Dass alle Dinge gleich schnell fallen, ist seit Galilei ja nichts neues mehr. (Auch wenn es die Fallexperimente vom schiefen Turm von Pisa vermutlich nicht gegeben hat.) Newton hat daraus geschlossen, dass die Masse eines Objekts zwei Aspekte hat: Die träge Masse sagt, wie viel Kraft man braucht, um etwas zu beschleunigen, die schwere Masse sagt, wie stark die Schwerkraft wirkt. Wenn ein doppelt so schweres Objekt dieselbe Beschleunigung erfährt, dann bedeutet das, dass das auch die doppelte Kraft wirkt: Träge und schwere Masse sind also gleich. (Mehr über das Newtonsche Gesetz habe ich hier geschrieben.)
Eine Begründung, warum das so sein muss, gab es bei Newton aber nicht, und theoretisch wäre es auch möglich dass die beiden nicht ganz gleich sind, sondern ein klein wenig voneinander abweichen. Wem das nicht einleuchtet, der kann die Situation ja mit der elektrostatischen Anziehung vergleichen: Die ist bestimmt durch die Ladung zweier Objekte. Zwei Objekte mit gleicher Ladung, aber unterschiedlicher Masse, werden auch unterschiedlich stark beschleunigt. Deswegen kreisen in einem Wasserstoffatom (leichte) Elektronen um (schwere) Protonen, obwohl beide dieselbe Ladung tragen. (Naja, genaugenommen kreisen die Elektronen nicht, sondern müssen mit den Regeln der Quantenmechanik beschrieben werden, aber das spielt hier keine Rolle, hier geht es ja um die Gravitation.) Experimentell hat man deshalb immer wieder versucht, Abweichungen zu messen, aber ohne Erfolg.
Einstein hat schließlich das ganze vom Rätsel zum Prinzip erhoben und gesagt: Alle Dinge müssen deshalb gleich schnell fallen, weil das, was wir als “Schwerkraft” wahrnehmen, gar keine Kraft ist, sondern nur die Bewegung eines Objekts in einer gekrümmten Raumzeit. Die führt zu Beschleunigungen, und für Beschleunigungen ist nun mal die träge Masse zuständig. In dieser Betrachtungsweise gibt es also schlicht keine “schwere Masse”, weil es schlicht keine Schwerkraft gibt. (Mehr dazu findet ihr in meiner Artikelserie zur Raumzeitkrümmung.)
Allerdings stellt sich die Frage, wie es sich mit Objekten verhält, die durch die “Schwerkraft” zusammengehalten werden. Bei chemischen Bindungen oder den Bindungskräften im Atomkern wissen wir, dass die Bindungsenergie zur Masse beitragen. (Tatsächlich macht die Bindungsenergie der Quarks den Großteil der Masse eines Protons aus.) Gilt das Äquivalenzprinzip also auch noch, wenn Objekte einen signifikanten Teil an Gravitationsenergie tragen?
Expertinnenhinweis: Schaut man sich die Einsteinsche Feldgleichung an, steht auf der rechten Seite der Energie-Impuls-Tensor der Materie. Der enthält die Energie des Gravitationsfeldes nicht. Kann er auch nicht, weil man – dank des Äquivalenzprinzips – eine Energiedichte der Gravitation nicht ohne Weiteres definieren kann, denn man kann an jedem Punkt der Raumzeit immer ein Koordinatensystem finden, in dem die Raumzeitkrümmung verschwindet. Die “Energie des Gravitationsfeldes” steckt auf der linken Seite der Einsteingleichung in den Termen der Raumzeitkrümmung. In manchen Situationen kann man aber formal die Gleichung so manipulieren, dass man einen Teil dieser linken Seite nach rechts schaufelt – dann bekommt man eine Größe, die “Energie-Impuls-Komplex” genannt wird und die man dann als Energiedichte der Gravitation interpretieren kann. Detailliert steht dazu was im ART-Buch von Rebhan, ein bisschen was findet ihr demnächst auch in meinem Buch zur ART.
