Wir fragen uns also: Welche Energie haben die jeweiligen Phasen im Vergleich zueinander, wenn man diverse Legierungselemente hinzufügt? Dabei muss man etwas aufpassen, man kann natürlich nicht zwei Simulationen vergleichen, in denen ganz unterschiedliche Atome drinstecken. Um das zu sehen, nehmen wir mal den einfachsten Fall: Wir fragen uns erst mal, ob die Delta-Phase (aus Nickel und Niob im Verhältnis 3:1) überhaupt energetisch stabil ist. (Experimentell wissen wir, dass sie das ist, aber wir können ja mal gucken, ob unsere Simulation das auch hergibt.) Wir stellen uns also einen großen Nickelkristall vor (im Idealfall aus unendlich vielen Nickel-Atomen) und schmeißen eine Handvoll Niob-Atome dazu. Die haben jetzt zwei Möglichkeiten: Sie können sich entweder einfach irgendwie im Kristall verteilen (also gelöst sein) oder sie können sich mit Ni-Atomen zur delta-Phase zusammentun, immer ein Nb mit 3 Ni. (Theoretisch könnte es noch andere Dinge tun, beispielsweise sich als reines Nb ausscheiden oder so, aber diese Möglichkeiten interessieren im Moment nicht.) Um zu sehen, was günstiger ist, stellen wir uns vor, wir haben irgendwo schon einen Bereich mit delta-Phase und nehmen jetzt ein weiteres Niob-Atom hinzu. Was möchte dieses Atom lieber tun: Mehr delta-Phase bilden oder sich im Nickel lösen?
Links haben wir den Fall, wo das Nb (grün) in Nickel (vornehm: in der Nickel-Matrix, Atome in blau) gelöst ist, rechts den, wo es in die delta-Phase geht. Wir müssen also die Energie der linken mit der der rechten Seite vergleichen.
Nun wollen wir nicht mit unendlich vielen Atomen rechnen, sondern nur mit endlich vielen. Das lässt sich aber einfach bewerkstelligen: Wir vergleichen den Fall von Nb in einer bestimmten Zahl Ni-Atomen (beispielsweise 15 Ni und ein Nb) mit weniger Nickel-Atomen und dem Nb in der delta-Phase:
Wir vergleichen also die Energie eines Systems aus Ni15Nb mit einem aus 12 Ni-Atomen plus einer Ni3Nb-Zelle. Ist die linke Seite energetisch günstiger, wird das Nb keine delta-Phase bilden wollen, ist die rechte Seite günstiger, bildet sich die delta-Phase. Genau diese Rechnung macht man mit der DFT-Methode. Dazu verwendet man den Trick mit den periodischen Randbedingungen, den ich letztes Mal erklärt habe, damit die simulierten Zellen sich wie Ausschnitte aus einem größeren Material verhalten. (Bevor jemand meckert: natürlich haben wir in Wahrheit in 3D simuliert, übrigens auch mit Ni31Nb, damit das Nb hinreichend “verdünnt” ist.)
Also: diese Rechnung programmieren (in Wahrheit ist die Sache etwas trickreicher, weil das Nb im Nickel die Gitterkonstante ändern kann, also den Abstand der Atome und damit die Größe der Zelle, aber das ignoriere ich heute, dazu kommt vielleich tnoch ein eigener Artikel…), den Superrechner am HLRN in Hannover in Gang treten und wenig später gibt es das Ergebnis: Die delta-Phase ist stabil, die Energie der rechten Seite oben im Bild ist kleiner als die der linken. Wäre sonst ja auch Mist, wir wissen ja experimentell, dass die Phase stabil ist.
Eigentlich wollen wir aber ja wissen, ob andere Legierungselemente die delta-Phase noch stabiler machen. Dazu nutzen wir die gleiche Logik. Nehmen wir zum Beispiel Molybden (in rot). Wir können ein Molybden-Atom in die Nickel-Matrix packen oder in die delta-Phase. Auch hier müssen wir mit der Buchführung aufpassen (man muss immer Konfigurationen vergleichen, die gleich viele Atome von allen Sorten haben):
Wir vergleichen also Ni15Mo + (Ni3Nb)3 auf der einen Seite mit Ni12 + (Ni3Nb)3 Ni3Mo.
Heraus kommt, dass die Energie der rechten Seite kleiner ist, also möchte laut Simulation Mo gern in der delta-Phase sein. (Und dort ein Nb-Atom ersetzen. Man muss auch noch die Möglichkeit berücksichtigen, dass es ein Ni-Atom ersetzt, und wenn man genau hinguckt, gibt es dafür zwei Möglichkeiten, weil die Atome in der delta-Phase ziemlich kompliziert angeordnet sind.)
Wir können also daraus schließen, dass Molybden dazu geeignet sein könnte, die delta-Phase zu stabilisieren. Diese Rechnung wiederholen wir jetzt noch für 25 weitere Legierungselemente und auch für die eta-Phase. Dann kommt am Ende ein Diagramm wie dieses heraus:
(Aus Bäker et al.)
Ihr seht für die interessanten Elemente (die meisten Nebengruppenelemente sowie Al), welche Energie man gewinnt oder braucht, um sie in die delta- oder eta-Phase zu bringen. Negative Zahlen heißen, dass die jeweilige Phase günstiger ist; Elemente im weißen Bereich bleiben also lieber im Nickel, die im rosa-farbenen gehen lieber in die eta- die im grünen lieber in die delta-Phase. Die Energieeinheit ist das Elektronenvolt. (Typische chemische Bindungsenergien liegen im Bereich von ein paar eV, Photonen des sichtbaren Lichts haben 1,8-3,5eV.) Dass einige Elemente auch noch graue Punkte haben, hat was mit magnetischen Effekten zu tun, ich ignoriere das mal.
Wer also zum Beispiel die eta-Phase stabilisieren will, könnte das mit Hafnium oder Zirkon tun (die auch die delta-Phase stabilisieren). Natürlich spielen noch andere Effekte hinein, Al bildet ja zum Beispiel die gamma-Strich-Phase, nützt also wenig; Hg beispielsweise ist in Nickel-Legierungen nicht gewollt, weil es irgendwelche komplizierten Versprödungseffekte macht usw. Aber um eine Idee zu bekommen, welche Elemente man sich vielleicht mal näher anschauen sollte, sind diese Simulationen gut geeignet (und genau deswegen mache ich die ja auch bei uns am Institut). Hinterher kann man dann Experimente machen und schauen, ob die Ideen auch stimmen. Experimentell haben wir zum Beispiel Hinweise darauf, dass Cobalt die delta-Phase stabilisiert, aber meine Rechnung zeigt das nicht, da will das Co lieber im Nickel bleiben. Da spielen also vermutlich noch andere Effekte eine Rolle.
Ihr seht also, dass man mit dem Berechnen von Energien in der Materialwissenschaft durchaus einiges anfangen kann.
Bäker, M., Rösler, J., Hentrich, T., & Ackland, G. (2017). Influence of transition group elements on the stability of the δ-and η-phase in nickelbase alloys. Modelling and Simulation in Materials Science and Engineering, 26(1), 015005.
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