kleine Kinder zu bekommen, dann bleiben Frauen häufiger zu Hause (weil es gesellschaftlich bedingt eben meist die Frauen sind, denen diese Aufgabe zufällt). Und wenn (siehe oben) es in vielen Berufen gang und gäbe ist, dass Sitzungen auch abends stattfinden, dann wirft auch das ein Problem zum Beispiel mit der Kinderbetreuung auf. (Eine detaillierte Analyse dazu findet ihr übrigens hier.)
Und schließlich ist es auch kein Zufall, dass genau die typische Frauenberufe schlechter bezahlt werden – dass das Zusammenschrauben von Autos inhärent wichtiger ist als das Pflegen von Kranken, wird ja hoffentlich keiner behaupten. Ein schönes Beispiel liefert der Beruf der Programmiererin – als das noch eher eine Frauendomäne war, war der Beruf weniger angesehen und schlechter bezahlt. Mit dem Beruf “Sekretärin” war es meines Wissens genau umgekehrt. Typische Frauenberufe werden schlechter bezahlt, weil es Frauenberufe sind.
“Aber Frauen werden doch gar nicht benachteiligt.”
Ja, es gibt tatsächlich Leute, die die Benachteiligung von Frauen nicht wahrnehmen (wollen?). Für die hier ein paar sehr willkürliche Links, einfach das, was mir in den letzten Wochen im Gedächtnis geblieben ist, so dass ich es ohne jede Mühe zusammenstellen konnte, ohne Anspruch darauf, dass es sich um die wichtigsten oder schlimmsten Fälle handelt.
Schauen wir erst mal auf andere Länder:
In Saudi-Arabien gibt es jetzt einen “girls council” – natürlich ohne Beteiligung von Frauen.
In Indien hat man mit dem Problem zu kämpfen, dass beim Holi-Fest Frauen oft sexuellen Übergriffen ausgesetzt sind. Die logische Konsequenz: Man sperrt die Frauen einfach ein. (Mehr “victim blaming geht wohl kaum…)
Aber das sind ja rückständige Länder, keine westlichen Demokratien, wo alles supi ist?
Frauen werden deutlich seltener als Autorinnen rezensiert, diskutiert usw., zumindest beim London Review of Books.
Frauen sind seltener Hauptcharaktere in Filmen, haben nur 1/3 aller Sprechrollen usw.
Wenn ein Mann aus Versehen seine Projektpartner mit dem Namen der Kollegin kontaktiert, passiert erstaunliches.
Und hier sehen wir das berühmte Bild, wie lauter Männer über die Gesundheit von Frauen entscheiden.
Dann wäre da noch dieser Fall von totalem Respekt für Frauen.
Oder die unheilige Allianz von Frauenfendlichkeit und Religion.
Und schließlich die vielen kleinen Dinge des Alltags.
Die Liste lässt sich natürlich beliebig fortsetzen…
Fazit
Tja, nachdem wir das mit den “Abers” hoffentlich geklärt haben, bleiben folgende Erkenntnisse:
- Nein, in unserer Gesellschaft (und auch sonst in der Welt) herrscht noch keine Gleichberechtigung, Menschen werden durch ihr Geschlecht benachteiligt (und ja, das trifft in einigen Aspekten auch Männer, siehe oben).
- Die Ursachen für die Ungleichbehandlung sind teilweise durchaus kompliziert und es ist nicht unbedingt offensichtlich, welche Effekte wie zusammenwirken.
Und deshalb gilt: Feminismus ist in unserer Gesellschaft schlicht eine Notwendigkeit – ohne den Blick darauf, wie unser Geschlecht unsere gesellschaftliche Rolle (mit-)bestimmt (und diesen Blick zu ermöglichen, ist die Aufgabe feministischer Forschung), können wir unsere Gesellschaft nicht verstehen, und ohne dieses Verständnis können wir die Verhältnisse auch nicht ändern (Feminismus als politische Bewegung).
Wenn Feminismus nicht so euer Thema ist oder in eurem Fokus steht – o.k., es muss sich ja auch nicht jede gegen den Walfang einsetzen. Engagiert euch für benachteiligte Männer, für die aktuell Hungernden in Afrika, oder für ein anderes Thema, das euch am Herzen liegt. Eure Zeit aber damit zu verbringen, diejenigen, die sich für die Gleichberechtigung von Frauen einsetzen, mit halbgaren Argumenten wie den hier aufgeführten unter Rechtfertigungsdruck zu setzen – das hilft am Ende wirklich genau niemandem.
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