Ein solches Objekt wäre beispielsweise ein Schwarzes Loch oder ein Neutronenstern. In denen ist die Gravitation (oder die Raumzeitkrümmung) so stark, dass sie einen starken Beitrag zur Gesamtmasse leistet. (Sehr schön erklärt Markus Pössel auf Einstein online das Prinzip.) Wenn wir einen Neutronenstern auseinanderreißen wollten, dann müssten wir ne Menge Arbeit leisten, weil die Gravitationswechselwirkung so stark ist. (Oder, wen ihr es lieber in der Sprache der Raumzeitkrümmung ausdrücken wollt, weil ihr Objekte von ihrer Geodäten wegbeschleunigen müsst.) Oder andersherum gedacht: Stellt euch vor, ihr baut eine Neutronenstern, indem ihr einen Haufen Materie zusammenkrachen lasst. Die Brocken fliegen aufeinander zu, stoßen zusammen und dabei wird jede Menge Energie frei. Nach E=mc² ist Energie Masse, der Stern wiegt also am Ende weniger (hat weniger Masse) als vorher. Das ist so nichts ungewöhnliches – passiert ganz ähnlich bei einem Atomkern, da ist die Masse des Kerns auch kleiner als die Masse seiner einzelnen Bestandteile.
Es stellt sich also die Frage, ob ein Neutronenstern genauso fällt wie ein anderes Objekt mit derselben Masse, oder ob die Tatsache, dass da Gravitationsenergie im Spiel ist, daran etwas ändert. Theoretisch ist das möglich – es gibt alternative Ideen zur Allgemeinen Relativitätstheorie (beispielsweise die Brans-Dicke-Theorie), in denen das so wäre. Es ist also schon interessant, das zu untersuchen. (Und ja, Physikerinnen untersuchen Alternativen zur ART – die sind nicht so dogmatisch, wie viele eher wirre Seiten im Internet das behaupten….)
Allerdings ist es im Labor nicht so leicht, mal eben schnell nen Neutronenstern oder ein Schwarzes Loch zu bauen. (Auch wen ich hier was anderes behauptet habe, aber das war ein Aprilscherz.) Also muss man solche Objekte da beobachten, wo sie sind – im Weltall. Und genau das hat man jetzt getan.
Dazu verwendete man ein ziemlich ungewöhnliches Objekt: Den Pulsar PSR J0337+171. Pulsare sind Neutronensterne, die ein starkes Magnetfeld haben und deswegen elektromagnetische Strahlung aussenden. Da die Strahlung nicht in alle Richtungen ausgesandt wird, sondern entlang der Achsen, können wir, wenn der Pulsar rotiert und die Magnetfeldachse nicht gleich der Rotationsachse ist, regelmäßige Signale bekommen. (Natürlich muss die Magnetachse dazu bei jeder Rotation einmal in unsere Richtung zeigen.) Bei diesem Pulsar kommen die Signale ziemlich oft, 366-mal pro Sekunde. Das Besondere an PSR J0337+171 ist aber, dass er zwei Begleitsterne hat: Beide sind Weiße Zwerge (also etwa planetengroße, aber sehr massive Sternüberreste), einer davon umkreist den Pulsar auf einer engen Umlaufbahn innerhalb von 1,6 Tagen, der andere auf einer sehr weiten (wo eine Umkreisung 327 Tage dauert).
Damit hat man jetzt ein kompliziertes, gravitativ gebundenes System mit einem Neutronenstern in der Mitte. Würde das Äquivalenzprinzip nicht gelten, dann würde das die Bahn der Sterne beeinflussen, der Neutronenstern mit seiner extrem hohen gravitativen Bindungsenergie würde sich etwas anders bewege als sein naher Begleiter. Das tut er jedoch nicht. Mit einer Messgenauigkeit von 1 zu zwei Millionen ist die Beschleunigung für beide gleich. Damit lassen sich die alternativen Theorien zur Relativitätstheorie weiter eingrenzen. (Aber natürlich nicht vollkommen ausschließen, man kann diese Theorien so einstellen, dass sie der ART immer ähnlicher werden, weil es da Parameter gibt, an denen man drehen kann.)
Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie wurde also wieder einmal bestätigt.
Universality of free fall from the orbital motion of a pulsar in a stellar triple system, Archibald et al., Nature 559, Juli 2018, https://doi.org/10.1038/s41586-018-0265-1
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